Neuer IPCC Klimabericht in der Presse

Übersicht

  • (10.08.21, WAZ) , Der Planet schwebt in Lebensgefahr
    • Nicht der Planet schwebt in Lebensgefahr sondern die Menschheit schwebt in Lebensgefahr, die den Planeten zerstört!
    • s. auch Presse-Sammlung und die Leserbriefe
  • (09.08.21, golem.de) , IPCC-Bericht: Die Klimakonferenz in Glasgow soll die Wende bringen
    • Eine schnelle CO2-Neutralität kann die Klimakrise noch abmildern. Die Weltgemeinschaft soll nun in Glasgow konkrete Beschlüsse fassen.
    • Im Kampf gegen die Erderwärmung setzen Wirtschaft und Politik auf die nächste Weltklimakonferenz. Die Ergebnisse des am 9. August vorgestellten IPCC-Berichts müssten “als klares Signal an die bevorstehende UN-Klimakonferenz im November 2021 in Glasgow gesehen werden, denn wirksamer Klimaschutz kann nur gemeinsam auf internationaler Ebene gelingen”, sagte Kerstin Andreae, Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), am Montag in Berlin.
  • (09.08.21, ORF) , Klimakrise : Einige Folgen bereits „unumkehrbar“
    • Gerade die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Klimakrise werden gerne infrage gestellt. Am Montag hat der Weltklimarat (IPCC) einen umfangreichen Bericht dazu vorgelegt. Einige Kernpunkte: Die Erde erwärmt sich rascher als erwartet, Wetterextreme wie Hitzewellen und starke Niederschläge werden häufiger, die Ursachen dafür seien „eindeutig“ menschengemacht.
  • (09.08.21, taz) , IPCC-Klimabericht: 1,5 Grad sind möglich
    • Der neue Klimabericht ist ein Report über politisches Versagen in historischem Ausmaß. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft jetzt daraus machen.
  • (09.08.21, mdr.de) , UN-Klimabericht Klimawandel ist menschengemacht und schlimmer als gedacht
    • Verheerende Brände in Griechenland und der Türkei, eine Hinzewelle in Kanada, Überschwemmungen in Deutschland – all das sind Extrem-Wetterereignisse, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden. Der Weltklimarat der UN betont jetzt: Die als Ursache ausgemachte Erderwärmung ist zweifelsfrei menschengemacht. Und die Lage ist noch schlechter als angenommen.
    • Weltklimarat: Aktueller Bericht fällt ernüchternd aus
    • Der Klimawandel vollzieht sich schneller und folgenschwerer als bislang angenommen. Das ist das Ergebnis des neuesten Berichts des Weltklimarats (IPCC) Die Erde werde sich bei der derzeitigen Entwicklung bereits gegen 2030 um 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erwärmen – und damit zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert, heißt es in dem am Montag in Genf veröffentlichten Bericht.
  • Kerninfos zum Klimawandel in nur 20 Worten:
      • 1. Er ist real.
        • 2. Wir sind die Ursache.
      • 3. Er ist gefährlich.
      • 4. Die Fachleute sind sich einig.
      • 5. Wir können noch etwas tun.
        Deutsche Klima-Konsortium Verband deutscher Forschungseinrichtungen

  • (09.08.21, tagesschau) , Neuer Weltklimabericht: Schnellere Erwärmung, extremere Wetter
    • Der Klimawandel kommt noch schneller als befürchtet, und die Folgen sind schon deutlich sichtbar. Der neue Bericht des Weltklimarates lässt keinen Zweifel an dieser Erkenntnis – und wer dafür verantwortlich ist.
    • “Es ist eindeutig, dass menschliches Handeln die Atmosphäre erwärmt hat.” Dieser Satz lässt nun keine Zweifel mehr. Im vorigen Bericht der Weltklimarates (IPCC) war nur der Wandel selbst als eindeutig beschrieben worden, das menschliche Zutun wurde als “äußerst wahrscheinlich” bezeichnet. Der IPCC macht nun deutlich, dass die Zahlenbasis so gut ist, die Modelle so präzise, dass sich alles andere ausschließen lässt. Diese Sicherheit zieht sich durch den gesamten neuen Sachstandsbericht und durch die Aussagen der beteiligten 230 Hauptautoren.
  • (09.08.21, tagesschau) Hört auf die Wissenschaft!
    • Das Vertrauen der nachwachsenden Generation in die Wissenschaft und der Klimaschutz als Geschäftsmodell – darin liegen Hoffnungen für die Zukunft. Denn der Weltklimabericht hat klar gemacht: Die Zeit rennt wirklich weg.
  • (08.08.21, heise) Klimaschutz: Ministerin Karliczek hält Ende der innerdeutschen Flüge für möglich
    • Inlandsflüge könnten dem Klimaschutz weichen, doch dafür müsste der Bahnverkehr besser werden. Der Flughafenverband kritisiert die Forschungsministerin.
  • (07.08.21, tagesschau) , Moore als CO2-Speicher Vom Klimakiller zum Hoffnungsträger
    • Je nach Zustand sind sie Klimakiller oder Hoffnungsträger: Moore sind ideale CO2-Speicher, doch hierzulande meist trockengelegt und so eine Belastung für das Klima. Ein Pilotprojekt in Brandenburg zeigt einen Ausweg.

Links zum Klimabericht des IPCC


Sechster IPCC-Sachstandsbericht – Hauptaussagen :


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Kommentar von S4F-Bochum

Verschickt: Mo, 9. Aug. 2021 15:08
Betreff: [s4f-due] Höher, schneller, weiter – nach dem IOC übernimmt der IPCC

Hallo zusammen,

heute veröffentlichte der IPCC den ersten Band “AR6 Climate Change 2021: The Physical Science Basis” [1] zum Sechsten Sachstandsbericht (AR6) [2]. Die Hauptaussagen des Bands gibt es auch auf Deutsch [3] und wie immer eine vollständige Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Englisch) [4]. Darin heißt es u. a. …

Jede Tonne CO2-Emissionen trägt zur globalen Erwärmung bei. Um möglichst die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, beträgt ab 2020 das globale CO2-Budget noch 400 GtCO2 (67% Wahrscheinlichkeit zur Erreichung des Temperaturziels), besser noch 300 GtCO2 (83% Wahrscheinlichkeit). Wenn weltweit negative Netto-CO2-Emissionen erreicht und aufrechterhalten würden, würde sich der globale CO2-bedingte Anstieg der Oberflächentemperatur allmählich umkehren, aber andere Klimaveränderungen würden sich über Jahrzehnte bis Jahrtausende in ihrer derzeitigen Richtung fortsetzen. So würde es beispielsweise mehrere Jahrhunderte bis Jahrtausende dauern, bis sich der mittlere globale Meeresspiegel selbst bei großen negativen Netto-CO2-Emissionen umkehren würde (hohes Vertrauen).

Die globale Oberflächentemperatur wird bei allen betrachteten Emissionsszenarien mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts weiter ansteigen. Die globale Erwärmung von 1,5°C und 2°C wird im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden, wenn nicht in den nächsten Jahrzehnten eine tiefgreifende Verringerung der CO2- und anderer Treibhausgasemissionen kommt.

Mit jedem Schritt der globalen Erwärmung werden die Veränderungen bei der regionalen Durchschnittstemperatur, den Niederschlägen und der Bodenfeuchtigkeit größer und Veränderungen bei den Extremen nehmen weiter zu. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Starkniederschlagsereignisse bei einer weiteren globalen Erwärmung in den meisten Regionen zunehmen und häufiger auftreten werden. Das Auftreten einiger Extremereignisse, die bisher noch nie beobachtet wurden, wird bei einer zusätzlichen globalen Erwärmung zunehmen, selbst bei einer globalen Erwärmung von 1,5°C.

Ein wärmeres Klima wird sehr feuchte und sehr trockene Wetter- und Klimaereignisse und Jahreszeiten verstärken, mit Auswirkungen auf Überschwemmungen oder Dürren, aber der Ort und die Häufigkeit dieser Ereignisse hängen von den prognostizierten Veränderungen der regionalen atmosphärischen Zirkulation ab. Bei einer globalen Erwärmung von 2°C und mehr nehmen die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Veränderungen bei Dürren, Starkniederschlägen und mittleren Niederschlägen im Vergleich zu denjenigen bei 1,5°C zu. Starke Niederschläge und damit verbundene Überschwemmungen werden auf den pazifischen Inseln und in vielen Regionen Nordamerikas und Europas voraussichtlich intensiver und häufiger auftreten.

Während die natürlichen Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen den Projektionen zufolge bei höheren CO2-Emissionen in absoluten Zahlen immer mehr CO2 aufnehmen als bei niedrigeren, verlieren sie an Wirksamkeit, d. h. der Anteil der von Land und Ozeanen aufgenommenen Emissionen nimmt mit zunehmenden kumulativen CO2-Emissionen ab. Dies wird voraussichtlich dazu führen, dass ein höherer Anteil des emittierten CO2 in der Atmosphäre verbleibt.

Aus physikalisch-wissenschaftlicher Sicht erfordert die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung auf ein bestimmtes Niveau eine Begrenzung der kumulativen CO2-Emissionen, wobei mindestens ein Netto-Nullwert für CO2-Emissionen erreicht werden muss, zusammen mit einer starken Verringerung der anderen Treibhausgasemissionen. Eine starke, rasche und anhaltende Verringerung der CH4-Emissionen würde auch den Erwärmungseffekt begrenzen, der sich aus der abnehmenden Aerosolverschmutzung ergibt, und die Luftqualität verbessern.


Die Wissenschaftler:innen prognostizieren, dass es aufgrund paläoklimatischer und historischer Belege im 21. Jahrhundert wahrscheinlich ist. dass mindestens ein großer explosiver Vulkanausbruch stattfinden wird. Ein solcher Ausbruch würde die globale Oberflächentemperatur und die Niederschläge, insbesondere über Land, für ein bis drei Jahre reduzieren, die globale Monsunzirkulation verändern, extreme Niederschläge modifizieren und viele klimatische Einflussfaktoren verändern. Ein solcher Ausbruch würde also den vom Menschen verursachten Klimawandel vorübergehend und teilweise überdecken.


Der Kampf um jedes Zehntel Grad zur Reduzierung des Temperaturanstiegs ist also essenziell.
C.



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Klimawandel – Was, wenn wir nichts tun?

Der Albtraum vom Haus am Meer

(02.08.21, Zeit.de) Original : hier

Die folgenschweren Hochwasser in Westdeutschland haben gezeigt: Deutschland muss katastrophensicherer werden. An der Küste wird der Klimawandel zur besonderen Bedrohung.

Von Linda Fischer, Dr. Maria Mast und Dagny Lüdemann

Video , Stefan Rahmsdorf :

https://players.brightcove.net/18140073001/c09a3b98-8829-47a5-b93b-c3cca8a4b5e9_default/index.html?videoId=6087750314001

CO2-Emissionen bei Stromproduktion: Den Superverschmutzern auf der Spur

(30.07.21, taz.de) , Original : hier

For­sche­r:in­nen haben Tausende Kraftwerke untersucht, um herauszufinden, welche besonders viel CO2 emittieren. Eines der schlimmsten steht in Deutschland.

Auf Platz 7 der Superverschmutzer: Kraftwerk Niederaußem in Pulheim, Nordrhein-Westfalen

Nur wenige Kraftwerke weltweit emittieren fast drei Viertel der Treibhausgase in der Stromproduktion. Zu dem Schluss kommt eine neue Studie in der Zeitschrift „Environmental Research Letters“. Für die Studie analysierten ForscherInnen an der Universität Boulder 29.000 fossile Kraftwerke in 221 Ländern. Die Daten sind auf dem Stand von 2018.

Die Studie zeigt, dass die dreckigsten Kraftwerke vor allem in Nordamerika, Europa, Ostasien und China zu finden sind. In einigen Ländern – den USA, Japan, Südkorea, Deutschland und Australien – ist ein Bruchteil der Kraftwerke für 75 bis 90 Prozent der Emissionen verantwortlich, ein ähnliches Ergebnis wie weltweit. Die ForscherInnen berechnen, dass weltweit insgesamt ein Viertel der Emissionen aus der Stromproduktion reduziert würde, wenn die Effizienz der Kraftwerke verbessert würde.

Umgekehrt zeigt die Studie, dass solche „Superverschmutzer“ kaum in Südamerika, Afrika oder im Pazifik zu finden sind – der Globale Süden damit gemeinhin nicht Teil des Problems ist.

Unsere Grafik zeigt die 10 Kraftwerke weltweit mit den höchsten Emissionen. Alle zehn werden mit Kohle betrieben und sind nicht nur besonders groß, sondern auch ineffizient im Vergleich zu anderen ähnlichen Kraftwerken im Land. https://datawrapper.dwcdn.net/RrPkV/1/

Auf Platz 1: Das Braunkohle-Kraftwerk Bełchatów, das etwa 20 Prozent des Stroms in Polen produziert und jährlich mehr Treibhausgase emittiert als die Schweiz. Es soll bis 2036 stillgelegt werden. Auf Platz sieben der Liste findet sich ein deutsches Kraftwerk: die RWE-Anlage Niederaußem in NRW. Laut der Studie ist es um rund 45 Prozent ineffizienter als andere Kohlekraftwerke in Deutschland. Bisher wurde erst ein Block des Kraftwerks mit etwa einem Zehntel der Gesamtleistung stillgelegt. Der letzte Block soll voraussichtlich erst 2038 vom Netz gehen.

Von den anderen acht dreckigsten Kraftwerken stehen zwei in Indien, drei in Südkorea, und je eins in Taiwan, China und Japan.

„Eine der Herausforderungen für Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen ist, zu bestimmen, wer genau für die Klimakrise verantwortlich gemacht werden soll“, sagte Studienautor Don Grant der Nachrichtenwebsite Vice. „Unsere Studie versucht dieses Problem anzugehen, indem sie Superverschmutzer identifiziert.“


Tip von Ingo

Hochwasserschutz: »Verhindern, schützen, anpassen«

(27.07.21, spektrum.de) , Original : hier

Hochwasser lassen sich nicht komplett verhindern. Doch man kann die Gefahr senken, sagt Hochwasserschutz-Experte Daniel Bachmann im Interview. Der erste Schritt: sich informieren.
von Lars Fischer

Nach den verheerenden Überschwemmungen im Westen Deutschlands gehen die Aufräumarbeiten voran. Doch die Zerstörungen werfen auch die Frage auf, was man gegen solche Katastrophen unternehmen kann. Völlig verhindern kann man solche Ereignisse nicht, erklärt Daniel Bachmann, Professor für Hydromechanik, hydrodynamische Modellierung und Hochwasserrisikomanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er erklärt, wie man zukünftige Hochwasser im Computer berechnet und Gefahrenkarten erstellt, was der Klimawandel für den Hochwasserschutz bedeutet und was man als Privatperson tun kann, um besser vorbereitet zu sein.

»Spektrum.de«: Welche Arten von Modellen kommen bei der Hochwasservorhersage zum Einsatz?

Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum – Die Woche, 30/2021

Daniel Bachmann: Wir nutzen für die klassische Hochwasservorhersage eine ganze Modellkette von der Meteorologie bis hin zur Hydrodynamik. Zuerst haben wir die meteorologischen Modelle, die uns den Niederschlag geben. Den lassen wir quasi auf die hydrologischen Modelle fallen, um zu sehen, wie sich der Niederschlag über Hänge in den Tälern sammelt. Aus solchen Berechnungen kann man aber in der Regel schlecht Wasserstände herausziehen, man erfährt vor allem, wie viel Wasser durch die Landschaft fließt.

Als nächster Schritt folgt ein hydrodynamisches Modell, in dem wir das Wasser den Fluss hinunterlaufen lassen, so dass es sich in der simulierten Landschaft ausbreitet. Und wir gehen in der Forschung inzwischen so weit, dass wir – außerhalb der physikalischen Modellierung – Schäden eines Hochwassers in eine Vorhersage integrieren. Da ist eine Stadt, wer ist gefährdet und was sind die Kosten, wenn da das Wasser in den Straßen steht? Oder der Ausfall von kritischen Infrastrukturen; das ist ein ganz heißes Thema. Die Wasserversorgung hängt von der Stromversorgung ebenso ab wie die Telekommunikation abhängig von Stromversorgung ist, und so weiter.

Wie funktionieren derartige Modelle?

Wir nehmen im Prinzip die Topografie sowie die grundlegenden Gesetze der Physik dahinter, etwa die Navier-Stokes-Gleichungen, die Grundgleichungen der Hydrodynamik. Noch niemand hat sie bislang gelöst, deswegen gehen wir numerisch heran. Das erste numerische Modell hat der englische Meteorologe Lewis Fry Richardson 1922 aufgestellt, damals noch mit der Hand berechnet. Er hat mehrere Wochen gerechnet für eine Wettervorhersage von sechs Stunden, und diese war dann auch noch falsch. Aber er hat die Grundlage geschaffen.

Heute benutzen wir Computer, um die Abflüsse über das Gelände zu modellieren. Und damit können wir auch Strömungen und Überschwemmungen simulieren. Der große Vorteil eines solchen Modells ist, dass ich damit sozusagen spielen kann. Ich kann den Klimawandel einbeziehen, dann lasse ich es noch extremer regnen und schaue, was passiert. Oder ich baue einen Deich ein und beobachte, was sich ändert. Modellierung ist ein sehr wichtiges Werkzeug für uns.

Die bekannten Gefahrenkarten basieren auf derartigen Berechnungen. Sie lassen sich beliebig erweitern, etwa durch veränderte Wasserstände, wenn eine Flussaufweitung erfolgt, Polder gebaut werden und oder wir Wasser verstärkt speichern und so weiter.

Wie entstehen Hochwassergefahrenkarten?

Die Hochwassergefahrenkarten muss jedes Land in Europa erstellen, was seit 2007 in der EU so geregelt ist. Da gibt es gesetzliche Vorgaben, wie das abläuft. Man kann natürlich nicht jeden Graben in Deutschland modellieren. Deswegen sucht man nach gewissen Kriterien, wie historischen Ereignissen und Schadenspotenzial, Risikogewässer in Deutschland heraus. Man hat in dieser Stufe eins zum Beispiel auch Gewässer genommen, für die schon Gefahrenkarten vorhanden waren.

»Unter normalen Umständen, wenn es kein Hochwasser gibt, sind diese Gefahrenkarten natürlich nicht bei allen so beliebt«

Anschließend rechnet man drei Szenarien: eines mit hoher Wahrscheinlichkeit, sprich zehn- oder zwanzigjähriges Hochwasser, ein 100-jähriges Hochwasser mit mittlerer Wahrscheinlichkeit und eines das als HQ-extrem bezeichnet wird. Was Letzteres bedeutet, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und ist nicht klar geregelt. Hier in Sachsen-Anhalt ist das ein 200-jähriges Hochwasser ohne Deiche – einfach, um zu sehen, was passieren könnte.

Wenn diese Gefahrenkarten existieren, was ist dann schiefgegangen?

Die Erstellung der Karten ist ein zyklischer Prozess, die Karten werden alle sechs Jahre aktualisiert und erweitert. Es kann zum Beispiel passieren, dass so ein Fluss in diesen Karten gar nicht drin war. Das gab es 2017 im Harz mit einem Fluss, der nicht in den Gefahrenkarten enthalten war. Der wurde dann natürlich im nächsten Zyklus der Kartenerstellung mit aufgenommen.

Jetzt habe ich konkret die Hochwasserkarte von Schuld angesehen, da ist nicht viel blau. Aber: Das ist eine Ferndiagnose, weil ich die Überflutungsflächen nicht kenne. Ich würde dennoch vermuten, dass das Flutrisiko hier unterschätzt wurde. Möglicherweise ist dieses Extremereignis mit einem Wiederkehrintervall von 200 Jahren zu niedrig gewählt worden. Über die möglichen Ursachen möchte ich nicht spekulieren. Vorsichtig gesagt: Unter normalen Umständen, wenn es kein Hochwasser gibt, sind diese Gefahrenkarten natürlich nicht bei allen so beliebt.

Wie genau sind solche Modelle?

Ein Modell ist immer nur ein vereinfachtes Abbild der Natur und nicht perfekt. Darin sind Fehler, in den Ansätzen, in den Daten. Wir können und wollen die Natur nicht nachbauen.

Zudem sind die Randbedingungen der Modelle unsicherheitsbehaftet, je länger man in die Zukunft prognostiziert, desto größer werden auch die Unsicherheiten in den Ergebnissen. Was man in der Hochwasservorhersage machen könnte – aber auch da sind wir im Forschungsbereich –, man kann so genannte Ensemblevorhersagen nehmen: Man rechnet dann nicht nur ein Szenario, sondern mehrere. Zum Beispiel hat der Deutsche Wetterdienst ein Ensemble mit 20 Szenarien laufen, und unter denen gibt es dann maximale und minimale Werte und Mittelszenarien.

Wie könnte jetzt eine solche Hochwasservorhersage auf Ensemblebasis aussehen? Das meteorologische Modell gibt die Randbedingungen vor, die Regenmengen. Diese fließen in ein hydrologisches Modell, das die Topografie, die Landnutzung und so weiter berücksichtigt.

Link :
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© AG Flood Risk Management HS-MModellierung des Hochwassers 2021 am Unterlauf der Rur

Erstellt von der Arbeitsgruppe Flood Risk Management der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Damit transferiere ich den Niederschlag in Abfluss. Aus 20 verschiedenen Niederschlägen erhalte ich 20 Abflüsse, und bei einem gut kalibrierten Modell bleibt die Unsicherheit relativ klein. Der Abfluss wird nun ins hydrodynamische Modell überführt, das schlicht den Naturgesetzen folgt. Am Ende erhalten wir relativ gute Wasserstände. Aber ich denke, wenn es diese Modelle gibt und sie gut gepflegt sind, liegt die größte Unsicherheit in der Meteorologie. Deshalb macht auch eine Ensemblevorhersage durchaus Sinn.

Was ist mit der kritischen Infrastruktur?

Bei diesem Thema sind wir ganz neu dabei, daran zu forschen. Ihre Relevanz wurde bei den jetzigen Hochwasserereignissen mehr als deutlich. Aber das hat man auch beim letzten Elbehochwasser 2013 hier in Magdeburg schon gesehen, als das Umspannwerk Rothensee auf Teufel komm raus verteidigt wurde. Alle wussten: Wenn das überflutet wird, fällt nicht nur in der Überschwemmungsregion der Strom aus, sondern auch im ganzen Umland, das eigentlich gar nicht betroffen ist. Bekannt ist das Problem irgendwie, aber es ist noch nicht so ganz durchgedrungen; kritische Infrastruktur und Hochwasserrisikomanagement sind noch zwei unterschiedliche Welten.

Wir bekommen im Moment auch viele der Daten nicht. Der Katastrophenschutz macht noch relativ viel im Bereich der kritischen Infrastrukturen, aber mit der langfristigen Planung für vorbeugenden Hochwasserschutz hat das wiederum nicht viel zu tun. Und natürlich veröffentlicht man auch nicht so einfach Daten über kritische Infrastruktur. Wie man das in den Griff kriegt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Man muss dabei nicht jeden kleinen Transformator berücksichtigen. Aber die großen Brocken, die bei diesem Hochwasser anscheinend ausgefallen sind, sollte man natürlich erfassen.

Und der Klimawandel erhöht die Unsicherheit weiter?

Nein, der Klimawandel bewirkt, dass die Häufigkeit der extremen Ereignisse zunimmt. Der Abfluss, der bisher statistisch gesehen einmal in 100 Jahren auftrat, tritt jetzt vielleicht im Mittel alle 70 Jahre ein. Möglicherweise muss man in die Gefahrenkarten ein eigenes Klimaszenario mit aufnehmen, in dem zum Beispiel ein höherer Abfluss eingesetzt wird. Das wird man überprüfen müssen. Und man muss auch mehr und mehr in die nachhaltige Planung reingehen. Das heißt, dass man nicht nur für den Ist-Zustand plant, sondern für das Jahr 2050 oder 2100, und dann mit Klimazuschlag. Das sind natürlich unsichere Szenarien, die zu berechnen sind, aber das sollte man mitnehmen.

Wie geht man mit der Situation um?

Ich denke, dass die Adaption, also die Anpassung an den Klimawandel, wieder stärker in den gesellschaftlichen Diskurs muss. Dass wir nicht nur den Klimawandel verhindern müssen, sondern dass er jetzt schon stattfindet und die Situation verändert. Zum Beispiel werden die Deiche an der Küste bereits mit Klimazuschlag erneuert: Man erweitert die Deichbreite schon so, dass man in zehn Jahren relativ einfach erhöhen könnte.

»Möglicherweise muss man in die Gefahrenkarten ein eigenes Klimaszenario mit aufnehmen«

Denn im Klimawandel sind ebenfalls Unsicherheiten vorhanden. Beim Meeresspiegel reichen Prognosen von 20 Zentimeter bis zwei Meter Anstieg. Deswegen ist es clever, robuste Maßnahmen zu machen, die bei Bedarf erweiterbar sind. Bemerkt man, dass die Prognose doch nicht voll zutraf, und ist mit dem Küstenschutz zufrieden, dann kann man das so lassen. Aber wenn der Meeresspiegel schneller und höher steigt, lässt sich das recht schnell berücksichtigen.

Zum Teil kriegen wir die Anpassung an den Klimawandel also mit vorbeugendem Hochwasserschutz hin. Aber andererseits sind damit auch viele andere Aspekte verbunden. Da ist zum Beispiel das Niedrigwassermanagement, wenn nicht zu viel Wasser da ist, sondern zu wenig wie in den Sommern 2018 und 2019, als die Schifffahrt wegen Niedrigwasser eingestellt werden musste und Kraftwerken das Kühlwasser fehlte.

Hochwasser wiederum kann Talsperren vor Probleme stellen: Jetzt wurden sie zu voll und mussten abgelassen werden. Lasse ich als Betreiber eine größere Reserve für Extremhochwasser, werde ich im heißen Sommer eventuell gefragt, warum die Talsperre denn so leer ist. Deswegen werden uns Hochwasser und Niedrigwasser immer mehr beschäftigen. Die Wasserwirtschaft wird für den Umgang mit dem Klimawandel ganz zentral.

Eine wesentliche Frage ist also, bis zu welchen Punkt Schutzmaßnahmen sinnvoll sind?

Wir müssen natürlich vorbeugenden Hochwasserschutz machen, aber Sie können so viele Maßnahmen machen, wie Sie wollen: Irgendwann werden wieder bei einem Hochwasser Häuser überflutet werden und Menschen betroffen sein. Das muss man ganz klar sagen. Man kann und will sich ja nicht bis zum Ende schützen. Vielleicht könnte man 50 Meter hohe Mauern ans Wattenmeer und an die Flüsse bauen, nur wer möchte das? Es geht darum, die Maßnahmen so zu konzipieren, dass sie ökonomisch, aber auch vor dem Hintergrund der Lebensqualität noch sinnvoll sind.

Was heißt das konkret?

Wir werden Maßnahmen implementieren müssen, um Hochwasser zu verhindern, zum Beispiel Entsiegelung, Aufforstung, Speicherung oder Raum für die Flüsse. Wir können uns aktiv schützen, mit Deichen und Mauern zum Beispiel. Aber man kann eben auch eine andere Strategie fahren, um sich anzupassen, zum Beispiel Häuser auf Stelzen oder generell eine darauf ausgelegte Bauweise.

Ein ganz wichtiger Aspekt bei den Maßnahmen ist ganz sicherlich die Raumplanung. Sie ist der effektivste Schutz vor Hochwasserkatastrophen. Denn der Fluss oder das Meer sind nicht die Bösen, sondern die Leute bauen dort, wo der Fluss einst ausgeufert ist. Sie haben ihn auch oft verengt. Dabei gibt es historisch gewachsene Städte, in denen der Fluss tatsächlich zuvor sichere Bereiche flutet, aber die Menschen haben sich selbst in den Bereich des Flusses gesetzt.

Heute können wir das nur noch zu einem gewissen Grad ändern, wir wollen und können zum Beispiel Hamburg nicht umsiedeln. In einem gewissen Maß müssen wir das Risiko akzeptieren, das vom Wasser ausgeht. Aber dieses Restrisiko müssen wir managen können. Da brauchen wir Warnsysteme und Notfallpläne, und wir müssen Verhaltensmuster für den Ereignisfall einüben. Ich habe drei Strategien genannt: verhindern, schützen, anpassen.

Eine weitere Strategie könnte jedoch auch sein, das Wiederaufstehen nach einem Ereignis so leicht wie möglich zu machen. Versicherungen und staatliche Wiederaufbauhilfe sind dabei wichtig. Im Endeffekt wird man nicht jedes Ereignis verhindern können. Wenn es nur um ökonomische Werte geht, können wir es uns vielleicht leisten, das wieder neu aufzubauen. Bei der Elbeflut wurde die Bahnstrecke unterspült, und alle fragten sich: Warum baut die Bahn denn ausgerechnet im Gefahrengebiet wieder neu auf? Aber die Bahn sagt ganz klar: Wenn wir das verlegen, kostet das so viel Geld, dass wir die Bahnstrecke dreimal neu aufbauen könnten.

Also muss man gucken, welche Schäden man einpreist?

Das geht natürlich nur bei reinen ökonomischen Schäden. Nicht, wenn es um Menschenleben geht oder auch – da fängt es ja schon bei persönlichen Werten an – das Fotoalbum der Familie oder die Festplatte mit den Kinderfotos zerstört sind. Aber wenn die Leute versichert sind oder es einen Hilfsfond gibt, können die Leute, zumindest ökonomisch gesehen, wieder schneller aufstehen.

Was macht denn die Privatperson, um sich auf Hochwasser vorzubereiten?

Im Wasserhaushaltsgesetz von 2009 steht, dass jede Privatperson auch für die Eigenvorsorge verantwortlich ist. Das ist neu. Vorher war Hochwasserschutz eine rein staatliche Sache beziehungsweise wurde so empfunden. Nun werden auch die Bürgerinnen und Bürger vom Gesetzgeber in die Pflicht genommen. Das wissen viele wahrscheinlich noch gar nicht, aber so steht es im Gesetz – was auch richtig ist.

»Welche Dokumente schnappe ich mir als Erstes? Muss man unbedingt das Kinderfotoalbum im Keller aufbewahren? Wo stelle ich vielleicht mein Auto hin?«

Wie betreibt man nun diese Vorsorge? Als Erstes würde ich in die Hochwassergefahrenkarte gucken. Informationsvorsorge ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ein Reporter hatte mich gefragt: Woher soll ich denn wissen, dass ich in Erftstadt von Hochwasser betroffen bin? Da sage ich doch, Moment, das hat Erftstadt doch schon im Namen – den Fluss Erft. Das muss man sich dann schon klarmachen.

Natürlich kann man bei Starkregen auch entfernt vom Fluss betroffen sein. Leider sind die Warnkarten für Starkregenereignisse zum Beispiel an Hanglagen oft noch nicht vorhanden. Aber die Hochwassergefahrenkarten sind der erste Schritt. Dann muss man sich Gedanken machen, was ich im Hochwasserfall mache. Welche Dokumente schnappe ich mir als Erstes? Muss man unbedingt das Kinderfotoalbum im Keller aufbewahren? Wo stelle ich vielleicht mein Auto hin? Vielleicht sollte man das auch einfach besser für die Leute zusammenfassen, zum Beispiel in Form eines analogen oder digitalen Faltblättchens: Wie verhalte ich mich bei Hochwasser? Oder man trainiert ab und an das Verhalten bei Hochwasser in Übungen.

Und letztlich muss man das in einem gewissen Maß mit sich selbst ausmachen; dazu muss man sich der Gefahr natürlich bewusst sein. Das klingt jetzt ein bisschen einfach gedacht für die Opfer, keine Frage, doch man muss das Risiko durch das Wasser bis zu einem gewissen Grad akzeptieren; oder nicht, dann allerdings entsprechende Konsequenzen ziehen. Wenn man aber – im Normalfall – unten am Fluss in den Wiesen steht, dann kann man sich auch sagen: Es ist echt schön, hier zu wohnen. Dafür nehme ich das verbleibende Risiko in Kauf.

Herr Bachmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

Lars Fischer Lars Fischer ist Chemiker und Redakteur bei »Spektrum.de«.


Tip von Ingo

News aus : umwelt.NRW

(Juli.21, umwelt.nrw) , Original : hier

28.07.2021 – Hochwasser: Jetzt akut helfen und für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen

Ministerin Heinen-Esser hat sich in Stolberg über die Lage und die Folgen des Hochwassers informiert: “Es ist erschreckend zu sehen, welche Schäden die Kraft des Wassers anrichtet. Viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Wie Stolberg ist es vielen Gemeinden in NRW ergangen. Landesweit sind viele Menschen zu Tode gekommen. Wir müssen jetzt akut helfen, parallel mit der Aufarbeitung beginnen und die richtigen Schlüsse ziehen.” Mehr…


26.07.2021 – Waldwandel und Klimawandel: Klimafeste Wälder für eine klimagerechte Zukunft

“Erst Stürme, Dürren und Waldbrände, jetzt Starkregen. Die zurückliegenden Jahre zeigen, dass der Klimawandel Realität ist. Von zentraler Bedeutung für den Klimaschutz und die Klimaanpassung ist der Wald. Er ist ein Seismograph des Klimawandels und massiv betroffen”, so Ministerin Ursula Heinen-Esser zum Auftakt der diesjährigen Waldzustandserhebung im Königsforst bei Köln. Mehr…




16.07.2021 – Historisches Unwetter: Wassermassen an zwei Tagen wie sonst in drei Juli-Monaten

Eine derart großflächige und verheerende Hochwasserlage wie in den zurückliegenden Tagen hat es in NRW noch nie gegeben. Darauf hat Ministerin Heinen-Esser am 16. Juli hingewiesen. “Die Wassermassen haben in vielen Regionen bisher gemessene Werte überschritten. Gebot der Stunde ist es jetzt, weitere Folgeschäden zu verhindern und die Betroffenen zu unterstützen”, so die Ministerin bei einem Besuch der Hochwassermeldezentrale in Duisburg. Mehr…


Tip von Ingo

„Wir wohnen hier gerade dem Todesstofß für die Menschheit bei“

(31.07.21, FR)

„Wir wohnen hier gerade dem Todesstofß für die Menschheit bei“
Gespräche an der Abbruchkante:
– Eckart von Hirschhausen und Theresa Krüger
über den Moment, in dem man begreift, dass es so nicht mehr weitergeht, über den nächsten Schritt und die eigentliche K-Frage


Tip von Stefan

Komplizierte Regeln für Erneuerbare Energien — Auch Bürokratie belastet das Klima

(22.07.21, tagesspiegel.de) , Original : hier

Die Politik bekundet gern, beim Klimaschutz jetzt endlich verstanden zu haben, bremst dann aber bei Details. Das gilt für Windräder wie Photovoltaik. Ein Kommentar. Jakob Schlandt

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein, hat die Regierungskoalition beschlossen. Und die EU soll fünf Jahre später folgen. Daran haben manche Klimaaktivisten immer noch zu mäkeln, und man kann tatsächlich trefflich streiten, ob das nun reicht, fast reicht oder doch zu kurz gesprungen ist, weil man die historischen Emissionen nicht miteinbezieht.

Tatsächlich muss die neue Bundesregierung vor allem ein ganz konkretes Problem anpacken. Vom abgekochten Industrielobbyisten bis zu den Hardlinern der Grünen sind sich in einem alle einig: Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, und zwar viel mehr und viel schneller als bisher. Für den direkten Stromgebrauch, aber auch für den Einsatz zur Erzeugung von Wasserstoff als, grob gesprochen, Erdgasersatz.

Da hilft alles nichts, es geht um die Details. Um die Frage – man blicke auf CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und die neuen Regeln im von ihm geführten Nordrhein-Westfalen –, welche Abstände Windräder von Wohngebäuden halten müssen. Um die Frage, wie genau sich Windkraft mit Vogelschutz vertragen kann und ob pfiffige neue Vogelwarnsysteme helfen können.

Besonders bei der naturgemäß recht konfliktarmen Solarkraft – sie verursacht keinen Lärm, versperrt nicht den Ausblick und ist zudem inzwischen günstig – muss die Handbremse gelöst werden. Die gerade zu Ende gegangen Ausschreibung für Photovoltaik (PV) auf Gewerbeimmobilien zeigt, dass deutlich mehr gehen könnte. Da ist zu viel Bürokratie im Spiel. Branchenvertreter kritisieren sowohl, dass der Strom vom Dach nicht selbst verbraucht werden darf, als auch die Bevorzugung großer Anlagen und die kurze Umsetzungsfrist. Innerhalb eines Jahres muss die Anlage laufen.

Viele Gewerbehallen können kaum eine extradicke Schneedecke tragen

Für große Anlagen kommt aber nicht jedes Dach infrage. Viele moderne Gewerbehallen sind zu fragil dafür, sie können höchstens eine dicke Schneedecke tragen. Dennoch ist das Potenzial enorm. Experten schätzen, dass erst zehn bis 20 Prozent der wirtschaftlich nutzbaren Dachfläche für PV erschlossen sind. Rechnet man alle Lager-, Logistik- und Produktionshallen mit mehr als 1000 Quadratmetern Gewerbefläche zusammen, kommt man nach Statistiken aus der Immobilienbranche auf eine Dachfläche von 450 Millionen Quadratmetern.

Es ist ein aktuelles Beispiel unter vielen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat gleich mehrfach in seiner Amtszeit signalisiert, er habe beim Klimaschutz jetzt endlich verstanden. Bei den (vermeintlichen) Details bremste er dann aber wieder und wieder. Für die neue Bundesregierung wird es darum gehen, diesen Widerspruch endlich aufzulösen.


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Wirtschaftsminister Altmaier im Interview „Klimaschutz darf keine Frage des dicken Geldbeutels werden“ Georg Ismar Miriam Schröder


Tip von Ingo

Klimapolitik und Mobilität: Mit dem Auto das Klima schützen

(25.07.21, taz.de) , Originalö : hier

Die Chance für eine bessere Klimapolitik ist da. Die konkreten Auswirkungen müssen den Menschen nur nachvollziehbar erklärt werden.

Stau auf der A40. Immer noch gilt: lieber mit dem Auto statt mit der Bahn

Wie konnte das so schiefgehen? Bei der Sonntagsfrage von Forsa hatten die CDU/CSU Anfang April Zustimmungswerte von 21 Prozent und die Grünen 28 Prozent. Drei Monate später lagen die CDU/CSU bei 30 Prozent und die Grünen bei 19 Prozent. Sicher, ein Teil des Absturzes geht auf das Konto des gescheiterten Baerbock-Buchs. Doch Buch und Lebenslauf erklären nicht alles.

Dabei ist der politische Gegner Armin Laschet eher oberflächlich, verkündet Pyrrhussiege und ändert seine Meinung öfters schon mal. Beispiel: Das verunglückte WDR-Interview mit Susanne Wieseler, der er am Tag der Hochwasserkatastrophe sagte, dass man wegen eines Ereignisses an einem Tag seine Politik doch nicht ändere. Sein Bundesland NRW steht weit schlechter da, als er es anpreist.

Eine groß angekündigte Ruhrkonferenz sollte den Aufbruch für das Ruhrgebiet auslösen und hat sich in kleinteilige Projektgrüppchen zerlegt. Die Olympia-Bewerbung von NRW ist ein Scherbenhaufen. Das von ihm selbst ausgerufene Elektromobilitätsland NRW läuft hinterher. Der Aachener Hochschullehrer und Rotary-Freund Günter Schuh hatte mit viel Trara und Landesgeldern erst den Streetscooter, dann den e.go und dann Pläne einer Batteriezellenfabrik aus der Taufe gehoben.

Es waren die Vorzeigeprojekte für Laschet, auf die er mächtig stolz war. Übrig geblieben ist davon so gut wie nichts. Immer wieder hatte die Laschet-Mannschaft versucht, Batteriezellfabriken in NRW anzusiedeln, aber weder Tesla, noch CATL, noch sVolt, noch Farasis, noch Northvolt oder Stellantis bauen Zellen in NRW. Sie haben sich für Grünheide, Erfurt, das Saarland, Bitterfeld, Salzgitter und Kaiserslautern entschieden.

Elektroautoland NRW blieb Illusion

Die anderen waren erfolgreich, nur das von Armin Laschet ausgerufene Elektroautoland NRW ist gescheitert. Zufall? Noch im Herbst 2019 war „Fridays for Future“ für Laschet eine Schülerbewegung. Wenig ehrlich erklärte er bei der Flutkatastrophe NRW zum Klimaschutz-Vorreiterland. Im Ländervergleich hat NRW im letzten Jahr 25 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen. Das entspricht einem Drittel des CO2-Rückgangs in Deutschland. Was Laschet verschweigt:

NRW stößt dreimal so viel aus wie etwa Bayern oder Baden-Württemberg und pro Einwohner das Doppelte von beiden Bundesländern. Ein Großteil der Einsparung ist das Ergebnis der Abschaltung der Steinkohlekraftwerke. Damit hat Laschet wirklich nichts zu tun. Die Verdienste gehen zurück bis auf den früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und Ex-Kanzler Gerd Schröder. Gern schmückt sich Laschet mit dem Kohleausstieg. Tatsächlich hat NRW den schnelleren Ausstieg mit verhindert.

Oberflächlich, sprunghaft und fadenscheinig prangert Laschet geplante Benzinpreiserhöhungen der Grünen an. Dabei weiß er genau, dass die CO2-Besteuerung in Berlin beschlossen wurde. Immerhin erklärt er höhere Treibstoffsteuern für notwendig, aber den Billigflug nach Mallorca definiert er als eine Art Grundrecht. Jeder müsse sich schließlich den jährlichen Mallorca-Flug leisten können. Warum also verlieren die Grünen im Wettkampf mit Armin Laschet?

Das grüne Wahlprogramm ist ehrgeizig. Aber was bedeutet es für Otto Mustermann, wenn seine Lebenshaltungskosten mit erhöhten CO2-Preisen beängstigend steigen? Das Schlagwort Energiegeld soll es richten. Aber was konkret erhält Mustermann? Allgemeine Aussagen wirken bei staatlichen Abgaben wenig glaubhaft. Dazu kamen die unglücklich verkürzten Interviews, bei denen die Steuer hängen blieb, das Energiegeld aber unter den Tisch fiel. Ähnlich zum Verbot der Inlandsflüge.

Gegen 48 Millionen Autobesitzer ist nicht zu gewinnen

Es macht Sinn, nicht die ganze Welt in einem Satz zu erklären, sondern eine Sache in den konkreten Auswirkungen für den Einzelnen nachvollziehbar zu machen. Was erwartet die Autobesitzer von einer grünen Kanzlerin? Es ist unmöglich, eine Wahl gegen 48 Millionen Autobesitzer gewinnen. Sicher macht es Sinn, Radwege auszubauen. Das unterstützen alle. Sicher muss man die Bahn verbessern. Aber jetzt alles auf die Bahn setzen? Das Klimaproblem wird dadurch nicht gelöst.

Bisher sind Autofahrer von der Bahn wenig begeistert. Wer im Ruhrgebiet Bahn fährt, braucht gute Nerven und ein gefülltes Portemonnaie. Nicht ohne Grund stehen die Menschen lieber im Stau auf der A40. Und die Bahnversprechen sind so alt wie die Republik. Die Hochwasser haben gezeigt, dass es beim Klimawandel fünf nach zwölf statt fünf vor zwölf ist. Alle sind überzeugt, dass wir deutlich mehr tun müssen.

Alle, außer dem Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, der in TV-Interviews verkündet, dass NRW schon viel macht und wir an die Arbeitsplätze denken müssen. Die Chance für eine bessere Klimapolitik ist da. Wir müssen es den Menschen nur sauber erklären und nicht 48 Millionen Dinge wegnehmen, die ihnen wertvoll sind. Mit dem vollelektrischen Auto haben wir die Technik.

Mittlerweile ist das Angebot groß, die Fahrzeuge sind alltagstauglich, die Preise mit den Förderungen fast auf Verbrennerniveau. Sämtliche Risiken, wie Einbußen beim Wiederverkauf oder nicht geplante Reparaturen, lassen sich mit dem Auto-Abo ausschließen. Alle Voraussetzungen sind erfüllt, um ausschließlich abgasfreie Neuwagen zu verkaufen. Was würde passieren, wenn wir den Preis für Benzin und Diesel einfach verdoppeln, also auf 3 Euro statt 1,50 pro Liter Super erhöhen?

Drohte dann eine Gelbwestenrevolte wie in Frankreich? Nein, dieses Drohpotenzial kann neutralisiert werden. Die Lösung: Wer heute ein Auto mit Verbrennungsmotor besitzt, bekommt die zusätzliche Treibstoffsteuer zurückerstattet, genießt also Bestandsschutz. Wer sich aber ein neues Benzin- oder Dieselauto kauft, bezahlt den vollen Spritpreis. Als beste Wahl bliebe dann nur das Elektroauto – und zwar ohne komplizierte Bonus-Malus-Rechenspielchen bei der Kfz-Steuer. Die Chancen für die Grünen sind da. Sie müssen sie nur nutzen.


Tip von Ingo

Förster zur Flutkatastrophe »Dass unsere Umwelt ganz schön kaputt ist, sehe ich jeden Tag«

(25.07.21, spiegel – panorama), Original : hier

Das Hochwasser an der Ahr wurde durch Schäden im Wald verschärft – und wird der Natur am Fluss schaden. Ein Revierförster fordert zum Umdenken auf. Aus dem Ahrtal berichtet Jan Friedmann

Der Förster Jens Willen ist Opfer und Experte zugleich, eine seltene Kombination im Katastrophenfall. Willen hat sein Revier in Reifferscheid in der Eifel. Sein Haus steht hingegen unten im Ahrtal in Schuld. Das ist der kleine Ort am Oberlauf des Flusses, der teilweise zerstört wurde und den Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte.

Die Bundeskanzlerin und ihr Tross beschränkten sich bei ihrem Rundgang auf den Ortskern, wo die Aufräumarbeiten schon weit fortgeschritten sind. Wer zu Jens Willen möchte, muss ein Stück am Fluss entlanggehen, wo entwurzelte Bäume und Kühlschränke liegen, in den Böschungen Dämmplatten und Teile von Wohnwagen.

In dem letzten Abschnitt der Hauptstraße geht es über einen Haufen aus Treibholz; darin liegt, in Plastik verpackt, eine Portion Schweinegulasch. Weiter über bizarr zerrissene Zacken von Asphalt, ein Bach hat sie in die Straße gerissen.

Förster Willen sieht die Flut auch als Umweltkatastrophe – in ihrem Hergang und ihren Folgen.

Es ist eine Perspektive, die wohl immer stärker in den Blick rücken wird. Zurzeit dominieren noch das allgegenwärtige menschliche Leid, die persönlichen Katastrophen. Überall entlang des Flusses, in Schuld wie in anderen Orten, räumen die Menschen auf; sie retten, was zu retten ist, und sie trauern um die Toten aus der Nachbarschaft.

Auch Willen, 61, reinigt mit Freunden und Kollegen das Untergeschoss seines Hauses. Dort unterhielt er auch sein Forstbüro und bewahrte wertvolle Maschinen für den Wald auf, die jetzt kaputt sind. Das Treibgut in seinem Garten hat selbst er, der mit Motorsägen erfahren ist, noch nicht auseinanderbekommen.

Der kranke Wald

In einer Pause berichtet er davon, was er über die Ursache und die Folgen des Hochwassers denkt, das den Fluss in sein Haus brachte. »Dass unsere Umwelt ganz schön kaputt ist, das sehe ich jeden Tag, wenn ich arbeite«, erzählt der Forstamtmann. »Jeden Tag sehe ich kranke Bäume, und meine Aufgabe als Förster ist es, diese kranken Bäume zu entfernen.«

Er sieht einen Zusammenhang zur Flut: Ein trockener, kranker, gelichteter Wald nehme das Wasser nicht mehr so gut auf. Das gelte vor allem dann, wenn er – wie rund um die Ahr – weitgehend auf Steilhänge beschränkt sei, mit Freiflächen oben auf den Kuppen. Von dort schoss das Wasser kaum gebremst in Seitentäler und von dort in die Ahr, die Region weist große Höhenunterschiede auf.

Willen ist schon seit vielen Jahren Revierförster. Er hat beobachtet, wie sich der Zustand des Waldes in den vergangenen Jahren verschlechtert hat – durch Hitze, Trockenheit und wiederkehrende Unwetter. »Die Geschwindigkeit der Wetterwechsel ist immens«, sagt er, das schwäche die Bäume.

Selbst Bestände hundertjähriger Eichen lichteten sich, ganz von selbst. Er halte sich zurück, dort zusätzlich Holz zu schlagen: »Da habe ich seit 25 Jahren keine Axt mehr dran gehabt.« Auch in den anderen Flächen: absterbende Bäume. »Buchen, Ahorn und ganz klar die Nadelbäume, Kiefer, Lärche, Fichte«, alle Arten seien betroffen. »Die einheimischen Baumarten können sehr viel ab, aber ob es auf Dauer reicht, bin ich mir nicht sicher«, sagt Willen.

Hätte ein anderer Wald die Katastrophe verhindern können? Mancher Experte glaubt das nicht, weil die Wassermasse schlicht extrem groß war. In einem aber ist sich Willen sicher: dass ein langfristiges Umdenken notwendig ist, auch in der Region. »Ich denke nicht an meinen Beruf, ich denke vor allem an meine Kinder und Enkel.« Es gelte, längerfristig CO₂ einzusparen und die Intensivlandwirtschaft zu beschränken.

Warnung vor Schadstoffen

Zu den langfristigen Problemen tritt nun ein neues, vor allem unten im Tal. »Die ganze Gewässerökologie ist kaputt«, so der Förster. Überall Müll, kaputte Autos, Öl und andere Schadstoffe. Die gelangten in die Nahrungskette und auf Äcker und Wiesen. Die Behörden warnen die Menschen an der Ahr vor Keimen und Schadstoffen im Wasser. Förster Willen erzählt, bei ihm habe sich schon eine kleine Wunde infiziert, er musste eine Tetanus-Spritze bekommen.

Und überall entlang der Ahr fragen sich die Menschen, wie und wo sie wohl ihre Dörfer wieder aufbauen werden. Die breite Schneise der Verwüstung hat die Trennlinien zwischen Natur und dem von Menschen beanspruchten Territorium neu definiert. Schon nach dem Hochwasser im Jahr 2016 erweiterten Orte am Oberlauf die Kanalisation und bearbeiteten das Flussbett. Es half nichts gegen die Wucht des Wassers.


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Tip von Ingo