Förster zur Flutkatastrophe »Dass unsere Umwelt ganz schön kaputt ist, sehe ich jeden Tag«

(25.07.21, spiegel – panorama), Original : hier

Das Hochwasser an der Ahr wurde durch Schäden im Wald verschärft – und wird der Natur am Fluss schaden. Ein Revierförster fordert zum Umdenken auf. Aus dem Ahrtal berichtet Jan Friedmann

Der Förster Jens Willen ist Opfer und Experte zugleich, eine seltene Kombination im Katastrophenfall. Willen hat sein Revier in Reifferscheid in der Eifel. Sein Haus steht hingegen unten im Ahrtal in Schuld. Das ist der kleine Ort am Oberlauf des Flusses, der teilweise zerstört wurde und den Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte.

Die Bundeskanzlerin und ihr Tross beschränkten sich bei ihrem Rundgang auf den Ortskern, wo die Aufräumarbeiten schon weit fortgeschritten sind. Wer zu Jens Willen möchte, muss ein Stück am Fluss entlanggehen, wo entwurzelte Bäume und Kühlschränke liegen, in den Böschungen Dämmplatten und Teile von Wohnwagen.

In dem letzten Abschnitt der Hauptstraße geht es über einen Haufen aus Treibholz; darin liegt, in Plastik verpackt, eine Portion Schweinegulasch. Weiter über bizarr zerrissene Zacken von Asphalt, ein Bach hat sie in die Straße gerissen.

Förster Willen sieht die Flut auch als Umweltkatastrophe – in ihrem Hergang und ihren Folgen.

Es ist eine Perspektive, die wohl immer stärker in den Blick rücken wird. Zurzeit dominieren noch das allgegenwärtige menschliche Leid, die persönlichen Katastrophen. Überall entlang des Flusses, in Schuld wie in anderen Orten, räumen die Menschen auf; sie retten, was zu retten ist, und sie trauern um die Toten aus der Nachbarschaft.

Auch Willen, 61, reinigt mit Freunden und Kollegen das Untergeschoss seines Hauses. Dort unterhielt er auch sein Forstbüro und bewahrte wertvolle Maschinen für den Wald auf, die jetzt kaputt sind. Das Treibgut in seinem Garten hat selbst er, der mit Motorsägen erfahren ist, noch nicht auseinanderbekommen.

Der kranke Wald

In einer Pause berichtet er davon, was er über die Ursache und die Folgen des Hochwassers denkt, das den Fluss in sein Haus brachte. »Dass unsere Umwelt ganz schön kaputt ist, das sehe ich jeden Tag, wenn ich arbeite«, erzählt der Forstamtmann. »Jeden Tag sehe ich kranke Bäume, und meine Aufgabe als Förster ist es, diese kranken Bäume zu entfernen.«

Er sieht einen Zusammenhang zur Flut: Ein trockener, kranker, gelichteter Wald nehme das Wasser nicht mehr so gut auf. Das gelte vor allem dann, wenn er – wie rund um die Ahr – weitgehend auf Steilhänge beschränkt sei, mit Freiflächen oben auf den Kuppen. Von dort schoss das Wasser kaum gebremst in Seitentäler und von dort in die Ahr, die Region weist große Höhenunterschiede auf.

Willen ist schon seit vielen Jahren Revierförster. Er hat beobachtet, wie sich der Zustand des Waldes in den vergangenen Jahren verschlechtert hat – durch Hitze, Trockenheit und wiederkehrende Unwetter. »Die Geschwindigkeit der Wetterwechsel ist immens«, sagt er, das schwäche die Bäume.

Selbst Bestände hundertjähriger Eichen lichteten sich, ganz von selbst. Er halte sich zurück, dort zusätzlich Holz zu schlagen: »Da habe ich seit 25 Jahren keine Axt mehr dran gehabt.« Auch in den anderen Flächen: absterbende Bäume. »Buchen, Ahorn und ganz klar die Nadelbäume, Kiefer, Lärche, Fichte«, alle Arten seien betroffen. »Die einheimischen Baumarten können sehr viel ab, aber ob es auf Dauer reicht, bin ich mir nicht sicher«, sagt Willen.

Hätte ein anderer Wald die Katastrophe verhindern können? Mancher Experte glaubt das nicht, weil die Wassermasse schlicht extrem groß war. In einem aber ist sich Willen sicher: dass ein langfristiges Umdenken notwendig ist, auch in der Region. »Ich denke nicht an meinen Beruf, ich denke vor allem an meine Kinder und Enkel.« Es gelte, längerfristig CO₂ einzusparen und die Intensivlandwirtschaft zu beschränken.

Warnung vor Schadstoffen

Zu den langfristigen Problemen tritt nun ein neues, vor allem unten im Tal. »Die ganze Gewässerökologie ist kaputt«, so der Förster. Überall Müll, kaputte Autos, Öl und andere Schadstoffe. Die gelangten in die Nahrungskette und auf Äcker und Wiesen. Die Behörden warnen die Menschen an der Ahr vor Keimen und Schadstoffen im Wasser. Förster Willen erzählt, bei ihm habe sich schon eine kleine Wunde infiziert, er musste eine Tetanus-Spritze bekommen.

Und überall entlang der Ahr fragen sich die Menschen, wie und wo sie wohl ihre Dörfer wieder aufbauen werden. Die breite Schneise der Verwüstung hat die Trennlinien zwischen Natur und dem von Menschen beanspruchten Territorium neu definiert. Schon nach dem Hochwasser im Jahr 2016 erweiterten Orte am Oberlauf die Kanalisation und bearbeiteten das Flussbett. Es half nichts gegen die Wucht des Wassers.


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Tip von Ingo

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