Klimanotstandsbrief
Ein
offener Brief des Bochumer Klimaschutzbündnisses
an
den Oberbürgermeister der Stadt Bochum
sowie
die im Rat vertretenen Parteien
Das
„Haus des Wissens“ in Zeiten des Klimawandels
Sehr geehrter Herr Eiskirch,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Ausrufung des Klimanotstandes am 6. Juni des vergangenen
Jahres war und ist eine richtige politische Entscheidung. Denn
insbesondere die Industriestaaten und jede Ihrer Kommunen, jeder
Betrieb und jede*r dort lebende Bürger*in tragen für unsere Umwelt
eine besondere Verantwortung. Mit dem Beschluss erkennen Sie die
Verantwortung unserer Stadt an und sagen den Bochumerinnen und
Bochumern folgendes zu:
„Die
Kommune wird die Auswirkungen auf das Klima sowie die ökologische,
gesellschaftliche und ökonomische Nachhaltigkeit bei jeglichen davon
betroffenen Entscheidungen berücksichtigen und wenn immer möglich
jene Entscheidungen prioritär behandeln, welche den Klimawandel oder
dessen Folgen abschwächen.“
Wir begreifen diese Resolution als Prioritätensetzung und
Startschuss für die dringend
notwendige Beschleunigung aller diesbezüglichen städtischen
Bemühungen sowie als Rahmung sämtlicher städtischen Aktivitäten,
natürlich auch der in der Bochum Strategie 2030 angesiedelten
Projekte.
Bloße Schritte in die richtige Richtung genügen längst nicht
mehr. Wirkungsmächtige Maßnahmen für Klimaschutz und
Klimaanpassung müssen her! Diese sind kein Ballast, vielmehr bieten
sie die Chance für starke Innovationen und die Mehrung der
Anziehungskraft unserer Stadt. Ein nachhaltiger Umgang mit
öffentlichem Raum führt zu Identifikation und positivem Erleben der
Stadt als Ort der Begegnung. Unter der Maßgabe von Klimaschutz und
Klimaanpassung gestaltete Räume verbessern und schützen die
Lebensqualität aller Bochumer*innen in der Zukunft.
Was liegt eigentlich
näher, als dass ein in Zeiten des Klimawandels entstehendes „Haus
des Wissens“ eben selbst Ausdruck und Träger desjenigen Wissens
wird, das wir jetzt und in Zukunft so dringend benötigen? Denn vor
dem Wissen steht das Erlernen und dieses erwächst aus dem Erleben!
Im und am Haus des Wissens könnte erlebbar, greifbar und
begreifbar werden, wie anhand der
sogenannten „grün-blauen
Infrastruktur“ der zukunftsgerichtete Umgang mit
Hitzeperioden, Trockenheit sowie
mit Starkregenereignissen bei
gleichzeitigem Klimaschutz in unserer Stadt funktionieren
kann: Retentionsflächen,
vertikale Fassadenbegrünungen,
multifunktionale Rückhalteräume
und die Nutzung regenerativer Energien helfen hier weiter. Und wir
sehen das Haus des Wissens als einen lebendigen Sozialraum und Ort
für Umweltbildung: urban farming auf und am Gebäude, Workshops für
gesunde Ernährung, Zubereitung und Verkauf von vor Ort erzeugten
Nahrungsmitteln sind innovative Maßnahmen, die es dringend braucht.
Nach der Lektüre der öffentlich verfügbaren Beschreibungen* zum
Architekturwettbewerb wie auch zu dem Bauvorhaben als solches stellen
sich deshalb viele Fragen:
- War eigentlich bei der am 28. Juni 2019 veröffentlichten Wettbewerbs-Auslobung die Klimaproblematik grundlegender Teil des Anforderungskatalogs? Inwiefern zeichnet sich der Entwurf des Preisträgers, des Büros cross architecture, im Hinblick auf die aus dem Klimanotstand resultierenden Notwendigkeiten besonders aus?
- Wie wird erreicht, dass der Gebäudekomplex künftig CO2-neutral betrieben werden kann? Wie wird insbesondere erreicht, dass er nicht mehr Energie verbraucht, als er selbst zu erzeugen vermag und wie sehen Energiekonzept und Primärenergiebilanz des Komplexes künftig aus? Können wir davon ausgehen, dass bei dem Gebäude künftig regenerative Energietechniken umfassend zum Einsatz kommen werden?
- Wie wird bei dieser großen Baumaßnahme erreicht, dass der Energieaufwand für die Herstellung und Verarbeitung der Baustoffe sowie der dabei entstehende Müll möglichst gering, und die spätere Recyclingfähigkeit des Gebäudes umfassend sein werden?
- Auf den Visualisierungen sind u.a. großflächige Glasfassaden erkennbar, die bekannter-maßen für sommerliche Hitze sowohl innerhalb, aber auch in der direkten Umgebung sorgen können. Zudem sorgen sie für unangenehme Spiegelungen und können für Vögel tödliche Fallen darstellen. Wie wird diesen bedeutsamen Nachteilen begegnet?
- Inwiefern werden hier die notwendigen Konzepte sogenannter „blau-grüner“ Infrastruktur zur Klimafolgenanpassung verfolgt? Fassadenbegrünungen, vertikale Gärten oder nennenswerte Wasserflächen sind nicht erkennbar. Dürfen wir davon ausgehen, dass die vorgelegte Visualisierung der Außenansicht mit der traurigen Totalversiegelung im Bereich Willy-Brandt-Platz usw. so nicht zur Ausführung kommen wird?
- Begrüßenswert scheint die Dachfläche des neuen Baukörpers im Innenhof: auf dem Dach der Hofüberbauung soll ein „urbaner Freiraum für die Bochumer“ entstehen, der „gemeinsames Lernen, Erleben und Erfahren in einer digitalen Welt sinnlich zelebriert“. Bevor wir lange in Grübeleien über diese Formulierung verfallen möchten wir lieber konkret nachfragen:
a) Wie wird erreicht, dass diese nach Westen geneigte Dachfläche zu allen Jahreszeiten eine gute Aufenthaltsqualität für alle Bürgerinnen und Bürger bereit hält?
b) Wie wird in bis zu 25 Metern Höhe der Schutz vor Wind und Sonne realisiert?
c) Wie kann hier eine üppige, Schatten spendende sowie insekten- und vogelfreundliche Vegetation entstehen und gepflegt werden?
d) Wie können Nahrungsmittel produziert und die Dachlandschaft vor Austrocknung bewahrt werden?
e) Wie wird Barrierefreiheit für alle Bochumerinnen und Bochumer hergestellt und wie eine Raumbildung erreicht, die für eine Aufenthaltsqualität ebenso wichtig ist? - Abgesehen von der neu entstehenden Dachfläche, deren Machart auch im Hinblick auf Regenwasserrückhaltung und Kleinklima noch weitgehend unbeschrieben ist, scheint bei allen anderen Oberflächen der ungehinderte Regenwasserabfluss in Kauf genommen zu werden. Es stellt sich daher die Frage, wie sich dieses Gebäude künftig in die Notwendigkeiten eines völlig veränderten Umgangs mit dem Niederschlagswasser in unserer Stadt einfügt? Wie sehen die Wasser- und die Regenwasserbilanz für diesen Gebäudeentwurf konkret aus (Stichwort „sponge city“)?
- Zwischen unserer Ernährung und dem Klimawandel besteht bekanntermaßen ein nicht unwesentlicher Zusammenhang. Wird das Marktangebot im Hinblick auf den Klimawandel spezifisch und innovativ ausgerichtet? Dürfen wir damit rechnen, dass das Angebot frisch, regional und biologisch einwandfrei erzeugt sein wird? Wird es auch aus eigener Produktion vor Ort stammen (Stichwort „urban farming“ siehe oben)? Wie wird vermieden, dass Nahrungsmittel aus aller Welt klimaschädlich herangeflogen und herbeigeschifft werden?
- Wie wird in der Markthalle vermieden, dass hier Wegwerfgeschirr wie etwa Coffee-To-Go Becher usw. ausgegeben werden? Wie wird erreicht, dass die Markthalle, anders als üblich, eben nicht zum Anwachsen des Müllbergs beiträgt?
- Im Haus des Wissens werden täglich zahlreiche Besucher*innen erwartet, zudem werden in der VHS, der Stadtbücherei, den universitären Einrichtungen sowie der Markthalle viele Arbeitsplätze verortet sein. Wie wird erreicht, dass all diese Menschen umweltschonend und komfortabel das Haus des Wissens erreichen können und auch erreichen werden? Welche Anreize werden dafür geschaffen, nicht mit dem eigenen PKW zu kommen? Wo können Fahrräder diebstahlsicher aufbewahrt, wo E-Bikes aufgeladen werden?
In der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog sehen wir Ihren
Antworten mit großem Interesse entgegen.
Bochum, den 16. Februar 2020
Gez.: Ihre Bürger*innen des Bochumer Klimaschutzbündnisses
(www.BoKlima.de)
c/o Dr. I. Franke (Sprecher von BoKlima), AkU e.V., Alsenstraße 27, 44789 Bochum
Mailkontakt: presse-boklima-de@boklima.de
Homepage: www.BoKlima.de (noch im Aufbau)
Nächstes öffentliches Plenum des Bochumer Klimaschutzbündnisses:
Mittwoch, 19.2.2020 ab 18.00 Uhr, Umweltzentrum, Alsenstraße 27, Bochum
* Quellenangaben:
https://www.bochum.de/Pressemeldungen/6-Dezember-2019/Architektenwettbewerb-fuer-das–Haus-des-Wissens–entschieden
https://www.cross-architecture.net/hdw-bochum
Und hier als PDF