Klimawandel oder „nur“ Wetter? Was die Wissenschaft dazu sagt.

(16.07.21, deutschlandradio , Original : hier )

Sind diese Starkregenfälle noch ein Teil der bisher üblichen Wetter-Varianz, und welchen Anteil hat die Klimaerwärmung? Das Science Media Center hat Aussagen von Wissenschaftlern zusammengetragen.

Dr. Carl-Friedrich Schleussner

Forschungsgruppenleiter, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, und Head of Climate Science, Climate Analytics

„Im Jahre 2021 stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel dazu beigetragen hat. Die Frage ist nur noch, wieviel. Wir wissen, dass es aufgrund der Erwärmung zu einer Zunahme von Starkregen kommt und damit auch leider zu häufigeren, verheerenden Flutereignissen wie tragischerweise jetzt in Westdeutschland, Belgien und Luxemburg. Gleichzeitig nehmen Wetterlagen zu, die zu solchen Extremwetterereignissen führen.“

Dr. Sebastian Sippel

leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Klimaphysik, Institut für Klima und Atmosphäre, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz

„Es ist nach wie vor sehr schwierig, Einzelereignisse kausal auf den Klimawandel zurückzuführen. Das dürfte auch für den aktuellen Starkregen gelten. Jedoch kann die Attributionsforschung mittlerweile in vielen Fällen aufzeigen – zum Beispiel für viele Hitzeereignisse und Starkregen –, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Ereignisse, wie auch häufig die Intensität solcher Ereignisse, durch den Klimawandel zunehmen. Das ist auch durch physikalische Gesetzmäßigkeiten und Analysen von Trends in Beobachtungsdaten vielfach belegt. In der Attributionsforschung konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Starkregenereignisse im Mai und Juni 2016 in Frankreich, die zu Überschwemmungen an der Seine und Loire führten, durch den Klimawandel etwa doppelt so häufig auftreten. Dennoch kann dies nicht für jedes Ereignis gezeigt werden, denn beispielsweise für Starkregen im Mai und Juni 2013 an Elbe und Donau konnte kein signifikanter Einfluss gezeigt werden. Für das aktuelle Ereignis gibt es noch keine solche Studie. Pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Diese durch Erwärmung zusätzliche Feuchte führt daher in der langfristigen Tendenz zu höheren Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregen. Es ist daher aufgrund dieser einfachen physikalischen Gesetzmäßigkeit davon auszugehen, dass langfristig in den mittleren Breiten Starkregenereignisse zunehmen, obwohl auch die natürliche Variabilität bei Niederschlagsereignissen sehr groß ist – was unter anderem bei potenzieller Zuordnung zum Klimawandel berücksichtigt werden muss. Diese langfristige Zunahme von Starkregenereignissen ist vielfach in Beobachtungsdaten belegt. Abgesehen von der Zunahme von Starkregenereignissen ist insbesondere eine Zunahme von Hitzewellen zu erwarten.“

Dr. Christian Grams und Dr. Julian Quinting

Arbeitsgruppe Großräumige Dynamik und Vorhersagbarkeit, Institute für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphärenforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„In der Nacht zu Donnerstag, 15. Juli 2021, gingen Regenmengen von mehr als 150 Litern pro Quadratmeter in kurzer Zeit über Teilen von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Belgien, Luxemburg, und Nordfrankreich nieder. Wettervorhersagemodelle hatten dieses Ereignis seit Tagen angedeutet und bereits drei Tage im Voraus zeichneten sich für die betroffenen Regionen sehr hohe Niederschlagsmengen ab. Entsprechend warnte der Deutsche Wetterdienst frühzeitig vor extremem Niederschlag und Hochwasser. Leider konnte dennoch insbesondere in den westdeutschen Mittelgebirgsregionen eine Flutkatastrophe nicht abgewendet werden und es sind viele Todesopfer und Sachschäden zu beklagen. Besonders betroffen ist die Eifel, wo beispielsweise der Pegel der Ahr in Altenahr die bisherige Rekordmarke von 3,71 Metern vom Juni 2016 um mehr als 2 Meter übertraf, bis die Messung bei 5,75 Metern ausfiel. Meteorologisch führten verschiedene Faktoren zu den enormen Niederschlagsmengen. Eingebettet in eine stark ausgelenkte Höhenströmung und festgehalten von stationären Hochdruckgebieten über dem Atlantik und Nordosteuropa wurde Tief ‚Bernd‘ in den letzten Tagen nahezu ortsfest über Mitteleuropa. Zunächst steuerte das Tief aus dem Mittelmeerraum sehr feuchte und warme Luft nach Deutschland und löste bereits am Wochenende vielerorts lokalen Starkregen und Hagelunwetter aus. Von Westen wurde gleichzeitig kühlere Atlantikluft herangeführt. Am Mittwoch steuerte Tief ‚Bernd‘ nun die warme Mittelmeerluft von der Nordsee und Osteuropa her zurück nach Süden wo sie über Westdeutschland und Benelux über die kühlere Luftmasse südwärts aufstieg, was zu den extremen Niederschlagsmengen führte. Zusätzlich waren die Böden in Mitteleuropa aufgrund der Niederschläge in den letzten Wochen gesättigt. Das stark gegliederte Gelände der betroffenen Region mit teils tief eingeschnittenen Flusstälern verstärkte weiterhin den Oberflächenabfluss. All diese Faktoren führten zusammengenommen letztlich zur verheerenden Flutkatastrophe von Juli 2021.

Zwangsläufig stellen sich die Fragen, wie ungewöhnlich das Ereignis war, ob es mit dem Klimawandel zu tun hat, und ob man sich in Zukunft verstärkt auf solche Extremereignisse einstellen muss. Von Extremereignissen spricht man, wenn eine Kenngröße, wie zum Beispiel die Niederschlagsmenge, am Rande des Spektrums vergangener Messwerte liegt – zum Beispiel im oberen Prozent der je aufgetretenen Messwerte – oder bisher gemessene Werte sogar überschreitet. Das aktuelle Ereignis lag für viele Kenngrößen außerhalb jeglicher bisheriger Beobachtungen. Die sehr hohen Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, das relativ große betroffene Gebiet und die hohen Abflussmengen kleiner und mittlerer Bäche und Flüsse sind extrem. Vergleichbare Wetterlagen betrafen in der Vergangenheit eher das Erzgebirge und die Alpen. Doch sollte das Augenmerk auf dem hohen Wassergehalt der Luftmasse im Kontext der Klimaerwärmung liegen. Der Wassergehalt erreichte Werte, die statistisch gesehen nur alle 40 Jahre zu erwarten sind. Physikalische Gesetze sagen uns, dass wärmere Luftmassen mehr Wasserdampf speichern können – in etwa 7 Prozent mehr pro Grad Celsius Erwärmung. Dieser steht dann für Niederschlag zur Verfügung. Dies verändert die Stärke möglicher Niederschlagsereignisse, so dass auch bisher unbeobachtete Extremniederschläge möglich werden. Dabei können in Zukunft bei entsprechenden meteorologischen Faktoren die kurzfristigen Extremniederschläge auch mehr als 7 Prozent ansteigen.

Daher ist es so, dass wir vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung generell bei uns mit mehr und stärkeren Extremereignissen rechnen müssen. Dies betrifft nicht nur Starkregenereignisse, sondern auch Hitze- und Dürreperioden. Denn wäre die Höhenströmung einige tausend Kilometer nach Westen verschoben, würden wir jetzt eine Hitzewelle erleben wie gerade in Nordosteuropa oder bei uns in den letzten Jahren. Und auch solche Hitzewellen werden vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung extremer als bisher beobachtet. Dass ortsfeste Wettermuster – wie zuletzt häufig beobachtet – durch den Klimawandel verstärkt auftreten, wird von vielen Expert*innen vermutet und ist gegenwärtig Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung.“

Dr. Friederike Otto

Geschäftsführende Direktorin des Environmental Change Institute (ECI), und Associate Professor, Climate Research Programme, University of Oxford

„Bei den extremen Niederschlägen, die wir in den letzten Tagen in Europa erleben, handelt es sich um Extremwetter, deren Intensität sich durch den Klimawandel verstärkt und mit zunehmender Erwärmung weiter verstärken wird. Das wissen wir sowohl aus der Physik als auch von Beobachtungen und Klimaprojektionen. Allerdings ist die Erhöhung der Häufigkeit des Auftretens solcher Starkregenfälle geringer als bei Hitzeextremen. Dass derartige Starkregenfälle so dramatische Konsequenzen haben, liegt zu einem großen Teil an der Versiegelung der Böden.“

Dr. Jakob Zscheischler

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Erdsystem-Modellierung: Biogeochemische Kreisläufe, Institut für Klima und Umweltphysik (KUP), Universität Bern, Schweiz

„Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Klimaforschung vorausgesagt, dass extreme Niederschläge mit dem Klimawandel stärker ausfallen und häufiger vorkommen werden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen kann, welcher dann bei einem Niederschlagsereignis als Regen fällt. In den letzten Jahren konnte man diesen Zusammenhang auch von Beobachtungsdaten ableiten und damit die Theorie bestätigen. In der Zukunft werden solche Starkniederschläge also noch extremer werden, solange wir weiterhin CO2 ausstoßen.“

Prof. Dr. Stefan Rahmstorf

Professor im Fach Physik der Ozeane, Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Das Wettergeschehen ist heute immer ein Zusammenspiel aus dem üblichen Wetterzufall und den veränderten Randbedingungen durch die stark erhöhte Treibhausgasmenge in unserer Atmosphäre. Bei Hitzerekorden sind manche derart extrem, dass sie ohne Erderwärmung praktisch unmöglich wären, wie jüngst im Westen Nordamerikas. Bei Niederschlagsextremen ist die Zunahme noch nicht so groß, weil die natürlichen Schwankungen im Vergleich zum Effekt der Erderwärmung stärker sind. Man kann daher nicht sagen, ob dieses Ereignis eine Folge der Erderwärmung ist, aber man kann festhalten, dass derartige Ereignisse durch die Erderwärmung häufiger werden.

Schon vor über 30 Jahren haben Klimamodelle vorhergesagt, dass Extremniederschläge häufiger werden, während Tage mit schwachem Regen seltener werden. Das ist eine Folge der Physik: Pro Grad Erwärmung kann die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und dann auch abregnen. Weil mehr Wasser an starken Regentagen fällt, bleibt weniger für den Rest der Zeit. Denn der Wasserdampfnachschub durch Verdunstung nimmt nur um zwei bis drei Prozent pro Grad Erwärmung zu und kann daher die Zunahme um sieben Prozent pro Grad nicht ausgleichen. Die Zunahme der Starkregen und Abnahme von Tagen mit schwachem Regen ist inzwischen auch in den Messdaten gut nachgewiesen, vor allem in den mittleren nördlichen Breiten, zu denen auch Deutschland gehört.

Ein weiterer in der Forschung viel diskutierter Effekt ist die Abschwächung der Sommerzirkulation der Atmosphäre, die zu weniger Wetterwechsel und länger anhaltenden Wetterlagen führt – so werden ein paar heiße Tage zur Hitzewelle, ein ‚steckengebliebenes‘ Tief führt zu Dauerregen. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die Arktis sich in den letzten Jahrzehnten dreimal so stark erwärmt hat wie der Rest der Erde. Dadurch schwächt sich das Temperaturgefälle von den Subtropen zum Pol ab, das die typische Luftbewegung von Westen nach Osten in den mittleren Breiten antreibt.“

Prof. Dr. Douglas Maraun

Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima, Associate Professor Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, Karl-Franzens-Universität Graz, Graz

„Das Unwetter wurde durch Tief Bernd ausgelöst, das feuchte und warme Luft nach Deutschland gebracht hat. Zudem ist das Tief sehr stabil und nur langsam weitergezogen, sodass die starken Regenfälle vor allem auch sehr langanhaltend waren. Laut dem Deutschen Wetterdienst hat es eine vergleichbare Wetterlage zuletzt vor 15 Jahren gegeben. Solche Wetterlagen treten ganz natürlich auch ohne Klimawandel auf, und auch ohne Klimawandel wären die Niederschläge heftig gewesen. Allerdings kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der Klimawandel die Niederschläge gestern um sicher 10 bis 20 Prozent verstärkt hat.“

Auf die Frage, ab wann man von einem Extremwetter-Ereignis spricht, wodurch diese zustande kommen und wie genau man diese auf den Klimawandel zurückführen kann: „Eine genau definierte Grenze gibt es nicht. Man beschreibt die Stärke eines Extremereignisses durch die Jährlichkeit: Alle wie viel Jahre erwartet man im Mittel ein vergleichbares Ereignis? Je nachdem, wer oder was betroffen ist, können unterschiedliche Jährlichkeiten relevant sein: Die Kanalisation ist häufig auf Jährlichkeiten von wenigen Jahren ausgelegt, ein Damm sollte einem 100-Jahres-Ereignis standhalten, ein Kernkraftwerk einem 10.000-Jahres-Ereignis.

Extremereignisse entstehen meist durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zum Beispiel eine auslösende Wetterlage, dazu besonders feuchte und warme instabile Luft, vielleicht auch ein mit Wasser gesättigter Boden, und vielleicht eine zufällig sehr ungünstige Lage: Vor einigen Jahren gab es in Schleswig-Holstein eine Konvergenzlinie, an der feuchte Luft aufgestiegen ist und sich abgeregnet hat. Dummerweise ist das genau über einer Senke passiert, in der sich alles Wasser gesammelt hat. Der Ort Gelting wurde damals überflutet. Der Klimawandel beeinflusst vor allem alle Faktoren, die direkt an die Temperatur gekoppelt sind: Starkniederschläge können stärker werden, weil mehr Luftfeuchte zur Verfügung stehen kann, Hitzewellen werden heißer und Dürren trockener, weil der Boden stärker austrocknen kann. Starkniederschläge können um 7 bis 14 Prozent pro Grad globaler Erwärmung intensiver werden. Aber der Klimawandel kann prinzipiell auch die Häufigkeit und Dauer von Wetterlagen beeinflussen, die Extremwetter auslösen. Wie stark dieser indirekte Einfluss ist, und ob der tatsächlich verstärkend wirkt, ist aber noch unklar.“

Auf die Frage, inwiefern Extremwetter-Ereignisse in naher Zukunft zunehmen werden und welche besonders zu erwarten sind: „Auch hier gilt: Die an die Temperatur gekoppelten Effekte werden relativ schnell spürbar stärker werden. Hitzewellen werden heißer werden, Dürren trockener, Starkregen intensiver. Ihre Häufigkeit und Dauer sind aber sehr stark von natürlichen Klimaschwankungen bestimmt, die in den nächsten Jahrzehnten den Klimawandel überlagern. Es ist deshalb unklar, ob Dürresommer wie der von 2018, Hitzewellen wie die aktuell in Kanada oder Starkregen wie der in NRW in den nächsten 20 bis 30 Jahren häufiger werden. Doch wenn sie auftreten, werden sie heftiger ausfallen.“

Diese Nachricht wurde am 16.07.2021 im Programm Deutschlandfunk gesendet.


Tip von Ingo

Strombedarf der Elektromobilität Woher kommt der Strom für all die E-Autos?

(14.07.21, aus Wirtschaftswoche , Original : hier )

Die EU hat ihr neues Klimapaket vorgestellt. Es wird das Ende des Verbrennungsmotors stark beschleunigen – und den gerade begonnenen Durchbruch des Elektroautos. Die brauchen Strom. Woher kommt der? Wie sauber ist er? Und was bedeuten Millionen von neuen E-Autos für den Strommarkt der Zukunft? 

Dieser Mittwoch, der 14. Juli 2021, könnte in die Geschichte eingehen. Die Europäische Union (EU) hat ihr neues Klimaschutzpaket vorgestellt. Und das hat es in sich. Ihren Treibhausgasausstoß will die EU bis 2030 um 55 Prozent senken. Das hat Auswirkungen auf so gut wie jede Branche, aber auf eine ganz besonders: Der Kohlenstoffdioxid (CO2)-Ausstoß von Autos wird weit drastischer als bisher geplant sinken müssen. Denn anders als Gebäude oder Industrie hat der Verkehr bisher kein CO2 seit 1990 eingespart. Nun sollen neue Pkw gleich 60 Prozent CO2 bis 2030 sparen – gegenüber heute, nicht 1990.

Das ist ambitioniert. Mit gleich vielen oder gar mehr Autos mit Verbrennungsmotor kann das nicht gelingen. E-Autos sollen es also richten. Die Beratungsgesellschaft McKinsey hat errechnet, dass dafür gut 60 Prozent der Neuverkäufe und etwa 20 Prozent aller Autos auf der Straße im Jahr 2030 elektrisch sein müssen. 

Und auch damit klappt es nur, weil die Hersteller ihre E-Autos auf dem Papier mit Null Gramm CO2 je Kilometer Autofahrt anrechnen dürfen. Für Wolfgang Reitzle, Ex-Manager bei BMW, Jaguar, Volvo und Linde, ist das „eine absurde Manipulation“: Denn eigentlich wissen alle, dass das mit der Realität nicht viel zu tun hat. Wer elektrisch fährt, emittiert natürlich indirekt CO2. Der Strom zum Laden der Autos wird noch lange nicht emissionsfrei erzeugt. Kein seriöser Wissenschaftler, kein Tesla– oder VW-Chef und keine Politikerin der vielen Parteien weltweit, die E-Autos massiv fördern, würde ernsthaft etwas anderes behaupten. Nicht die deutschen Grünen, nicht Hollands oder Norwegens Konservative, nicht die US-Demokraten.

Die EU verfolgt mit ihrem Rechentrick ein Doppel-Ziel: Neue Modelle mit Verbrennungsmotor, deren CO2-Ausstoß je Kilometer seit Jahrzehnten kaum noch sinkt und die diesen hohen CO2-Ausstoß auf Jahre zementieren würden, sollen möglichst nicht mehr viele in den Markt. E-Autos dagegen emittieren indirekt in fast allen europäischen Ländern schon heute weniger CO2 als Benziner und Diesel, und sie haben vor allem Potenzial: Gelingt die Energiewende und wird die Kilowattstunde (kWh) Strom künftig mit immer weniger CO2 erzeugt, nähern sich die E-Autos auch physisch dem Ziel, das das Gesetzespapier schon vorgaukelt. 

So weit die Politik. Aber wie viel CO2 verursacht nun wirklich, wer nicht auf 100 Prozent Grünstrom ab 2045 oder später warten will und heute schon ein E-Auto kauft? Und um wie viel Strom für die E-Autos geht es? McKinsey hat berechnet, dass die durch die neuen EU-Ziele bis 2030 benötigten rund 65 Millionen E-Autos den jährlichen Strombedarf der EU gegenüber heute um vier Prozent steigen lassen werden. In Deutschland bräuchte eine komplett elektrische Pkw Flotte von 47 Millionen Autos rund 120 Terawattstunden (TWh) pro Jahr, also etwa 15 Prozent der heutigen Bruttostromerzeugung. Insgesamt würde der Energiebedarf des Verkehrs durch seine Elektrifizierung zwar sinken, weil E-Autos effizienter als Diesel und Benziner sind, aber der Stromverbrauch nähme zu.  

Und wie viel CO2 sparte das ein? Das kommt dann vor allem auf den Strommix an, mit dem man diese E-Autos lädt. Geht man davon aus, dass Elektroautos übers Jahr gesehen ungefähr den Durchschnittsstrom laden, ist ihr indirekter Klimafußabdruck leicht zu errechnen: Man benötigt ihren Verbrauch (in kWh pro Kilometer), und die Menge an CO2, die im Jahresmittel mit dem deutschen Kraftwerkspark pro kWh anfällt.

Im Kraftwerkspark gibt es Wind- und Fotovoltaikanlagen sowie Wasserkraft, Atomkraft und Biogas, also CO2-arme Erzeuger, ebenso wie Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke. 2020 entstanden im Mittel laut vorläufigen Daten des Umweltbundesamts 366 Gramm pro Kilowattstunde deutschen Stroms, immerhin 400 Gramm oder 52 Prozent weniger als noch 1990. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch der E-Autos auf 100 Kilometer von 18 kWh macht das rund 66 Gramm CO2 je Kilometer oder 6,6 Kilogramm auf 100 Kilometer.

Das ist nicht null, wie der Gesetzgeber suggeriert, aber auch weniger als halb so viel wie bei einem Diesel oder Benziner: Hier entstehen pro Liter verbranntem Dieselöl 2,67 Kilogramm CO2 (Benzin: 2,38); bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 6,2 Litern auf 100 Kilometer also 166 Gramm je KM. Dazu kommt jeweils noch eine Vorkette aus Raffinerie, Tankschiff/Pipeline, Förderung und (beim Strom) aus der Erzeugung und dem Transport der Primärenergieträger wie Kohle, Öl, Gas und Uran. Die ist bei beiden Antriebsarten ungefähr gleich groß und im Verhältnis zum Fahrstrom oder Sprit klein, sodass sie für einen groben Vergleich vernachlässigbar ist.

Die Sache mit dem Rucksack

Nicht vernachlässigbar ist dagegen das CO2, das bei der Herstellung der jeweiligen Autos entsteht. Da schleppt das E-Auto seinen CO2-Rucksack in den Vergleich. Im Wesentlichen, weil die Herstellung der großen Antriebsbatterie energie- und damit CO2-intensiver ist als die im Gegenzug wegfallenden Verbrenner-Teile wie Motor, Getriebe, Abgasreinigung, Kühlung, Tank.

Über die Größe dieses Rucksacks kursierten in den Jahren 2017 bis 2019 teilweise grotesk überhöhte Zahlen. Inzwischen weiß man recht gut, wie viel CO2 bei der Batterieproduktion tatsächlich anfällt. Laut dem schwedischen IVL Institut nämlich nur noch halb so viel wie vor einigen Jahren: je nach Standort der Batteriefabrik 60 bis 100 Kilogramm je kWh Akkukapazität. Auch das renommierte Argonne-Institut in Chicago rechnet im weltweiten Mittel mit 73 Kilogramm. Das ergibt bei einem mittelgroßen Akku (55 kWh) etwa vier Tonnen CO2 aus der Batterieherstellung. Das E-Auto braucht also etwa 45.000 Kilometer, bis es gegenüber dem Diesel dank seines nur halb so hohen CO2-Ausstoßes beim Fahren den Rucksack aufgeholt hat. Da moderne Autos ein Vielfaches dieser 45.000 Kilometer halten, ist die Rechnung unterm Strich eindeutig.

Stimmt nicht! Sagte vor zwei Wochen eine Gruppe von sechs Forschenden unter der Führung des Karlsruher Verbrennungsmotorenspezialisten Thomas Koch. Sie argumentieren: Weil E-Autos neue, zusätzliche Stromverbraucher sind, zu denen es eine Alternative gäbe (Diesel und Benziner), laden sie nicht einfach den Durchschnittsstrom. Weil der Anteil der Erneuerbaren im Netz begrenzt und tendenziell zu gering sei, müsse, wenn ein E-Auto ans Netz gehe, das sogenannte marginale Kraftwerk anspringen. Das marginale Kraftwerk ist der Teil des Kraftwerkparks, der hochgefahren werden muss, wenn akut der Strombedarf die Erzeugung übersteigt. Und weil dieses marginale Kraftwerk in Deutschland fast immer fossil sei (Kohle), würden E-Autos tatsächlich einen viel dreckigeren Strom als der Durchschnitt aller Stromverbraucher (Strommix) laden. Klingt logisch, ist aber leider ebenfalls zu einfach gedacht.

Das marginale Kraftwerk

Richtig an Kochs Einwand ist: Der Strom aus dem marginalen Kraftwerk ist CO2-lastiger als der Strommix. Das ist logisch, schließlich lassen sich die emissionsarmen Erneuerbaren wie Wind und Sonne nicht bei Bedarf anknipsen, Gaskraftwerke schon. Man kann aber einem einzelnen Verbraucher-Typus nicht seriös immer den Strom aus dem marginalen Kraftwerk zuordnen. Nach Kochs Logik wäre auch ein Uralt-Kühlschrank mit 1940er-Jahre-Effizienz einem neuen A++ Model vorzuziehen, solange er nur früh genug eingeschaltet wird – nämlich bevor andere, konkurrierende Verbraucher ans Netz gehen.

Und man müsste den dreckigen Marginalstrom allen neu ans Netz gehenden Verbrauchern zurechnen, sofern es nicht-elektrische Ausweichtechnologien gibt, denn sie erzeugen in dieser Logik alle einen vermeidbaren Mehrverbrauch. Man müsste Ölheizungen statt Wärmepumpen fördern, E-Loks durch Dampfloks ersetzen, neue Gas- statt E-Herde in der Küche installieren, und kaputte Glühbirnen gegen Petroleumlampen statt mit LEDs austauschen. Immer wäre der Strommix einfacher zu handhaben und tendenziell auch „grüner“, wenn es die neuen Strom-Verbraucher nicht gäbe.

Electric Vehicle Index Die Deutschen können Elektro Seit elf Jahren misst der Index EVI von McKinsey und der WirtschaftsWoche, welche Länder beim E-Auto führend sind. Deutschland war lange nicht vorne. Das ändert sich gerade. von Martin Seiwert

Selbst wenn man dem Argument folgt, dass E-Autos von allen neuen Verbrauchern die überflüssigsten seien, weil es eine gute Alternative, den Diesel gebe, geht die Rechnung nicht auf. Denn E-Autos sind unbestritten etwa um den Faktor 2,5 Energie-effizienter als Autos mit Verbrennungsmotor. „Es wäre im Gesamtsystem daher sogar effizienter, Diesel in ein Kraftwerk zu schütten und zu verstromen, um damit E-Autos zu laden, als ihn im Auto mit einem schlechteren Wirkungsgrad zu verfahren“, sagt Max Fichtner, Professor für Energiespeichersysteme am Helmholtz Institut in Ulm und am Karlsruhe Institut für Technologie. „Selbst wenn man dem E-Auto die CO2-Emissionen des marginalen Kraftwerksparks zurechnet, wäre es noch weniger CO2 als bei einem Diesel“, so Fichtner.

Mit der Empirie ist die Marginalmix-Theorie kaum in Einklang zu bringen. Denn natürlich laden viele ihr E-Auto auch im Sommer und bei viel Wind, wenn ein Überschuss an Erneuerbaren im Netz ist. Um ein halbwegs realistisches Bild des Stroms zu zeichnen, den Elektroautos bekommen, „braucht man zunächst verlässliche Daten darüber, wann wie viele E-Autos tatsächlich laden. Die muss man dann möglichst zeitgenau mit dem dann jeweils aktuellen Marginalmix abgleichen“, sagt Wolf-Peter Schill, Ingenieur und Ökonom am DIW in Berlin, der zum Strommix forscht.

Solche Modellrechnungen gibt es. Sie zeigen: Es ist nicht möglich, mit einem E-Auto das ganze Jahr fossilen Strom zu laden. Richtig ist aber auch: Solange Erneuerbare nicht in beliebiger Menge zur Verfügung stehen, erhöhen viele neue Verbraucher den Anteil marginaler Kraftwerke. Das gilt für Wärmepumpen ebenso wie für Millionen neuer E-Autos oder spät elektrifizierte Bahnstrecken.

Nachfrage besser auf das Angebot abstimmen

Die Marginal-Theorie übersieht auch, dass die Strom-Nachfrage durch E-Autos flexibel handhabbar ist. „Elektroautos müssen nicht sofort geladen werden, nachdem die Besitzer nach Hause gekommen sind“, sagt Matthias Huber, Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Hochschule Deggendorf. Das ist meistens zwischen 19 und 22 Uhr der Fall, wenn es ohnehin schon eine Nachfragespitze gibt. Doch Elektroautos haben Batterien von 50, 70 oder gar 100 kWh, was dem rund Zehnfachen ihres durchschnittlichen Fahrstrombedarfs pro Tag entspricht. Das bedeutet, sie könnten auch zeitlich flexibel laden, ohne dass die Besitzer am nächsten Tag stranden. Idealerweise würden sie geladen, wenn gerade viel Wind- oder Sonnenstrom im Netz ist.

Dominik Husarek, Energiemarktforscher bei Siemens, hat es im Rahmen seiner Doktorarbeit durchkalkuliert: Welchen Strom laden E-Autos, wenn man die tatsächlichen Lade-Zeitpunkte kennt? Ergebnis: Weder die Mix-Methode noch der Ansatz, dem E-Auto immer den temporär dreckigsten Strom zuzurechnen, bilden die Wirklichkeit ab. Aber der Mix stimmt auf das ganze Jahr gesehen schon eher.

„Anders als bei der reinen Marginalmix-Methode unterstellt, ist der CO2-Ausstoß des Strommix keine Konstante, sondern er ändert sich quasi stündlich“, sagt Husarek. Nach seinen Berechnungen verursachen E-Autos heute zwar etwas mehr CO2 als die weiter oben errechneten 66 Gramm, wenn man nicht einfach den Jahresstrommix annimmt, sondern die tatsächlichen Ladezeitpunkte und den jeweiligen zeitgenauen Mix einbezieht. 75 Gramm sind es laut Husarek. Aber das Potenzial ist immens: „Bis 2030 kann sich dieser Wert um 91 Prozent verringern.“ Allein das flexible Laden je nach Angebot an Grünstrom im Netz senke die Emissionen dabei um 32 Prozentpunkte.

Skandinavien macht es vor

Damit das aber klappen kann, muss der grüne Strom nicht nur erzeugt werden, er muss auch zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Helfen würden flexible Stromtarife, damit die Autobesitzerinnen einen Anreiz haben, nicht sofort zu laden, sondern vielleicht ein paar Stunden zu warten, bis Windüberschuss herrscht. Dazu wären flächendeckend Smart Meter nötig – intelligente digitale Stromzähler, die erfassen, wann welcher Hausanschluss wie viel Leistung zieht und diese Informationen an die Netzbetreiber kommunizieren können. Leider hat Deutschland, anders als Skandinavien, Italien oder Estland, deren flächendeckenden Einsatz gebremst. Eigentlich, so sieht es eine EU-Richtlinie von 2005 vor, sollte bis 2020 jeder Haushalt damit ausgestattet sein. Tatsächlich haben erst 12,3 Prozent der Haushalte einen solchen Zähler. Die Einbaupflicht wurde auf 2032 ausgedehnt. https://cloud.redaktion.wiwo.de/overnighter_Newsletter_SignUp_frame_49?newsletter=a0O2o00000uoFAOEA2

Deutsche Stromkunden profitieren bisher nicht vom schwankenden Grünstromangebot. Dass das möglich ist, macht Skandinavien vor: „Norweger und Schweden laden ihre E-Autos und heizen ihr Duschwasser inzwischen wie selbstverständlich in Zeiten mit viel Stromüberschuss an der Osloer Strombörse Nord Pool“, sagt Marion Nöldgen, Chefin des Stromanbieters Tibber. Die nötige Digitalisierung der Netze haben die beiden Staaten schon vor mehr als zehn Jahren umgesetzt. Schwedens Haushalte sind seit 2009 flächendeckend mit smarten Zählern ausgestattet. Auch in den Niederlanden können 85 Prozent der Stromzähler digital die Verbräuche melden.

Wären die Smart Meter einmal da, wäre die Software auch in Deutschland schnell einsatzbereit. Die Algorithmen, die die Daten zum Angebot von der Strombörse sinnvoll auf die zur Nachfrage abstimmen, tun in Skandinavien bereits ihre Arbeit. Schweden und Norwegen etwa haben schon vor 20 Jahren begonnen, die Daten der Verbraucher in einem zentralen Datenpool auszuwerten.

Die Daten allerdings sind nur das eine. Das Stromnetz muss auch physisch mitspielen. „Man kann keine x-beliebige Strommenge in Echtzeit vom Erzeuger zum Endverbraucher durchleiten, es kann dabei auch zu physischen Engpässen kommen“, sagt Müller. „Für die Integration von Millionen neuer Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen ist das Netz nicht gebaut worden“, so Müller, „an einigen Stellen muss es ertüchtigt werden.“

Schon heute ist der Stromfluss komplex: Die Netzbetreiber müssen bei jedem Stromvertrag, der an der Strombörse abgeschlossen wird, prüfen, ob die Lieferung physikalisch möglich ist. „Wenn nicht, müssen sie das Handelsergebnis von der Börse physisch korrigieren, damit der Stromfluss stattfinden kann, ohne dass ihr Netz an die Grenze gerät“, sagt Müller. Ein bekanntes Beispiel für diesen sogenannten Redispatch ist das Nord-Süd-Gefälle der Windenergie: viel Wind im Norden, viel Verbrauch im industriellen Süden. Ist Windstrom im Angebot und die Industrie meldet Bedarf, „müssen Kraftwerke im Norden heruntergeregelt und im Süden welche zugeschaltet werden, damit der Stromfluss klappt“, sagt Müller. Dieser Redispatch ist teuer, er kommt aus Speicherbatterien oder kleinen Gasturbinen.

Dem Netz hilft deshalb jeder Stromfluss, der gar nicht erst umgeleitet werden muss. Etwa wenn Besitzer von Solaranlagen die selbst erzeugte Energie direkt nutzen, um ihre E-Autos zu laden. „Das schont die Netze und die privaten Geldbörsen“, sagt Strommarkt-Forscher Thorsten Lenck vom Thinktank Agora. Denn Strom aus der eigenen Solaranlage kostet, je nach Standort und Größe, derzeit nur 7 bis 11 Cent pro kWh – rund ein Drittel des Stroms vom Versorger. Immerhin: Rund die Hälfte dieses künftigen Strombedarfs sei „bei näherer Betrachtung flexibel abrufbar, also nicht zeitlich gebunden“, so Energiemanager Marco Wünsch vom Forschungsinstitut Prognos.

Das Potenzial ist also da.

Mehr zum Thema: Seit elf Jahren misst der Index EVI von McKinsey und der WirtschaftsWoche, welche Länder beim E-Auto führend sind. Deutschland war lange nicht vorne. Das ändert sich gerade: Die Deutschen können Elektro


Tip von Ingo

Energiewende : Wirtschaftsministerium sieht steigenden Stromverbrauch

(13.07.21, von golem.de, Original : hier )

Entgegen früherer Aussagen erwartet das Ministerium einen wachsenden Bedarf. Dafür braucht es mehr erneuerbare Energien. Hanno Böck

Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass der Stromverbrauch in Deutschland in den kommenden Jahren deutlich steigen wird. Für das Jahr 2030 erwartet das Ministerium demnach, dass etwa 20 Prozent mehr Strom benötigt wird.

Die Ankündigung überrascht, denn bisher gingen sowohl der Wirtschaftsminister als auch die Bundesregierung von einem leicht sinkenden Strombedarf aus. Dies erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Taz.

Das Problem dabei: Bisher wurde auch der Ausbau der erneuerbaren Energien mit diesen niedrigen Annahmen geplant. Kritik daran gab es schon länger.

So wies etwa das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) bereits Anfang 2020 darauf hin, dass die zu niedrigen Annahmen über den künftigen Stromverbrauch dazu führen könnten, dass die Ausbauziele für erneuerbare Energien nicht erreicht werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2030 65 Prozent des Stroms mithilfe erneuerbarer Energien zu erzeugen.

Andere Experten prognostizieren noch höheren Strombedarf

Die neue Schätzung des Wirtschaftsministeriums wurde in einem Gutachten durch die Firma Prognos ermittelt. Demnach soll der Stromverbrauch 2030 zwischen 645 und 665 Terawattstunden liegen. Zum Vergleich: 2020 lag der Stromverbrauch bei 544 Terawattstunden, im Jahr 2019 bei 519 Terawattstunden. Gegenüber anderen Prognosen sind die Zahlen immer noch niedrig. Das EWI erwartet für 2030 einen Stromverbrauch von 748 Terawattstunden. Erneuerbare Energien und Klimaschutz: Hintergründe – Techniken und Planung – Ökonomie und Ökologie – Energiewende (Deutsch)

Der Grund für den höheren Stromverbrauch ist, dass künftig in vielen Bereichen, die bisher direkt mit fossilen Energieträgern versorgt wurden, direkt oder indirekt Strom genutzt werden soll. Das gilt etwa für die Elektromobilität, Heizungen mit Wärmepumpen und für den Einsatz von grünem Wasserstoff, der mithilfe von Strom aus Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht in Deutschland zur Zeit nur langsam voran. Insbesondere bei der Windkraft sind die Ausbauzahlen drastisch eingebrochen. In den vergangenen zwei Jahren wurden jeweils weniger als 1500 Megawatt neue Windkraftleistung installiert. So geringe Ausbauzahlen gab es zuletzt 1998. Reklame: Hier geht es zu Erneuerbare Energien und Klimaschutz bei Amazon

Themenseiten bei golem.de :

Risikoforschung: “Hohe Spritpreise spürt man sofort, der Klimawandel kommt schleichend”

(04.07.21, aus ‘Die Zeit’ , Original : hier )

Wir wissen, was zu tun ist, aber begreifen die Gefahr nicht, sagt die Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer.

Warum sich der Klimawandel nicht so leicht bekämpfen lässt. Interview: Alexandra Endres

“Hohe Spritpreise spürt man sofort, der Klimawandel kommt schleichend” – Seite 1

Der Klimawandel ist kein Thema unter wichtigen anderen, sondern bedingt viele Risiken unserer Zeit. Das macht träge, angemessen auf ihn zu reagieren, sagt die Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer. Wie lässt sich das ändern? Ein Gespräch über Ausnahmesituationen und vermeintliche Wege aus der Krise, die gleich wieder neue Probleme schaffen

Pia-Johanna Schweizer

leitet am Institute for Advanced Sustainability Studies Potsdam die Forschungsgruppe Systemische Risiken. In ihrer Promotion beschäftigte sich die Soziologin mit der Frage, wie gesellschaftliche Diskurse dazu beitragen können, Risiken einzuhegen.

ZEIT ONLINE: Frau Schweizer, wann haben Sie sich selbst zuletzt in eine riskante Situation begeben?

Pia-Johanna Schweizer: Erst vor ein paar Stunden. Ich habe heute um 12.30 Uhr meine erste Corona-Impfung erhalten und mich sehr darauf gefreut.

ZEIT ONLINE: Obwohl Sie die Impfung als riskant ansehen?

Schweizer: Für mich selbst bewerte ich das Risiko von Nebenwirkungen als gering. Und den Nutzen der Impfung nehme ich gern in Anspruch. Der formale Umgang mit Impfrisiken ist in Deutschland sehr genau geregelt und sie sind durch klinische Studien recht gut erforscht – ebenso wie übrigens das Risiko, sich ungeimpft mit Covid-19 anzustecken, mit allen möglichen Folgen.

ZEIT ONLINE: Sie erforschen systemische Risiken, die ungleich komplexer und schwieriger zu verstehen und abzuwägen sind. Was genau ist das, ein systemisches Risiko?

Schweizer: Es gibt Risiken, deren Ursachen und Wirkungen sich klar verbinden lassen. Mit ihnen umzugehen, ist relativ einfach. Zum Beispiel im Autoverkehr: Geschwindigkeitsbegrenzungen und andere Verkehrsregeln helfen, die Zahl der Verkehrstoten zu senken. Oder am Arbeitsplatz. Dort reduzieren Arbeitsschutzbestimmungen das Risiko von Unfällen. Systemische Risiken sind anders. Newsletter

Sie lösen Wechselwirkungen und Rückkopplungen aus. Deshalb sind sie schwer zu verstehen und noch schwerer zu beherrschen. Sobald man meint, ein systemisches Risiko zu bewältigen, hat man sich zwei neue eingehandelt. Sie lassen sich nicht eingrenzen, weder räumlich – also auf eine bestimmte Region – noch inhaltlich – also auf ein bestimmtes Politikfeld. 

ZEIT ONLINE: Geben Sie bitte ein Beispiel.

Schweizer: Die Corona-Pandemie. Das Virus hat sich rapide über den ganzen Erdball ausgebreitet und seine Auswirkungen betreffen nicht nur das Gesundheitssystem, sondern vielerlei andere wichtige Systeme der Gesellschaft: die Lebensmittelversorgung, das Wirtschafts- und Finanzsystem, die Bildung, die Möglichkeit zur Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben. Und der Klimawandel ist vielleicht das beste Beispiel für ein weiteres systemisches Risiko.

ZEIT ONLINE: Eine gängige Definition von Risiko ist: Man schaut sich die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Ereignis eintritt, und multipliziert sie dann mit dem zu erwartenden Schaden. Ließe sich das Risiko, das der Klimawandel für Deutschland birgt, auf diese Art beziffern?

Schweizer: Das wäre zu einfach. Das Risiko des Klimawandels ist sehr komplex. Wir können zwar abschätzen, wie sich das Klima in verschiedenen deutschen Regionen über die Zeit hinweg entwickeln könnte. Aber wie das Leben der Menschen in Mecklenburg in 50 Jahren aussieht, hängt von sehr vielen Faktoren ab, auch davon, wie die Politik auf den Klimawandel reagiert – und ob die Menschen diese Maßnahmen akzeptieren.

ZEIT ONLINE: Zumindest für die nahe Zukunft lässt sich doch aber relativ genau abschätzen, welche klimatischen Veränderungen auf die deutschen Regionen zukommen. Die Treibhausgase sind ja bereits in der Luft.

Schweizer: Es stimmt, dass wir enorm viel über den Klimawandel wissen. Aber als Gesellschaft tun wir uns schwer, angemessen auf die Risiken zu reagieren, die der Klimawandel mit sich bringt – dabei wird genau von unserer Reaktion abhängen, wie groß der Schaden sein wird, den er letztlich in Deutschland anrichtet.

ZEIT ONLINE: Warum können wir als Gesellschaft nicht so leicht reagieren?

Schweizer: Jedes Individuum nimmt die Realität auf eigene Weise wahr. Daraus eine gemeinsame Risikoabschätzung für die Gesellschaft zu entwickeln, ist kaum möglich. Ich komme beispielsweise aus einer sehr technikgläubigen Familie, in der man stark darauf vertraut, dass man schon eine technische Lösung gegen den Klimawandel finden wird. Durch mein Soziologiestudium habe ich aber eine ganz andere Perspektive. Ich bin eher darauf trainiert, die Dinge kritisch zu hinterfragen. Und dadurch, dass ich seit Jahren zu systemischen Risiken forsche, achte ich ganz genau auf Zusammenhänge: Welche Risiken können weitere Risiken auslösen – oder gar positive Auswirkungen haben?

“Ein Einzelner kann den Klimawandel nicht so leicht beeinflussen”

ZEIT ONLINE: Wie reagieren Sie persönlich auf das Risiko des Klimawandels?

Schweizer: Ich lasse das Auto stehen, wenn ich es nicht unbedingt brauche, und bald will ich es ganz abschaffen. Ich versuche, bewusst zu konsumieren. Den CO2-Ausstoß meiner Einkäufe lasse ich mir von einer App berechnen. Sonst hätte ich gar keine Vorstellung davon, wie viele Treibhausgase beispielsweise die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts verursacht, das ich für meine Kinder kaufe.

ZEIT ONLINE: Reicht das aus? Gegen ein systemisches Risiko wie den Klimawandel bräuchte es doch gesamtgesellschaftliche Maßnahmen. 

Schweizer: Es braucht ein Maßnahmenbündel, das Anreize bietet, dass Individuen ihr Handeln an Maximen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit ausrichten. Zudem ist eine gesamtgesellschaftliche Nachhaltigkeitstransformation notwendig. Mit der Energiewende ist Deutschland bereits auf dem richtigen Weg, auch wenn noch eine längere Strecke vor uns liegt bis zu Netto-Nullemissionen.

ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt es, wie stark man selbst von einem Risiko betroffen ist?

Schweizer: Ich denke, es ist wichtig, ob jemand bereits Erfahrungen mit einem bestimmten Risiko gesammelt hat, beispielsweise mit einer Pandemie. Corona wurde zu Beginn in Deutschland noch von vielen unterschätzt.

ZEIT ONLINE: Verhält es sich mit der Klimakrise vielleicht ähnlich? Lange dachte man, Deutschland sei kaum betroffen. Dass das nicht stimmt, ist mittlerweile klar, aber statt darüber zu diskutieren, wie man dem am besten begegnet, streiten wir über den Benzinpreis.

Schweizer: Dafür gibt es Gründe. Höhere Spritpreise spürt man sofort im Portemonnaie, der Klimawandel aber kommt schleichend. Manche freuen sich womöglich auch auf längere, ausgedehnte Sommer. Ursache und Wirkung des Klimawandels klaffen zeitlich und räumlich stark auseinander, und auch die Frage, wer Verantwortung für den Klimawandel trägt, ist nicht so eindeutig zu beantworten wie beispielsweise die Frage nach den Schuldigen an einem Chemieunfall. Das beeinflusst unsere Risikowahrnehmung eklatant.

Thema: Spritpreise: Wie teuer wird Autofahren nach der Wahl? Ökonomie: Keine Selbstbedienung, bitte!

ZEIT ONLINE: Aber die entscheidenden Punkte stehen doch außer Frage. Der Klimawandel ist gut erforscht. Er ist real, er ist menschengemacht, er bringt uns in Gefahr. Wir können etwas gegen ihn tun, indem wir aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, Wälder abzuholzen, Feuchtgebiete trockenzulegen. Und selbst wenn wir dazu auf manches verzichten müssen: Menschen schränken sich ebenfalls ein, um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen oder um aufs Eigenheim zu sparen. Warum fällt uns das in der Klimapolitik so schwer?

Schweizer: Ein Häuslebauer weiß ganz genau, für wen er spart und mit welcher Strategie er zu seinem Eigenheim kommt. Das Risiko Klimawandel ist im Vergleich dazu kaum zu begreifen. Ein Einzelner kann den Klimawandel nicht so leicht beeinflussen und die Informationen über ihn sind oft widersprüchlich. Deshalb fällt es uns schwer, ihn zu begreifen. Einmal steht das Fliegen im Fokus, dann die Kohle, dann wieder die globale Zementindustrie. Und wie der oder die Einzelne dann darauf reagiert, hängt stark vom sozialen Umfeld ab. Eine Studentin in der Stadt positioniert sich anders als ein Arbeitnehmer auf dem Land, der täglich weite Strecken mit dem Auto pendelt. Und viele Familien können sich den Luxus höherer Benzinpreise unter den derzeitigen Rahmenbedingungen schlicht nicht leisten.

ZEIT ONLINE: Klar, Klimaschutz kostet. Aber kein Klimaschutz ist doch noch viel teurer.

Schweizer: Aber wer zahlt? Die Schäden des Klimawandels treffen die künftigen Generationen. Das macht es schwer, heute zu guten Entscheidungen zu kommen.

Thema: Anders Levermann: Wie verbietet man richtig, Herr Levermann?

ZEIT ONLINE: Ändert sich das, sobald wir die Folgen des Klimawandels stärker spüren?

Schweizer: Ich finde, es gibt eine Sache, die die Corona-Pandemie gezeigt hat: In einer Krise sind viele Menschen in der Lage, mit großer Disziplin harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen, sofern sie überzeugt sind, dass es etwas bringt. Aber irgendwann erschöpft sich das. Die Krise wird zur Routine. Die Menschen gewöhnen sich an die neue Situation und sind dann auch bereit, höhere Risiken einzugehen, um sich wieder so verhalten zu können wie zuvor. Ähnlich könnte es mit dem Klimawandel sein.

ZEIT ONLINE: Grüne, SPD und selbst die FDP versprechen einen sozialen Ausgleich für höhere Benzinpreise. Kann es sein, dass viele das in einer stark polarisierten Debatte gar nicht mitbekommen?

Schweizer: Ich denke schon, dass die Leute es mitbekommen. Vielleicht fehlt es am Vertrauen in die Politik. Wahlkampfversprechen werden nicht immer gehalten. Und in einer repräsentativen Demokratie wie der unsrigen haben die Bürgerinnen und Bürger eben viel weniger direkte Einflussmöglichkeiten als beispielsweise in der Schweiz, wo jeder mitentscheiden kann. Das ändert auch die Risikowahrnehmung und -akzeptanz. Wer an Entscheidungen beteiligt ist, fühlt sich eher für die Folgen verantwortlich.

ZEIT ONLINE: Volksabstimmungen mögen gut sein, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden. Eignen sie sich auch, um sinnvolle Lösungen für komplexe Probleme zu finden?

“Ich habe großes Zutrauen, vor allem in die jüngere Generation”

Schweizer: Bürgerbeteiligung funktioniert ja nicht nur über reine Abstimmungen. Eine andere Form sind Bürgerräte, die sich im Austausch mit Fachleuten eine fundierte Meinung zu einem bestimmten Thema bilden und dann die Politik beraten. Wir müssen die Debatte über mögliche Wege aus der Krise aber auf allen Ebenen führen: im Parlament, wo die Gesetze beschlossen werden; in Bürgerräten und anderen Beteiligungsformaten; mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft; mit Vertreterinnen und Vertretern aller anderen betroffenen Gruppen.

Thema: Bürgerrat Klima: Mit ihnen soll Deutschland klimafreundlich werden Bürgerrat Klima: Was wollen die Bürger sich zumuten?

ZEIT ONLINE: Das klingt sehr unübersichtlich. Wie lässt sich so etwas organisieren?

Schweizer: Das hängt davon ab, um welches Problem es konkret geht. Beim Bau von Windkraftanlagen an Land beispielsweise sind die Zuständigkeiten und die Betroffenen recht klar. In den Kommunen kann man die Menschen leichter beteiligen als in abstrakten Debatten über eine unübersichtliche, komplexe, riesenhafte Krise.

ZEIT ONLINE: Sie haben gesagt, wenn man ein systemisches Risiko in den Griff bekommt, können sich dafür zwei neue auftun. Wie lässt sich das verstehen?

Schweizer: Zum Beispiel haben die Schulschließungen in der Corona-Pandemie zwar das Ansteckungsrisiko eingehegt. Aber sie hatten Bildungsdefizite und auch psychische Probleme bei vielen Kindern und Jugendlichen zur Folge.

ZEIT ONLINE: Wie ist es in der Klimapolitik?

Schweizer: Da gibt es ähnliche Mechanismen. Wenn die Benzinpreise steigen und es keinen finanziellen Ausgleich dafür gibt, können neue soziale Nachteile entstehen, etwa für Haushalte mit geringem Einkommen, die auf ein Auto angewiesen sind. Die Transformation des Energiesystems birgt ebenfalls Risiken. In Zukunft werden beispielsweise Stromangebot, -speicherung und -nachfrage noch stärker digital reguliert werden müssen als bisher, damit es nicht zu Ausfällen kommt. Damit steigt die Anfälligkeit für Hackerangriffe. Für systemische Risiken gibt es keine schnellen, einfachen Lösungen.

ZEIT ONLINE: Haben wir überhaupt eine Chance, ein systemisches Risiko wie den Klimawandel zu stoppen?

Schweizer: Ich habe da großes Zutrauen, vor allem in die jüngere Generation. Es gibt da eine große politische Mobilisierung und viel Gestaltungswillen – und zugleich das Wissen, dass es ganz unterschiedliche Wertvorstellungen gibt und eben nicht den einzig richtigen Weg, um alle glücklich zu machen. Ich denke, das sind gute Voraussetzungen.


tip von Ingo

Studie – Eisschmelze in Grönland kaum noch zu stoppen

(18.05.21, Zdf , Original : hier )

Die Ausrufung eines weltweiten Klimanotstandes ist dringendst notwendig. Wirtschaftliche Aktivitäten sind drastisch zurückzufahren

Das Eis der Arktis schmilzt, zahlreiche Gletscher drohen zu verschwinden. Das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes wird einer Studie zufolge kaum mehr zu stoppen sein.

In Teilen des grönländischen Eisschilds dürfte laut einer neuen Studie bald ein kritischer Kipppunkt überschritten werden, ab dem ein Abschmelzen kaum noch zu stoppen wäre. Aufgrund der steigenden Temperaturen habe die Destabilisierung zentral-westlicher Gebiete bereits begonnen, teilte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) unter Berufung auf Erkenntnisse deutscher und norwegischer Forscher mit.

Das Abschmelzen könnte dann auch bei einer nur noch begrenzten Erderwärmung weiter fortschreiten.

Wir haben Belege dafür gefunden, dass sich der zentral-westliche Teil des Grönland-Eisschildes destabilisiert hat.

PIK-Wissenschaftler Niklas Boers

“Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in der Zukunft zu einem deutlich verstärkten Abschmelzen kommen wird – was sehr besorgniserregend ist”, erklärte der PIK-Wissenschaftler Niklas Boers.

Temperaturen müssten unter vorindustrielles Niveau absinken

Ursache sind demnach Rückkopplungseffekte, wodurch die Erwärmung des Eisschildes schneller voranschreitet, wenn sich seine Höhe verringert. Um dann noch ein Abschmelzen zu verhindern, müsste daher nicht nur die Erwärmung gestoppt werden, sondern die Temperaturen müssten deutlich unter das vorindustrielle Niveau absinken, um wieder die Eisschildhöhe der vergangenen Jahrhunderte zu erreichen.

“Praktisch wird also der gegenwärtige und in naher Zukunft zu erwartende Massenverlust des Eises weitgehend irreversibel sein”, erklärte dazu Boers.

Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir die Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe schnell und deutlich reduzieren und das Eisschild und unser Klima wieder stabilisieren.

PIK-Wissenschaftler Niklas Boers

Gesamter Eisschild könnte vollständig abschmelzen

Nach bisherigen Modellergebnissen ist laut PIK das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes ab einer kritischen Schwelle der globalen Mitteltemperatur von 0,8 bis 3,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau unvermeidlich.

Sobald diese Schwelle überschritten wird, könnte der gesamte Eisschild über hunderte oder Tausende von Jahren vollständig abschmelzen, was zu einem globalen Meeresspiegelanstieg von mehr als sieben Metern und einem Zusammenbruch der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC) führen könnte, die für die relative Wärme in Europa und Nordamerika verantwortlich ist.

Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht in Virginia ganze Wohngebiete. Das Projekt “Blue Line Project” fordert ein Umdenken in der Klimapolitik. Beitragslänge: 1 min Datum: 08.05.2021

Forscher in Ohio: Schneefall im Winter reicht nicht

Zu einem ähnlichen Ergebnis sind im vergangenen Jahr ebenfalls Wissenschaftler der Ohio State University gekommen, die ihre Untersuchung in der Fachzeitschrift “Nature Communications Earth & Environment” veröffentlicht hatten. Ihnen zufolge ist das allmähliche Abschmelzen der Eisdecke auf Grönland wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten.

Die Experten haben Daten zu 234 Gletschern in der Arktis ausgewertet. Die Erhebung umfasst 34 Jahre bis 2018. Ihrem Fazit zufolge dürfte der alljährliche Schneefall im Winter nicht ausreichen, um die Auswirkungen der Schneeschmelze im Sommer wettzumachen.

US-Außenminister Antony Blinken hat zu Beginn einer mehrtägigen Reise nach Dänemark, Island und Grönland die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen getroffen. Die Regierungschefin von Deutschlands nördlichstem Nachbarn empfing den Chefdiplomaten von US-Präsident Joe Biden am Montagmorgen in ihrem Sommersitz Marienborg nördlich von Kopenhagen, wo sie erst im Juli 2020 Blinkens Amtsvorgänger Mike Pompeo begrüßt hatte. Themen des Treffens waren unter anderem der Kampf gegen die Klimakrise, die Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit in der Arktis.

Für den Gast aus Washington standen außerdem eine Audienz bei Königin Margrethe II. sowie Treffen mit Dänemarks Außenminister Jeppe Kofod und den Außenbeauftragten Grönlands und der Färöer-Inseln, Pele Broberg und Jenis av Rana, an. Grönland und die Färöer sind weitgehend autonom, gehören offiziell aber zum dänischen Königreich. Beide streben eine engere Kooperation mit den USA an, die wiederum vor allem aus sicherheitspolitischer Hinsicht ein Interesse an ihnen haben.


Tip von Ingo

Faktencheck : Nein, die Produktion einer Tesla-Batterie verursacht keine 17 Tonnen CO2

(06.07.21, correctiv.org, Original : hier )

Faktencheck

Angeblich verursache die Produktion einer Tesla-Batterie mehr CO2 als ein Verbrennungsmotor auf 200.000 Kilometer, wird auf Facebook behauptet. Das stimmt nicht, wie unser Faktencheck zeigt. (von Matthias Bau 06. Juli 2021)

Behauptung Die Produktion einer Tesla-Batterie stoße 17 Tonnen CO2 aus, so viel wie ein Verbrennungsmotor auf 200.000 Kilometer. Aufgestellt von: Viraler Facebook-Beitrag Datum: 03.06.2021 Bewertung Falsch
Über diese Bewertung Falsch. Die Produktion einer Tesla-Batterie verursacht keine Emissionen von 17 Tonnen CO2. Ein Verbrennungsmotor produziert zudem auf 200.000 Kilometern durchschnittlich deutlich mehr als 17 Tonnen CO2.

Auf Facebook kursiert ein Bild mit Text, auf dem es heißt: „Die Produktion einer Tesla-Batterie stößt 17 Tonnen CO2 aus. Also so viel wie ein Verbrenner in 200.000 km seiner Lebenszeit.” Bisher wurde der Beitrag 10.000 Mal geteilt. 

Eine Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt: Die Behauptung ist falsch. Ein Auto mit Verbrennungsmotor produziert durchschnittlich mehr als 35 Tonnen CO2 auf 200.000 Kilometer. Die Produktion einer Batterie für ein Elektrofahrzeug des Herstellers Tesla verursacht hingegen im schlechtesten von uns berechneten Fall 13 Tonnen CO2-Emissionen. 

Auf Facebook wird behauptet, die Produktion einer Tesla-Batterie wäre klimaschädlicher, als der Betrieb eines Autos mit Verbrennungsmotor
Auf Facebook wird behauptet, die Produktion einer Tesla-Batterie wäre klimaschädlicher, als der Betrieb eines Autos mit Verbrennungsmotor (Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Ein Auto mit Verbrennungsmotor produziert auf 200.000 Kilometern im Schnitt 35 bis 39 Tonnen CO2

Um zu überprüfen, ob der Vergleich korrekt ist, haben wir zunächst berechnet, wie viel CO2 ein Auto mit Verbrennungsmotor im Durschnitt auf 200.000 Kilometer verursacht. 

Laut dem Kraftfahrtbundesamt waren am 1. Januar 2021 in Deutschland 48,2 Millionen PKW mit einem Durchschnittsalter von 9,8 Jahren zugelassen. Zahlen des Bundesumweltamtes zufolge verbrauchten PKW und Kombis im Jahr 2019 durchschnittlich 7,4 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer. Dabei handelt es sich um einen Mittelwert, unabhängig von der Art des Kraftstoffs (Benzin oder Diesel).

Bei der Verbrennung eines Liters Diesel entstehen laut der Helmholtz-Gemeinschaft etwa 2,65 Kilogramm CO2, bei einem Liter Benzin etwa 2,37 Kilogramm CO2. Anhand dieser Angaben können wir den CO2-Ausstoß eines Autos mit Verbrennungsmotor auf 200.000 Kilometer berechnen. Wenn ein Auto im Schnitt auf 100 Kilometern 7,4 Liter Kraftstoff verbraucht, dann verbraucht es auf 200.000 Kilometern 14.800 Liter. 

Den Gesamtverbrauch an Kraftstoff multiplizieren wir mit der Menge CO2, die laut der Helmholtz-Gemeinschaft entsteht, wenn ein Liter Diesel beziehungsweise ein Liter Benzin verbrannt wird. Im Ergebnis entstehen bei der Verbrennung von 14.800 Litern Benzin 35,076 Tonnen CO2. Bei der Verbrennung von Diesel sind es 39,220 Tonnen CO2. 

Die Behauptung im Facebook-Beitrag ist demnach falsch: ein Verbrennungsmotor verursacht im Schnitt auf 200.000 Kilometern etwa doppelt so viel CO2 wie darin behauptet wird. 

Als nächstes schauen wir uns an, ob die angegebenen 17 Tonnen CO2, die bei der Produktion einer Tesla-Batterie entstehen sollen, korrekt sind. 

Inwiefern verursacht die Produktion einer Elektroauto-Batterie CO2-Emissionen?

In Elektroautos werden sogenannte Lithium-Ionen Batterien verbaut. Der Hersteller Tesla vertreibt Elektroautos mit verschieden großen Batterien. Die Leistung der Batterien liegt laut Medienberichten zwischen 50 und 130 Kilowattstunden

Batterien stoßen selbst – anders als die Verbrennung von Kraftstoff – kein CO2 aus, aber bei ihrer Produktion werden Energie und Rohstoffe verbraucht. Als Emissionsquellen von Treibhausgasen nennt eine Studie des Fraunhofer-Instituts von Januar 2020 beispielsweise den Abbau der für die Batterie-Produktion benötigten Rohstoffe. Das sind zum Beispiel Lithium oder Kobalt.

Wie viel CO2 bei der Herstellung dieser Batterien verursacht wird, ist nicht so eindeutig zu beantworten. Ein Bericht der Universität Eindhoven geht davon aus, dass bei der Produktion zwischen 40 und 100 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Batterieleistung anfallen. 

CO2-Äquivalent ist eine Maßeinheit, mit der der Einfluss verschiedener Treibhausgase auf die Erwärmung der Erde so umgerechnet werden kann, dass er mit dem Erwärmungspotential von CO2 vergleichbar ist.  

Produktion einer Batterie verursacht im schlechtesten Fall 13 Tonnen CO2

Eine Studie des schwedischen Umweltforschungsinstituts, die im Jahr 2019 überarbeitet wurde, kam auf Werte zwischen 61 und 106 Kilogramm CO2-Äquivalente Emissionen pro Kilowattstunde Batterieleistung, die produziert wird. Die Studie bezieht ebenfalls den Abbau der benötigten Rohstoffe mit ein, aber auch, aus welchen Quellen der Strom stammt, der bei der Produktion verwendet wird.

Wir berechnen den CO2-Ausstoß für den ungünstigsten Fall, also für eine 130 Kilowattstunden starke Batterie und einen Ausstoß von 106 Kilogramm CO2  pro Kilowattstunde bei der Produktion dieser Batterie. Das ergibt 13 Tonnen CO2. 

Der Wert liegt somit immer noch deutlich unter dem auf Facebook angegebenen und ist etwa dreimal so niedrig wie derjenige, der sich in unserer Berechnung für einen Verbrennungsmotor auf 200.000 Kilometern ergeben hat. Ein Faktencheck der DPA kam zu dem gleichen Ergebnis wie wir. 

Laut Fraunhofer-Institut verursacht die Produktion eines Elektroautos mehr Emissionen als die Produktion eines Diesel- oder Benzinfahrzeugs. Die Nutzung des Elektroautos verursache dann aber wesentlich weniger Emissionen, so dass es am Ende „über seine Lebensdauer 15 bis 30 Prozent niedrigere Treibhausgasemissionen“ verursache als ein konventioneller PKW. 

Update 7. Juli 2021: Wir haben den Satz ergänzt, dass es sich bei dem angegebenen Durchschnittsverbrauch von 7,4 Litern um einen Mittelwert unabhängig von der Art des Kraftstoffs (Benzin oder Diesel) handelt.

Redigatur: Till Eckert, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Studie der Universität Eindhoven „Vergleich der lebenslangen Treibhausgasemissionen von Elektroautos mit den Emissionen von Fahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotoren“: Link
  • Studie des schwedischen Umweltforschungsinstituts „Lithium-Ion Vehicle Battery Production Status 2019 on Energy Use, CO2 Emissions, Use of Metals, Products Environmental Footprint, and Recycling“: Link

Tip von Ingo

Erste „Bochumer Klimaschutzkonferenz für Schulen“

(06.07.21, bochum.de , Original : hier )

Schulgarten der Köllerholzschule mit Insektenhotel
Schulgarten der Köllerholzschule (Quelle: Stadt Bochum)

Am Mittwoch, 30. Juni, fand in Bochum die erste Klimaschutzkonferenz für Schulen statt.

Teilgenommen haben rund 20 Schülerinnen und Schüler sowie zehn Lehrerinnen und Lehrer der Willy-Brandt-Gesamtschule, der Köllerholzschule, des Neuen Gymnasiums, der Hildegardis-Schule, der Matthias-Claudius-Gesamtschule, der Rudolf-Steiner-Schule und der Schiller-Schule. Außerdem präsentierte die Nelson-Mandela-Schule ihre Aktivitäten auf einer extra für die Konferenz eingerichteten digitalen Pinnwand.

Viele Schulen sind schon von sich aus aktiv geworden und setzen in ihrer Einrichtung klimafreundliche Projekte um. So werden auf Schulhöfen bienenfreundliche Beete angelegt und Insektenhotels gebaut, Schülerinnen und Schüler stellen in UpCycling-Kursen und AGs aus alten, vermeintlich nicht mehr brauchbaren Dingen und Verpackungen neue Produkte her, wie Taschen, Blumentöpfe, Schmuck und vieles mehr. Sie motivieren ihre Schulgemeinschaft durch Wettbewerbe und den Bau von Fahrradständern, mehr mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen. In Schulläden werden ökologische Schulmaterialien, faire Süßigkeiten sowie Produkte aus eigener Herstellung – auch aus dem eigenen Schulgarten – verkauft. Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich mit Müllvermeidung und stellen Bienenwachstücher her. Im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht und in Workshops wird in spannenden Experimenten der Frage nach Alternativen zum Verbrennungsmotor, nach erneuerbaren Energien oder aber nachhaltiger Versorgung mit Lebensmitteln nachgegangen. Selbstgedrehte Stop-Motion-Filme halfen dabei, auch komplexe Sachverhalte auf leichte und unterhaltsame Art und Weise verständlich zu machen. 

Schulgarten der Köllerholzschule mit Insektenhotel
Schulgarten der Köllerholzschule (Quelle: Stadt Bochum)

Was die gesamtstädtische Entwicklung betrifft, formulierten die Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer drei Hauptziele: Die Stadt solle autofrei werden, es müsse mehr für das Rad getan werden, der Nahverkehr müsse günstiger werden. Insgesamt solle Bochum grüner und erneuerbar werden – so die Wünsche der Konferenz für Schulen und Stadt. 

Die Bochumer Klimaschutzkonferenz für Schulen fand statt als Online-Veranstaltung im Rahmen des Projektes „Klimaschutz: So machen WIR’s!“. Dieses wird gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durch die Nationale Klimaschutzinitiative.


Tip von Ingo

Klimaschutz durch Tempolimit ; Tempolimit 130: Von “purer Ideologie” bis “zentraler Baustein für Vision Zero”

(, UmweltBundesAmt, Original : hier )

Klimaschutz durch Tempolimit

Wirkung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen auf die Treibhausgasemissionen

Ein generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen kann zum ⁠Klimaschutz⁠ im Verkehrs beitragen. Mit aktuellen Daten zu den Geschwindigkeiten von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auf Bundesautobahnen und detaillierten Werten zu deren Kohlendioxid-Emissionen in Abhängigkeit der Geschwindigkeit wurde die Wirkung eines generellen Tempolimits auf Bundesautobahnen auf die Treibhausgasemissionen des Verkehrs berechnet.

Die Vorgehensweise, Berechnungsschritte, verwendeten Eingangsdaten und getroffenen Annahmen werden in der vorliegenden Kurzstudie detailliert beschrieben. Als Ergebnis werden für ein generelles Tempolimit von 100 km/h, 120 km/h und 130 km/h auf Autobahnen die ⁠Treibhausgas⁠-Minderungen bestimmt. Downloaden


(12.07.21, von heise , Original : hier )

Von “purer Ideologie” bis “zentraler Baustein für Vision Zero”

heise online hat bei verschiedenen Unternehmen und Organisationen nachgefragt, die mit dem Straßenverkehr auf Autobahnen zu tun haben.

So unterschiedlich können die Sichtweisen auf einen Fakt sein. Ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen sei kein Allheilmitteln, denn die Zahl der Verunglückten in Ländern mit einem Limit hebten sich nicht pauschal positiv von der Zahl in Deutschland ab, schreibt das Institut für Zweiradsicherheit (IFZ) in einer Stellungnahme für heise online. “Deutschland liegt hinsichtlich der Getötetenzahlen pro 1000 Autobahnkilometer im europäischen Vergleich im Mittelfeld.” Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) versah in einem Beschluss vom 11. Mai 2020 diesen Umstand mit einem anderen Unterton: “Im Vergleich aller EU-Staaten auf Basis der OECD-Daten liegt Deutschland in der Verkehrssicherheit auf Autobahnen nur im Mittelfeld.”

Der DVR, in dem sich unter anderem Vertreter von Verkehrsministerien, Verkehrsclubs, Versicherer und Wirtschaftsverbände versammeln, hatte sich vor einem Jahr für generelle Tempolimits auf Bundesautobahnen (BAB) ausgesprochen.

Ein generelles Tempolimit sei “pure Ideologie”, meint der AvD, der gegenüber heise online auf seine allgemeinen Standpunkte verweist. Darin schreibt er, mehrspurige Fahrstraßen, also Autobahnen seien statistisch gesehen die sichersten. So sei es 2014 pro 1 Milliarde Kilometer kumulierter Fahrleistung zu 1,6 unfallbedingten Sterbefällen gekommen, Lkw- und Bus-Unfälle eingeschlossen.

Ähnlich sieht es das IFZ; es erklärte, “trotz höherer möglicher Geschwindigkeiten sind Autobahnen in Deutschland hinsichtlich der gefahrenen Kilometer ein vergleichsweise sicherer Verkehrsbereich”. Der Anteil der dort verunglückten Verkehrsteilnehmenden sei relativ gering. “Der detaillierte Blick auf die Gruppe der Motorradfahrenden zeigt, dass von allen verunglückten Kraftradnutzern rund 3 Prozent auf Autobahnen verunglücken. Bei den getöteten Motorradfahrenden ist es ein Anteil von 5,6 Prozent”.

Volkswagen-Chef Herbert Diess, der Autobahnen mit Freiheit in Verbindung bringt, geht ebenfalls auf “Disharmonie” auf Autobahnen ein: “Heute stellen große Geschwindigkeitsunterschiede zwischen einem Lkw mit 80 km/h und einem Pkw mit 250 km/h noch eine Gefahrenquelle dar.” Er meint aber, dass diese in Zukunft leicht vermieden werden könne, und zwar mit intelligenten Verkehrsleitsystemen und autonomem Fahren. Diess kann sich nicht vorstellen, “dass wir in zehn oder 15 Jahren noch in nennenswertem Umfang größere Autobahnunfälle haben werden”.

So wie sich Volkswagen in Sachen Elektromobilität als Vorreiter sieht, durch die auch nach Meinung des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet das Argument Umweltschutz für ein Tempolimit entkräftet wird, sieht sich Mercedes-Benz als “Pionier von Sicherheitstechnologien”. Systeme wie aktive Geschwindigkeitsassistenten würden von den Kunden sehr akzeptiert, schreibt das Unternehmen heise online. “Aus unserer Sicht sollte die Entscheidung der Geschwindigkeitsvorgaben nicht allgemein, sondern zielgenau und angepasst an die Situation erfolgen. Digitale Lösungen können dabei eine intelligente Steuerung des Verkehrs ermöglichen und dynamisch auf Faktoren wie Witterung, Uhrzeit oder Verkehrslage reagieren.” Künftig werde das Thema durch Elektromobilität und autonomes Fahren ohnehin eine andere Relevanz haben.

So passen auch für den Verband der Automobilindustrie (VDA) “analoge Blechschilder” nicht in das digitale Zeitalter, wie der VDA gegenüber heise online erläutert. Eine starre Verkehrsregelung sei nicht mehr zeitgemäß, das Tempo müsse digital an die Verkehrssituation und die Wetterbedingung angepasst werden können.

“Auf einer leeren Autobahn bei trockener Fahrbahn und guter Sicht eine generelle Tempobegrenzung vorzusehen, wird von den Menschen zu Recht als nicht sinnvoll empfunden”, meint der VDA. Dynamische Limits, die sich an der jeweiligen Lage orientieren, fänden unter den Verkehrsteilnehmern nachweislich viel höhere Akzeptanz.

Diesem Tenor folgt auch der BGL, der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung. Er spricht sich gegenüber heise online für eine intelligente Verkehrsführung aus, bei der dynamische Verkehrszeichen die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit der jeweiligen Verkehrssituation anpassen. “Die Praxis zeigt zudem, dass die Akzeptanz dynamischer Geschwindigkeitsanzeigen deutlich höher ist als die von stationären Verkehrsschildern.”

Der VDA meint – im Gegensatz zum ACE –, auf Strecken ohne Tempolimit des deutschen Autobahnnetzes gebe es durchschnittlich nicht mehr Unfälle mit Personenschäden als auf gebremsten Strecken. Auch sei der Klimaeffekt durch ein generelles Tempolimit gering. Die CO2-Emissionen in Deutschland ließen sich durch ein Tempolimit von zum Beispiel 120 km/h um etwa 0,3 Prozent senken. Ein Tempolimit von 130 km/h hätte einen entsprechend noch geringeren Klimaeffekt.

Für den AvD erscheint “wenig plausibel, dass die Einführung einer generellen Tempobeschränkung auf weiteren 1,4 Prozent des deutschen Straßennetzes einen relevanten Effekt auf die CO2-Emissionen und damit auf den Klimaschutz haben soll”. Bei der Angabe des Einsparungspotenzials werde offensichtlich von der falschen Annahme ausgegangen, dass auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit alle Autofahrer permanent mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs seien. Nicht selten sei die Verkehrsdichte auf solchen Strecken so hoch, dass ohnehin kaum mehr als Richtgeschwindigkeit gefahren werden könne. Lasse die Verkehrslage es doch zu, auch schneller zu fahren, werde dies nur von einem Teil der Autofahrer genutzt.

Der ACE, der ein Tempolimit von 130 km/h hervorhebt als “zentralen Baustein, um die Vision Zero zu erreichen”, sieht die Geschwindigkeitsbegrenzung als Antrieb für die deutsche Automobilindustrie, sich durch Innovationen in die Verkehrssicherheitstechnik im weltweiten Wettbewerb zu behaupten. “Insbesondere für den enormen Exportanteil der in Deutschland gefertigten Fahrzeuge ist Höchstgeschwindigkeit weniger ein Verkaufsargument als technischer Fortschritt in Sicherheit sowie in nachhaltigen Antriebsformen mit dem Gütesiegel ‘Made in Germany’. Unter “Vision Zero” versteht der ACE wie die Bundesregierung, möglichst wenige Tote im Straßenverkehr zu erreichen. Die Regierung erwähnte in ihrem Verkehrssicherheitsprogramm allerdings kein Tempolimit für Autobahnen.

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Synthetische Treibstoffe Porsches neue Quelle für grünen Sprit

(09.07.21, von Wirtschaftswoche , Original : hier)

Schafe und Pferdestärken – in der ländlichen Gegend um die südchilenische Stadt Punta Arenas entsteht in den kommenden Monaten eine Anlage zur Herstellung von klimaneutralem Sprit. Der soll künftige Porsche 911 mit Verbrennungsmotor sauber machen.

Der Sportwagenbauer baut gemeinsam mit Siemens Energy die erste Produktionsanlage der Welt auf, die aus Grünstrom CO2-neutrales Benzin macht. Davon dürften auch andere Branchen profitieren. https://player.podigee-cdn.net/podcast-player/podigee-podcast-player.html?id=pdg-59e9ac9b&iframeMode=script

Porsche-Chef Oliver Blume ist bekennender Fan des Elektroantriebs: „Wir werden bis 2025 bereits über 50 Prozent unserer Fahrzeuge elektrisch verkaufen“, sagt er im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen es gar mehr als 80 Prozent der Produktion sein, die mit E-Antrieb ausgestattet ist. Doch Blume weiß auch, dass nicht jedes Modell elektrisch funktioniert.

Der klassische 911-er Sportwagen mit seinem röhrenden Boxermotor und den Glubschaugen-Scheinwerfern etwa – ein Kultauto, das wie kein anderes für die Marke steht. Er soll weiter als Verbrenner vom Band rollen. Damit das die Klimabilanz des Konzerns nicht allzu sehr verhagelt, hat sich Porsche einem Projekt von Siemens Energy und dem italienischen Versorger Enel angeschlossen.

Das Konsortium baut in Chile die weltweit erste Produktionsanlage auf, die Sprit ausschließlich aus Grünstrom, Wasser und Luft herstellt. Was sich nach moderner Alchemie anhört, heißt im Fachjargon Power-to-Liquid-Verfahren.

Podcast – Chefgespräch: Porsche-Chef Blume: „In der Familie habe ich nicht viel zu sagen“

Podcast – Chefgespräch Porsche-Chef Blume: „In der Familie habe ich nicht viel zu sagen“ Blume erzählt im Podcast, warum er das kroatische E-Sportwagen-Start-up Rimac so toll findet, wie der VW-interne Chipbasar funktioniert – und was es mit der shitstorm-verdächtigen Farbe Frozen Berry auf sich hat. von Beat Balzli

Mithilfe von Windenergie werde am Produktionsstandort künftig aus Wasser Wasserstoff hergestellt und aus dem CO2 in der Luft Kohlenstoff herausgefiltert, sagt Blume. Aus beiden Komponenten lasse sich dann grünes Methanol machen und aus dem wiederum Benzin für Autos, Kerosin für Flugzeuge, Treibstoff für Schiffe – allesamt Kohlenwasserstoffverbindungen. Blume will den in Chile hergestellten CO2-neutralen Sprit nicht nur den CO2-Ausstoß der neu ausgelieferten 911-er kompensieren, sondern auch im Motorsport und in der Fahrzeugerprobung einsetzen sowie wenn die Autos in der Fabrik das erste Mal betankt werden.

1,2 Millionen Tonnen Methanol

Die Bauarbeiten für die Anlage sollen noch diesen Monat beginnen, sagt Markus Speith, der das Projekt bei Siemens Energy federführend vorantreibt. Patagonien ist ihm zufolge geradezu prädestiniert, um dort eine solche Produktion aufzubauen. Während ein Windrad in der Nordsee 2000 bis 2500 Stunden im Jahr unter Volllast laufen kann, sind es an der Südspitze von Chile etwa 6000 Stunden. Dadurch ist die Ausbeute und Effizienz extrem hoch, was die Produktionskosten massiv senkt. „Hinzu kommt, dass die Anden verhindern, dass die Region ans chilenische Stromnetz angeschlossen wird. Daher kann man die Windenergie dort gar nicht anders nutzen, als sie in ein transportables Mediumumzuwandeln“, sagt Speith.

Solche „synthetischen Kraftstoffe machen nur dann Sinn, wenn man sie an Orten auf der Welt produziert, wo nachhaltige Energie im Überschuss vorhanden ist“, erklärt auch Porsche-Chef Blume.

In der chilenischen Provinz Magallanes weht ein außergewöhnlicher starker und beständiger Wind, liegt sie doch nicht weit vom Kap Hoorn entfernt, das für extreme Windstärken bei Seefahrern berüchtigt ist. Bild:  imago images

Für die Demonstrationsanlage, die 2022 anlaufen soll, ist anfangs nur eine Windturbine geplant. In der ersten Ausbaustufe aber sollen dann 50 Windturbinen 300 Megawatt liefern. Und in der finalen Stufe 300 große Windräder zwei Gigawatt. Das reicht laut Siemens Energy für etwa 1,2 Millionen Tonnen Methanol im Jahr. Genug für 550 Millionen Liter Fahrzeugbenzin, der Jahresverbrauch von etwa einer Million deutschen Autos.

Mit dem Ausbau der Haru Oni genannten und vom Bund geförderten Anlage sollen auch die Kosten sinken. In der ersten Ausbaustufe rechnet Siemens Energy mit einem Preis von 1,30 Euro je Liter Sprit – einschließlich Transport zur Tankstelle, und das ebenfalls klimaneutral. Bei der zweiten Ausbaustufe, die deutlich vor 2030 erreicht werden soll, ist es gar nur noch ein Euro. Je nachdem, wie viel Mineralölsteuer die Politik aufschlägt, könnte der Sprit also dann mit konventionellem preislich mithalten. 

Das Methanol selbst lasse sich außerdem in der Schifffahrt nutzen. So will etwa die Rederei Maersk ihre Schiffe auf Methanolantrieb umstellen. Eine andere Industrie, die Porsche-Chef Blume zufolge bei dem Vorhaben mitmischen will, ist die Luftfahrt. Die Branche arbeitet zwar an elektrischen oder wasserstoffbetriebenen Flugzeugen für Kurz- und Mittelstrecken. Aber auf der Langstrecke wird sie auch nach dem Jahr 2050 nicht an Kerosin vorbeikommen. Darüber sind sich die Experten einig.

Einziger Ausweg aus der Klimafalle: Es muss klimaneutrales Kerosin her. „Das Kernproblem ist, es gibt bisher kein Verfahren, was den Treibstoff in großem Maßstab zu vernünftigen Kosten herstellen kann“, sagt Manfred Hader, Luftfahrtberater und Partner bei der Strategieberatung Roland Berger. Die Produktion des grünen Sprits könne daher nur über Quoten, die die Airlines verpflichten, sauberen Sprit beizumischen, langsam hochgefahren werden. Das sei ein Prozess von 10 bis 15 Jahren.

Porsche und Siemens Energy sind daher nicht die Einzigen, die an Power-To-Liquid-Anlagen arbeiten. In Norwegen will das Norsk-e-Fuel-Konsortium Europas erste Fabrik zur Herstellung von klimaneutralem synthetischen Flugbenzin aufbauen. 2023 soll sie in Betrieb gehen und 2026 etwa 100 Millionen Liter produzieren. Ein Airbus-Jumbo A380 könnte damit etwa 1000 Mal den Atlantik überqueren. An dem Projekt ist unter anderem das Dresdner Elektrolyse-Start-up Sunfire beteiligt, aber auch das Schweizer Unternehmen Climeworks.

Auch in der Wüste wird geplant

Ein weiteres Projekt will Siemens Energy mit Partnern in Abu Dhabi aufziehen. Das dort gewonnene klimafreundliche Flugbenzin soll an die Lufthansa und Etihad Airways gehen. Das Konsortium will dieses aus Wasserstoff gewinnen, der mithilfe von Solarenergie erzeugt wird. Der nötige Kohlenstoff wird hier allerdings aus einer Müllverbrennungsanlage kommen. Der ist dann zwar nicht komplett CO2-neutral, aber ein erster Schritt.

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Und der ist wichtig, denn der Druck auf die Luftfahrt wird zunehmen, prophezeit Berater Hader. Synthetischer Sprit sei der einfachste Weg, den CO2-Ausstoß der Flieger einzudämmen, ohne an die Betankungstechnik an Flughäfen ran zu müssen, oder an das Flugzeugdesign selbst. Wasserstoff- und Elektroflugzeuge erfordern da höhere Infrastrukturinvestitionen.

Zwar gibt es auch grünes Flugbenzin, das aus Pflanzenölen hergestellt wird. So richtig nachhaltig ist das aufgrund des Wasser- und Flächenbedarfs aber nicht. In einer Studie der Beratung Roland Berger heißt es außerdem: „Während aus Pflanzenölen und Fetten hergestelltes nachhaltiges Flugbenzin zurzeit am preisgünstigsten ist, wird es wahrscheinlich aus Grünstrom hergestelltes sein, das am ökonomisch wettbewerbsfähigsten sein wird, wenn die Preise für erneuerbare Energie fallen.“

Keine Massenalternative zum E-Auto

Da auf Flugbenzin anders als bei dem an der Tankstelle kaum Steuern aufgeschlagen werden, wird der Weg zur Wettbewerbsfähigkeit hier wohl etwas schwieriger. Vor der Coronakrise kostete der Liter konventioneller Sprit etwa 45 Cent, beim Höchststand des Ölpreises 2008 waren es um die 70 Cent. Ob sich diese Preise mit Power-to-Liquid in absehbarer Zeit erreichen lassen, bezweifeln Fachleute momentan. 

Daraus, dass die Flugindustrie auch künftig auf Sprit setzt, den Rückschluss zu ziehen, dass dies für die Masse der Autos auf der Straße eine ebenso sinnvolle Lösung wäre, hält Porsche-Chef Blume für falsch. „Die Elektromobilität hat eine deutlich bessere Energieeffizienz“, sagt er im Podcast. Luftfahrt und Schifffahrt hätten anders als die Autobranche „in Zukunft keine anderen Möglichkeiten“, als weiter auf synthetischen Treibstoff zu setzen. Batterien würden in einem Containerfrachter oder einem Langstreckenflugzeug einfach zu viel Platz wegnehmen.


Tip von Ingo

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