Nach dem Hochwasser: Umdenken beim Klimaschutz? Eher nicht

(24.07.21, WAZ )

Auf Bilder der Katastrophe reagieren viele mit großer Empathie. Warum Experten trotzdem nicht mit einer grundlegenden Verhaltensänderung rechnen. Es sind Bilder einer Katastrophe, die viele Menschen sehr betroffen machen: Die Folgen des Hochwassers, das in NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern Existenzen zerstört, Häuser beschädigt und Menschenleben gekostet hat, haben eine Welle der Hilfsbereitschaft und viel Mitgefühl ausgelöst.

Zugleich hat die Flut ein Thema wieder in den Fokus gerückt, das von der Corona-Pandemie lange Zeit ins Abseits gedrängt worden war: den Kampf gegen den Klimawandel. Es gab kaum eine politische Stimme zum Hochwasser, die sich in den vergangenen Tagen nicht zum Klimawandel und seinen Folgen aufs Wetter geäußert hat. Sputen müssten wir uns, mehr Tempo machen, den Weckruf der Natur hören.

Doch was bleibt, wenn Häuser und Brücken aufgebaut, Bahnstrecken und Straßen repariert worden sind? Wie nachhaltig sind Zusagen der Politik? Und was verändert die Flut beim Einzelnen? Leben wir bald klimafreundlicher?


Tip von Ingo

Szenarien zur Energieversorgung 100 Prozent Erneuerbare? So könnte es klappen

(23.07.21) aus tagesspeigel.de , Original : hier

Kritiker sind skeptisch, doch das DIW hat nachgerechnet: Deutschland kann seinen Energiebedarf bald komplett aus erneuerbaren Energien decken. Marion Koch

Ganz auf fossile Brennstoffe, auf Braunkohle, Steinkohle, Erdgas und auch Atomkraft zur Energieversorgung verzichten – das geht offenbar doch. Deutschland könnte seinen Bedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken, wenn das Ausbautempo bei Wind- und Solarenergie stark gesteigert wird, ergeben Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Das gab die Energieökonomin Claudia Kemfert, Leiterin der DIW-Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, bekannt. Möglich werde das in zehn bis 15 Jahren nicht nur für die Stromnachfrage, sondern für die gesamte Energienachfrage.

„100 Prozent erneuerbare Energien sind technisch möglich und ökonomisch effizient“, sagte Kemfert. Für die aktuelle Studie berechneten die Wissenschaftler Szenarien einer Vollversorgung auf der Grundlage von Photovoltaik, Windkraft an Land und auf See und anderen erneuerbaren Energien.

Keine Atomkraft mehr, keine Kohle – wo soll dann der Strom herkommen?

Das Thema wird kontrovers diskutiert. Weil Deutschland seine Klimaziele erreichen muss, bis Ende 2022 aus der Atomkraft aussteigt und bis spätestens 2038 Schritt für Schritt aus der Kohle, geht es um die Frage, woher der Strom dann kommen soll – und ob die erneuerbaren Energien den kompletten Bedarf decken.

Laut der DIW-Studie würde zwar der Trend zur Elektrifizierung stark steigen und dadurch auch mehr Strom gebraucht. Die Wissenschaftler gehen von über 1000 Terrawattstunden aus, im Jahr 2018 lag der Bedarf bei 500 Terrawattstunden. Der gesamte Energieverbrauch sei aber mit 1200 Terrawattstunden weniger als halb so hoch wie 2018, als er bei 2600 Terrawattstunden gelegen habe.

Zwei Szenarien haben die Forscher entwickelt: Beide fußen auf einem Erzeugungsmix erneuerbarer Energien in ganz Europa

….

Wichtig dabei sei, dass das Potenzial für erneuerbare Energien in allen Regionen vorhanden sei. Es werde bisher nur sehr ungleich genutzt, sagt DIW-Forschungsdirektor für internationale Infrastrukturpolitik und Industrieökonomie, Christian von Hirschhausen. https://cdn.podigee.com/podcast-player/podigee-podcast-player.html?id=pdg-fcb8be2&iframeMode=script

Die Vollversorgung sei dadurch nicht gefährdet. Darauf ließen Berechnungen schließen, bei denen die Forscher:innen Stromerzeugung und Stromverbrauch im Winter zum Zeitpunkt der niedrigsten Einspeisung von Sonnen- und Windenergie gegenüberstellten. „Hohe Anteile fossiler Erdgasverstromung im Netzentwicklungsplan für Deutschland sind die Schatten einer Energiepolitik von gestern“, sagt Kemfert.

Wir brauchen mehr Windräder

Malte Küper vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sieht die Studie indes kritisch: „Das DIW hat Potenziale beleuchtet, die tatsächliche Umsetzung bei gleichzeitigem Erhalt der Versorgungssicherheit ist aber sehr ambitioniert, zumal allein die Anzahl der neuen Windräder in den letzten Jahren viel zu langsam gestiegen ist“, erklärt der IW-Referent für Energie auf Anfrage.

Auch den Verzicht auf außereuropäische Importe von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen hält Küper in Anbetracht der benötigten Mengen nicht für sinnvoll, da hier große Potenziale ungenutzt blieben. Das Ausbautempo bei Wind- und Solarenergie allerdings müsse tatsächlich stark zulegen.

Die fossile Stromversorgung hat weltweit ihren Zenit bereits im Jahr 2018 überschritten. Das besagt eine Studie zweier Nichtregierungsorganisationen, die auch am Mittwoch vorgestellt wurde.

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Weil Sonnen- und Windenergie immer weniger koste, würden viele Entwicklungsländer Kohle und Gas beim Ausbau ihrer Energieversorgung quasi überspringen, erklärten die britische Initiative Carbon Tracker und das indische Institut CEEW. Grundlage der Untersuchung sind die Daten und Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA und der OECD. mit AFP/dpa


Tip von Ingo

Wetterextreme: das neue Normal? – Leschs Kosmos (ZDF)

(20.07.21) , ZDF , Original : hier ; bzw. direkt von MediaThekView : hier

Dramatische Bilder: Bei der Hochwasserkatastrophe im Westen und Süden Deutschlands haben mehr als 150 Menschen ihr Leben verloren. Werden solche Wetterextreme angesichts der Klimakrise zum Normalfall?
31 min Verfügbarkeit: Video verfügbar bis 20.07.2026

Professor Harald Lesch geht in der Sondersendung den Fragen nach, die sich jetzt stellen: Was ist über die Ursachen der Flutkatastrophe bekannt, und was ist in der Zukunft zu erwarten? Und er holt sich Expert*innen ins Studio: Klimaforscherin Professor Friederike Otto von der Universität Oxford und Professor Christian Kuhlicke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung.

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Wie kam es zu den Überschwemmungen?

In verschiedenen Regionen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und auch im Süden, etwa im Berchtesgadener Land, herrscht vielerorts der Ausnahmezustand. Gegenden, in denen niemand eine Katastrophe solchen Ausmaßes vermutet hätte. Wieso hatte der Starkregen gerade in diesen Gebieten solche Auswirkungen? Heftige Unwetter und langanhaltender Starkregen mit Niederschlagsmengen von über 180 Litern pro Quadratmeter wurden gemessen. Damit gab es an einem einzigen Tag mehr als doppelt so viel Regen wie sonst in einem ganzen Monat. Das Problem war die sogenannte Trogwetterlage: Drei aufeinanderfolgende Tage bleibt das Wetter unverändert. Das ist kein neues Phänomen, doch bis Ende der 1960er Jahre trat eine solche Trogwetterlage durchschnittlich an 14 Tagen im Jahr auf. Seit 1970 hat sich die Anzahl der Tage auf etwa 28 Tage verdoppelt.

Verwüstete Straße in Ahrweiler, Rheinland-Pfalz
Ein kleines Dorf im Kreis Ahrweiler wurde weitgehend zerstört und überflutet.
Quelle: dpa

In den betroffenen Regionen spielten auch die topographischen Bedingungen eine große Rolle. Wenn 150 Liter in bergigen Landschaften niedergehen und die Hänge runter rauschen, dann kann ein kleiner Fluss fünf bis sieben Meter anschwellen und schnell zu einem lebensgefährlichen Strom werden. Das Wasser ist dann kaum zu bewältigen. Vor allem weil die Böden zum Teil kaum Wasser aufnehmen können. Täglich werden 52 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Seit 1992 ist der Anteil versiegelter Flächen in Deutschland um 20 Prozent gestiegen. Manche Gegenden wirken auf den ersten Blick naturbelassen. Doch rund die Hälfte der gesamten Fläche ist geprägt von der Landwirtschaft. Rollen Fahrzeuge oder Maschinen über die Felder, wird je nach Gewicht Druck auf die Böden erzeugt. Dadurch werden die Bodenpartikel dichter zusammengedrückt, die Böden so sehr verdichtet, dass Regenwasser und Wasseransammlungen nicht mehr richtig versickern können. So können Landschaften, denen man es auf den ersten Blick nicht ansieht, zu Katastrophengebieten werden.

Faktoren, die die Krise verstärken

Seit wir Menschen fossile Brennstoffe im Megamaßstab verheizen, haben wir etwa zwei Billionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet. Ein großer Teil ist wieder aus der Luft verschwunden. Denn ein Viertel des vom Menschen freigesetzten CO2 haben die Meere aufgenommen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die einzellige Alge Emiliania huxleyi, die gigantische Algenblüten bildet: Sie panzert sich mit Kalkplättchen, in denen Kohlenstoff gebunden ist. Sterben die Algen ab, sinken sie samt ihrer „Rüstung“ auf den Meeresgrund. Dabei entziehen sie der Atmosphäre viele Gigatonnen CO2 pro Jahr. Doch C02 in Verbindung mit Wasser bildet Kohlensäure. Dadurch wurden die Ozeane in den vergangenen 50 Jahren um fast 30 Prozent saurer. Versauerte Ozeane bedrohen Korallen, Fische und Kleinstlebewesen – und auch die Alge Emiliana selber. Die Folge: Sie vermehrt sich schlechter und bildet keine Algenblüten mehr. Das heißt, die Ozeane sind in ihrer Funktion als CO2-Puffer, also als Klimawandelbremse, deutlich geschwächt.

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Wie können Extremwetterlagen entstehen?

Dauerregen, der sich oft wochenlang hält, extreme Kälteeinbrüche oder – wie gerade entlang der Westküste der USA – Hitzerekorde mit verheerenden Folgen. Das Wetter spielt weltweit immer häufiger verrückt. Extremwetter scheinen zur Regel zu werden.
Forschende gehen davon aus, dass die Extremwetterlagen etwas mit dem Höhenwind, dem Jetstream, zu tun haben. Er zirkuliert an der Grenze zwischen Troposphäre und Stratosphäre in acht bis zwölf Kilometern Höhe und erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro Stunde. Seit Jahren schon beobachten Forschende, dass der Jetstream schwächer wird und dadurch instabil. Die Ursache sehen sie in der rasanten Erwärmung der Arktis. Wenn das Eis schmilzt, wird von den dunklen Flächen mehr Sonnenlicht absorbiert. Seit 1971 hat sich die Polarregion dreimal schneller als der Rest der Erde erwärmt. In der Folge verringert sich der Temperaturunterschied zwischen Arktis und Tropen, der Jetstream verliert an Kraft. Er beginnt zu mäandern. Dadurch kann beispielsweise heiße Saharaluft bis weit in den Norden vordringen. Im Sommer 2019 war sie verantwortlich für den Hitzerekord in Deutschland. Auch die aktuelle Flutkatastrophe sehen Forschende im Zusammenhang mit dem geschwächten Jetstream. Expertinnen und Experten warnen, dass wir in Zukunft häufiger mit Extremwettern jeglicher Art rechnen müssen.

Alarmierende Prognosen

Die Prognosen, wie sich die globale Durchschnittstemperatur in Zukunft verändert, wenn wir so weitermachen wie bisher, sind alarmierend: Laut Weltklimarat könnte die Erwärmung um 1,5 Grad Celsius im Jahr 2030 erreicht sein, und um zwei Grad schon etwa 15 Jahre später. Welchen Unterschied auch nur ein halbes Grad mehr macht, haben Forschende ermittelt. Hier vier Beispiele:

Grafik Meeresanstieg bei Klimaerwärmung

Rotterdam – Leben mit der Flut

In der niederländischen Küstenmetropole Rotterdam müssen die Menschen ständig mit Hochwasser rechnen. 80 Prozent der Stadt liegen unter Meeresniveau. Das Risiko einer Überflutung ist hier allgegenwärtig. Doch der größte europäische Hafen ist mit einem umfassenden Hochwasserkonzept gesichert. Und auch im Rest der Stadt gibt es viele kleine und flexible Hochwasserlösungen. Alles ist auf die Macht des Wassers ausgerichtet. Auch auf die Wassermassen aus der Luft. Bei Trockenheit ist der Benthemplein bei Schülern einer angrenzenden Schule ein beliebter Spielplatz. Doch bei Starkregen wird die Fläche zu einem großen Rückhaltebecken. Später lässt man das aufgestaute Wasser von hier in den Hafen ablaufen. Auch jeder Quadratmeter, der nicht mit Beton versiegelt ist, hilft beim Hochwasserschutz. Immer mehr Dächer werden in Rotterdam bepflanzt. Bei Starkregen wird so das Wasser aufgenommen und dann nur noch zum Teil und vor allem erst viel später in die Kanalisation abgegeben. Ganz Rotterdam ist ein einziges großes Wasserlabor. Unzählige Pilotprojekte wurden hier entwickelt. Niederländische Architekten sind berühmt dafür, dass sie ständig auf der Suche sind nach neuen Formen des Wohnens am Wasser. Sogar ganze Siedlungen haben sie schon aus schwimmenden Häusern gebaut. Die Gebäude sind nicht nur hochwassersicher, sie schaffen auch neue Flächen. Eine Antwort auf den steigenden Platzbedarf in den großen Küstenstädten der Welt.

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Weltraum-Tourismus: “Es geht mal wieder ums Geschäft” — trotz Klimakrise: teuer Umweltschädlich …

(20.07.21) WDR 5 Morgenecho – Kommentar , Original : hier

Verfügbar bis 20.07.2022. WDR 5. Von Katharina Wilhelm.

Audio

Jeff Bezos schaut aus dem Fenster der Blue-Origin-Kapsel Audio starten,

Weltraum-Tourismus: “Es geht mal wieder ums Geschäft” –
– Raumfahrttourismus: Nutzloses Spielzeug einer Elite? –

Drei US-Milliardäre liefern sich ein Weltraumrennen. Es gehe darum, einen Plan B zur Erde zu finden. Das sei zynisch, kommentiert Katharina Wilhelm. Denn in der Klimakrise seien die Milliardäre und ihre Unternehmen Teil des Problems.

Studie: Wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann – Wuppertal Institut stellt mögliche Eckpunkte für 1,5-Grad-Ziel vor

(13.10.20 , Wuppertal Institut , Original : hier )

  • Pressemitteilungen 13.10.2020

Die Gletscher schmelzen, die Meeresspiegel steigen, Hitzewellen und Starkregen nehmen zu: Die Folgen des Klimawandels sind weltweit sicht- und spürbar und das Zeitfenster zum Handeln verkleinert sich. Um die weltweiten Auswirkungen des Klimawandels deutlich zu begrenzen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen auf der Erde drastisch reduziert werden. Die von der internationalen Staatengemeinschaft im Jahr 2015 in Paris beschlossene Vereinbarung gibt das Ziel vor, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst aber auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Nun legte das Wuppertal Institut eine Studie mit möglichen Eckpunkten vor, die helfen können, das 1,5-Grad-Ziel bis 2035 zu erreichen. Die Studie zeigt, dass ein klimaneutrales Energiesystem bis 2035 zwar sehr ambitioniert, aber grundsätzlich machbar ist; sofern alle aus heutiger Sicht möglichen Strategien gebündelt werden. Notwendig dafür ist vor allem ein Vorziehen und Intensivieren von Maßnahmen, die in vielen Studien als notwendig beschrieben werden, um Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen.

Um einen angemessenen Beitrag für das Erreichen der 1,5-Grad-Grenze leisten zu können, wird Deutschland bis etwa 2035 auf ein klimaneutrales Energiesystem umstellen müssen. Die Forschenden des Wuppertal Instituts haben in der Studie “CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze” untersucht, welche Transformationsschritte und -geschwindigkeiten notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen. Die Studie, die das Forscherteam mit finanzieller Unterstützung der GLS Bank für Fridays for Future Deutschland erarbeitet hat, stellten sie heute in Berlin während einer Pressekonferenz vor. Ergebnis der Studie: Ein klimaneutrales Energiesystem bis 2035 ist zwar sehr ambitioniert, aber grundsätzlich machbar, sofern alle aus heutiger Sicht möglichen Strategien gebündelt werden.

Das im vergangenen Jahr beschlossene Klimaschutzgesetz der Bundesregierung sieht vor, dass Deutschland bis 2050 treibhausgasneutral wird. Dies ist allerdings nicht vereinbar mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) geht davon aus, dass in Deutschland CO2-Neutralität schon bis etwa 2035 erreicht werden muss, wenn ein angemessener Beitrag zum globalen 1,5-Grad-Ziel geleistet werden soll. Die über CO2 hinausgehenden Treibhausgasemissionen müssen danach ebenfalls sehr schnell sinken. Der SRU legt dabei zugrunde, dass die Pro-Kopf-Emissionen weltweit gleich verteilt werden und Deutschland keinen überproportionalen Anteil beanspruchen darf. Doch wie lässt sich dieses Ziel noch rechtzeitig erreichen? Hierzu versucht die Studie Diskussionsimpulse zu geben.

“Um eine Chance zu haben, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, müssten die deutschen Emissionen insbesondere in den kommenden fünf Jahren – und damit vor allem in der nächsten Legislaturperiode – dramatisch abnehmen” mahnt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts.

“Ein fairer Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze kann nur noch geleistet werden, wenn die kommende Bundesregierung die Transformation des Energiesystems als Kernthema angeht und ihre Politik konsequent auf das Ziel eines klimaneutralen Energiesystems bis 2035 ausrichtet. Ohne schnelle CO2-Emissionseinsparungen und eine Priorisierung von Klimaschutz in allen Politikbereichen dürfte das nicht zu schaffen sein”, betont Dr. Sascha Samadi, Mitautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut.

Um das 1,5-Grad-Budget einzuhalten, sind unter der Voraussetzung weltweit gleicher Pro-Kopf-Emissionen CO2-Minderungen von mindestens minus 60 Prozent bis 2025 und mindestens minus 85 Prozent bis 2030 (jeweils gegenüber 1990) erforderlich. Denn entscheidend dafür, die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels erheblich verringern zu können, sind die kumulierten Emissionen. Eine gleichmäßige, lineare Minderung bis 2035 ist dafür allerdings nicht ausreichend (siehe Grafik).

Die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude im Fokus

In ihrer Studie untersuchten die Forschenden des Wuppertal Instituts auf der Basis bestehender Energieszenarien und weitergehender Überlegungen, wie sich CO2-Neutralität besonders in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude bereits bis 2035 umsetzen ließe. Dafür sind aus ihrer Sicht unter anderem folgende Maßnahmen erforderlich:

In der Energiewirtschaft müssten die Ausbauziele der Bundesregierung von Wind- und Solarenergie insgesamt mindestens 25 Gigawatt pro Jahr betragen – mehr als eine Verdopplung gegenüber den aktuellen Zielen der Regierung.

  • Insbesondere der Ausbau der Windenergie an Land (Onshore) müsse in Schwung gebracht werden ­– hier sind nach Ansicht der Forschenden mindestens 7 oder besser 10 Gigawatt pro Jahr erforderlich.
  • Für ein CO2-neutrales Energiesystem ist Wasserstoff – unter anderem für die Stahlerzeugung – unerlässlich. Bisher sieht die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung frühestens 2035 eine Elektrolyse-Leistung von lediglich 10 Gigawatt vor. Für ein klimaneutrales Energiesystem bis 2035 müssten bis dahin allerdings voraussichtlich 70 bis 90 Gigawatt an installierter Kapazität erreicht werden, sofern nicht bereits 2035 klimaneutrale Energieträger in sehr großem Umfang importiert werden können.

In einigen energieintensiven Industriebranchen erreicht rund die Hälfte der Industrieanlagen in den kommenden zehn Jahren das Ende ihrer vorgesehenen Lebensdauer.

  • Diese Anlagen müssen durch klimaverträgliche neue Prozesse ersetzt werden, zudem müssen bestehende Anlagen bis 2035 auf nicht-fossile Technologien umgestellt werden, sofern sie weiter in Betrieb bleiben sollen.
  • Zusätzlich muss ein Wasserstoff-Pipelinenetz innerhalb weniger Jahre errichtet werden, da Wasserstoff für viele Industriebereiche den zentralen Schlüssel für die Umstellung darstellt.
  • Damit die klimaneutralen Schlüsseltechnologien einen Preisvorteil gegenüber den konventionellen CO2-intensiven Technologien erreichen, muss der CO2-Preis schon kurzfristig deutlich ansteigen.
  • Zum Schutz gegen die Verlagerung von CO2-Emissionen und zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist ein effektiver„Carbon-Leakage-Schutz“ notwendig, also Maßnahmen, die vermeiden, dass CO2-intensive Produktionsverfahren in Länder mit weniger strengen Klimaschutzvorgaben verlagert werden. Zentrale Elemente dafür können Instrumente wie Carbon Contracts for Difference, die zielorientiert Preisdifferenzen überwinden helfen, im Verbund mit oder Produkt- beziehungsweise Klimaabgaben sein.

“Auch, wenn möglicherweise noch Unsicherheiten über die langfristig beste Lösung bestehen, muss der Aufbau der Infrastruktur für eine klimaneutrale Industrie schon heute beginnen. Andernfalls reicht die Zeit für den Umbau gegebenenfalls nicht aus. Daher müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden und die Umsetzung sehr schnell beginnen”, betont Dr. Georg Kobiela, ebenfalls Mitautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut.

Der Verkehr in Deutschland muss für die Zielerreichung CO2-Neutralität bis 2035 erheblich verringert werden. Verantwortlich für den hohen Energiebedarf ist maßgeblich der Auto- und Lkw-Verkehr. Im Vergleich zur Bahn benötigt ein Auto mit Verbrennungsmotor das 4,8-fache an Energie pro Kilometer und Person, ein Lkw sogar das 5,6-fache pro Tonne und Kilometer gegenüber der Güterbahn. Den Verkehr betreffende Schritte sind insbesondere:

  • Konsequente Maßnahmen für Verkehrsvermeidung und -verlagerung
  • Beschleunigte Einführung alternativer Antriebe, vor allem Elektro-Pkw
  • Signifikant höhere CO2-Preise auf fossile Kraftstoffe als zentrales Anreizinstrument
  • Parallel dazu: Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wie Steuerbefreiung von Flugbenzin, Dieselprivileg, Dienstwagenprivileg, Subventionen für Regionalflughäfen, bevorzugter Investitionen in Straßenbau und stattdessen beschleunigter Ausbau von öffentlichem Verkehr, Rad- und Fußinfrastruktur.

Im Gebäudebereich ist eine massive und nie dagewesene Steigerung der energetischen Sanierungsrate auf eine Höhe von etwa 4 Prozent pro Jahr notwendig ­– aktuell liegt die Rate bei lediglich rund 1 Prozent.

  • Für die Steigerung der energetischen Sanierungsrate ist ein umfassender Maßnahmenmix notwendig, der etwa von einer verpflichtenden Sanierung beim Immobilienverkauf oder -erbe über eine wirkungsvolle CO2-Bepreisung bis hin zu einer Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive im Handwerk und beschleunigter Einführung innovativer Verfahren wie industrieller Vorfertigung von Sanierungselementen reicht.
  • Heute liegt der Anteil an installierten fossilen Heizungen noch bei fast 80 Prozent, mit der Zielsetzung CO2-Neutralität müsste schon kurzfristig eine Trendumkehr erfolgen. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode müsste die Entscheidung getroffen werden, dass keine neuen fossile Heizungen mehr installiert werden dürfen. Stattdessen sollte der Fokus bei neu eingebauten Heizungen zukünftig auf Wärmepumpen liegen.

Die skizzierten Szenarien zur Zielerreichung bis 2035 erfordern in allen Sektoren die parallele Umsetzung vielfältiger Maßnahmen. Sie stellen jeweils für sich stehend schon große Herausforderungen dar und erfordern beispiellose politische Anstrengungen. Auch Unternehmen müssen bereit sein und die Möglichkeit haben, den Transformationsprozess mitzugestalten – ohne die globale Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. “Um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, ist vor allem aber die breite Zustimmung der Gesellschaft notwendig. Dafür muss der Transformationpfad gerecht ausgestaltet und soziale Aspekte berücksichtigt werden”, betont Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick.

Pressemitteilung

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

VisdP: Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer
Kontakt: Christin Hasken, Leitung Kommunikation
E-Mail: christin.hasken@wupperinst.org


Weitere Informationen

Links

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Pressebilder

CO2-Emissionspfad
Die Grafik zeigt den beispielhaften CO2-Emissionspfad zur Einhaltung des deutschen 1,5-Grad-Budgets bis 2035, inklusive des Zielpfads der Bundesregierung. Quelle: Wuppertal Institut auf Basis des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), 2020
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© 2021 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH


Tip von Ingo

Hochwasser in Bochum (Ruhrort)

(16.07.21, Bilder eigene BG , WAZ , )

xx


Nie war die Ruhr in Bochum so hoch wie am Donnerstag. Am Tag danach ist die Lage nur etwas entspannt. Viele Bilder des Jahrhunderthochwassers.

Der Pegel der Ruhr in Bochum hat am Donnerstag die Marke von sieben Meter gerissen — der höchste Stand, der je gemessen wurde. ‟Eine solche Hochwasserlage in unserem Einzugsgebiet hatten wir seit den 1960er Jahren nicht mehr,” so eine Sprecherin des Ruhrverbandes. Starkregen Hochwasser in Bochum: Trinkwasserversorgung nicht gefährdet

Um wie viele Zentimeter der Ruhrpegel die Sieben-Meter-Marke genau überschritten hat, war am Donnerstag noch nicht zu ermitteln. Mitarbeiter vom Ruhrverband vor Ort konnten den Pegel nicht ablesen, da die Pegellatte komplett unter Wasser war.

In Bochum wurden viele Häuser geflutet, sie stehen gerade in Dahlhausen zum Teil bis zum Erdgeschoss unter Wasser. Unsere Redaktion war vor Ort — und hat viele Bilder mitgebracht. Leichte Entwarnung gab es am Freitag. Der Pegelstand beträgt etwa sechs Meter.

weitere WAZ-Infos :
https://www.waz.de/staedte/bochum/hochwasser-rund-um-die-schwimmbruecke-id232806867.html
Hochwasser in Bochum : Häuser können noch nicht abgepumt werden


Tip von Brigitte

Klimawandel oder „nur“ Wetter? Was die Wissenschaft dazu sagt.

(16.07.21, deutschlandradio , Original : hier )

Sind diese Starkregenfälle noch ein Teil der bisher üblichen Wetter-Varianz, und welchen Anteil hat die Klimaerwärmung? Das Science Media Center hat Aussagen von Wissenschaftlern zusammengetragen.

Dr. Carl-Friedrich Schleussner

Forschungsgruppenleiter, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, und Head of Climate Science, Climate Analytics

„Im Jahre 2021 stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel dazu beigetragen hat. Die Frage ist nur noch, wieviel. Wir wissen, dass es aufgrund der Erwärmung zu einer Zunahme von Starkregen kommt und damit auch leider zu häufigeren, verheerenden Flutereignissen wie tragischerweise jetzt in Westdeutschland, Belgien und Luxemburg. Gleichzeitig nehmen Wetterlagen zu, die zu solchen Extremwetterereignissen führen.“

Dr. Sebastian Sippel

leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Klimaphysik, Institut für Klima und Atmosphäre, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Schweiz

„Es ist nach wie vor sehr schwierig, Einzelereignisse kausal auf den Klimawandel zurückzuführen. Das dürfte auch für den aktuellen Starkregen gelten. Jedoch kann die Attributionsforschung mittlerweile in vielen Fällen aufzeigen – zum Beispiel für viele Hitzeereignisse und Starkregen –, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Ereignisse, wie auch häufig die Intensität solcher Ereignisse, durch den Klimawandel zunehmen. Das ist auch durch physikalische Gesetzmäßigkeiten und Analysen von Trends in Beobachtungsdaten vielfach belegt. In der Attributionsforschung konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Starkregenereignisse im Mai und Juni 2016 in Frankreich, die zu Überschwemmungen an der Seine und Loire führten, durch den Klimawandel etwa doppelt so häufig auftreten. Dennoch kann dies nicht für jedes Ereignis gezeigt werden, denn beispielsweise für Starkregen im Mai und Juni 2013 an Elbe und Donau konnte kein signifikanter Einfluss gezeigt werden. Für das aktuelle Ereignis gibt es noch keine solche Studie. Pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Diese durch Erwärmung zusätzliche Feuchte führt daher in der langfristigen Tendenz zu höheren Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregen. Es ist daher aufgrund dieser einfachen physikalischen Gesetzmäßigkeit davon auszugehen, dass langfristig in den mittleren Breiten Starkregenereignisse zunehmen, obwohl auch die natürliche Variabilität bei Niederschlagsereignissen sehr groß ist – was unter anderem bei potenzieller Zuordnung zum Klimawandel berücksichtigt werden muss. Diese langfristige Zunahme von Starkregenereignissen ist vielfach in Beobachtungsdaten belegt. Abgesehen von der Zunahme von Starkregenereignissen ist insbesondere eine Zunahme von Hitzewellen zu erwarten.“

Dr. Christian Grams und Dr. Julian Quinting

Arbeitsgruppe Großräumige Dynamik und Vorhersagbarkeit, Institute für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphärenforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„In der Nacht zu Donnerstag, 15. Juli 2021, gingen Regenmengen von mehr als 150 Litern pro Quadratmeter in kurzer Zeit über Teilen von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Belgien, Luxemburg, und Nordfrankreich nieder. Wettervorhersagemodelle hatten dieses Ereignis seit Tagen angedeutet und bereits drei Tage im Voraus zeichneten sich für die betroffenen Regionen sehr hohe Niederschlagsmengen ab. Entsprechend warnte der Deutsche Wetterdienst frühzeitig vor extremem Niederschlag und Hochwasser. Leider konnte dennoch insbesondere in den westdeutschen Mittelgebirgsregionen eine Flutkatastrophe nicht abgewendet werden und es sind viele Todesopfer und Sachschäden zu beklagen. Besonders betroffen ist die Eifel, wo beispielsweise der Pegel der Ahr in Altenahr die bisherige Rekordmarke von 3,71 Metern vom Juni 2016 um mehr als 2 Meter übertraf, bis die Messung bei 5,75 Metern ausfiel. Meteorologisch führten verschiedene Faktoren zu den enormen Niederschlagsmengen. Eingebettet in eine stark ausgelenkte Höhenströmung und festgehalten von stationären Hochdruckgebieten über dem Atlantik und Nordosteuropa wurde Tief ‚Bernd‘ in den letzten Tagen nahezu ortsfest über Mitteleuropa. Zunächst steuerte das Tief aus dem Mittelmeerraum sehr feuchte und warme Luft nach Deutschland und löste bereits am Wochenende vielerorts lokalen Starkregen und Hagelunwetter aus. Von Westen wurde gleichzeitig kühlere Atlantikluft herangeführt. Am Mittwoch steuerte Tief ‚Bernd‘ nun die warme Mittelmeerluft von der Nordsee und Osteuropa her zurück nach Süden wo sie über Westdeutschland und Benelux über die kühlere Luftmasse südwärts aufstieg, was zu den extremen Niederschlagsmengen führte. Zusätzlich waren die Böden in Mitteleuropa aufgrund der Niederschläge in den letzten Wochen gesättigt. Das stark gegliederte Gelände der betroffenen Region mit teils tief eingeschnittenen Flusstälern verstärkte weiterhin den Oberflächenabfluss. All diese Faktoren führten zusammengenommen letztlich zur verheerenden Flutkatastrophe von Juli 2021.

Zwangsläufig stellen sich die Fragen, wie ungewöhnlich das Ereignis war, ob es mit dem Klimawandel zu tun hat, und ob man sich in Zukunft verstärkt auf solche Extremereignisse einstellen muss. Von Extremereignissen spricht man, wenn eine Kenngröße, wie zum Beispiel die Niederschlagsmenge, am Rande des Spektrums vergangener Messwerte liegt – zum Beispiel im oberen Prozent der je aufgetretenen Messwerte – oder bisher gemessene Werte sogar überschreitet. Das aktuelle Ereignis lag für viele Kenngrößen außerhalb jeglicher bisheriger Beobachtungen. Die sehr hohen Niederschlagsmengen in kurzer Zeit, das relativ große betroffene Gebiet und die hohen Abflussmengen kleiner und mittlerer Bäche und Flüsse sind extrem. Vergleichbare Wetterlagen betrafen in der Vergangenheit eher das Erzgebirge und die Alpen. Doch sollte das Augenmerk auf dem hohen Wassergehalt der Luftmasse im Kontext der Klimaerwärmung liegen. Der Wassergehalt erreichte Werte, die statistisch gesehen nur alle 40 Jahre zu erwarten sind. Physikalische Gesetze sagen uns, dass wärmere Luftmassen mehr Wasserdampf speichern können – in etwa 7 Prozent mehr pro Grad Celsius Erwärmung. Dieser steht dann für Niederschlag zur Verfügung. Dies verändert die Stärke möglicher Niederschlagsereignisse, so dass auch bisher unbeobachtete Extremniederschläge möglich werden. Dabei können in Zukunft bei entsprechenden meteorologischen Faktoren die kurzfristigen Extremniederschläge auch mehr als 7 Prozent ansteigen.

Daher ist es so, dass wir vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung generell bei uns mit mehr und stärkeren Extremereignissen rechnen müssen. Dies betrifft nicht nur Starkregenereignisse, sondern auch Hitze- und Dürreperioden. Denn wäre die Höhenströmung einige tausend Kilometer nach Westen verschoben, würden wir jetzt eine Hitzewelle erleben wie gerade in Nordosteuropa oder bei uns in den letzten Jahren. Und auch solche Hitzewellen werden vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung extremer als bisher beobachtet. Dass ortsfeste Wettermuster – wie zuletzt häufig beobachtet – durch den Klimawandel verstärkt auftreten, wird von vielen Expert*innen vermutet und ist gegenwärtig Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung.“

Dr. Friederike Otto

Geschäftsführende Direktorin des Environmental Change Institute (ECI), und Associate Professor, Climate Research Programme, University of Oxford

„Bei den extremen Niederschlägen, die wir in den letzten Tagen in Europa erleben, handelt es sich um Extremwetter, deren Intensität sich durch den Klimawandel verstärkt und mit zunehmender Erwärmung weiter verstärken wird. Das wissen wir sowohl aus der Physik als auch von Beobachtungen und Klimaprojektionen. Allerdings ist die Erhöhung der Häufigkeit des Auftretens solcher Starkregenfälle geringer als bei Hitzeextremen. Dass derartige Starkregenfälle so dramatische Konsequenzen haben, liegt zu einem großen Teil an der Versiegelung der Böden.“

Dr. Jakob Zscheischler

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Erdsystem-Modellierung: Biogeochemische Kreisläufe, Institut für Klima und Umweltphysik (KUP), Universität Bern, Schweiz

„Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Klimaforschung vorausgesagt, dass extreme Niederschläge mit dem Klimawandel stärker ausfallen und häufiger vorkommen werden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen kann, welcher dann bei einem Niederschlagsereignis als Regen fällt. In den letzten Jahren konnte man diesen Zusammenhang auch von Beobachtungsdaten ableiten und damit die Theorie bestätigen. In der Zukunft werden solche Starkniederschläge also noch extremer werden, solange wir weiterhin CO2 ausstoßen.“

Prof. Dr. Stefan Rahmstorf

Professor im Fach Physik der Ozeane, Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Das Wettergeschehen ist heute immer ein Zusammenspiel aus dem üblichen Wetterzufall und den veränderten Randbedingungen durch die stark erhöhte Treibhausgasmenge in unserer Atmosphäre. Bei Hitzerekorden sind manche derart extrem, dass sie ohne Erderwärmung praktisch unmöglich wären, wie jüngst im Westen Nordamerikas. Bei Niederschlagsextremen ist die Zunahme noch nicht so groß, weil die natürlichen Schwankungen im Vergleich zum Effekt der Erderwärmung stärker sind. Man kann daher nicht sagen, ob dieses Ereignis eine Folge der Erderwärmung ist, aber man kann festhalten, dass derartige Ereignisse durch die Erderwärmung häufiger werden.

Schon vor über 30 Jahren haben Klimamodelle vorhergesagt, dass Extremniederschläge häufiger werden, während Tage mit schwachem Regen seltener werden. Das ist eine Folge der Physik: Pro Grad Erwärmung kann die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und dann auch abregnen. Weil mehr Wasser an starken Regentagen fällt, bleibt weniger für den Rest der Zeit. Denn der Wasserdampfnachschub durch Verdunstung nimmt nur um zwei bis drei Prozent pro Grad Erwärmung zu und kann daher die Zunahme um sieben Prozent pro Grad nicht ausgleichen. Die Zunahme der Starkregen und Abnahme von Tagen mit schwachem Regen ist inzwischen auch in den Messdaten gut nachgewiesen, vor allem in den mittleren nördlichen Breiten, zu denen auch Deutschland gehört.

Ein weiterer in der Forschung viel diskutierter Effekt ist die Abschwächung der Sommerzirkulation der Atmosphäre, die zu weniger Wetterwechsel und länger anhaltenden Wetterlagen führt – so werden ein paar heiße Tage zur Hitzewelle, ein ‚steckengebliebenes‘ Tief führt zu Dauerregen. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die Arktis sich in den letzten Jahrzehnten dreimal so stark erwärmt hat wie der Rest der Erde. Dadurch schwächt sich das Temperaturgefälle von den Subtropen zum Pol ab, das die typische Luftbewegung von Westen nach Osten in den mittleren Breiten antreibt.“

Prof. Dr. Douglas Maraun

Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima, Associate Professor Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, Karl-Franzens-Universität Graz, Graz

„Das Unwetter wurde durch Tief Bernd ausgelöst, das feuchte und warme Luft nach Deutschland gebracht hat. Zudem ist das Tief sehr stabil und nur langsam weitergezogen, sodass die starken Regenfälle vor allem auch sehr langanhaltend waren. Laut dem Deutschen Wetterdienst hat es eine vergleichbare Wetterlage zuletzt vor 15 Jahren gegeben. Solche Wetterlagen treten ganz natürlich auch ohne Klimawandel auf, und auch ohne Klimawandel wären die Niederschläge heftig gewesen. Allerdings kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der Klimawandel die Niederschläge gestern um sicher 10 bis 20 Prozent verstärkt hat.“

Auf die Frage, ab wann man von einem Extremwetter-Ereignis spricht, wodurch diese zustande kommen und wie genau man diese auf den Klimawandel zurückführen kann: „Eine genau definierte Grenze gibt es nicht. Man beschreibt die Stärke eines Extremereignisses durch die Jährlichkeit: Alle wie viel Jahre erwartet man im Mittel ein vergleichbares Ereignis? Je nachdem, wer oder was betroffen ist, können unterschiedliche Jährlichkeiten relevant sein: Die Kanalisation ist häufig auf Jährlichkeiten von wenigen Jahren ausgelegt, ein Damm sollte einem 100-Jahres-Ereignis standhalten, ein Kernkraftwerk einem 10.000-Jahres-Ereignis.

Extremereignisse entstehen meist durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zum Beispiel eine auslösende Wetterlage, dazu besonders feuchte und warme instabile Luft, vielleicht auch ein mit Wasser gesättigter Boden, und vielleicht eine zufällig sehr ungünstige Lage: Vor einigen Jahren gab es in Schleswig-Holstein eine Konvergenzlinie, an der feuchte Luft aufgestiegen ist und sich abgeregnet hat. Dummerweise ist das genau über einer Senke passiert, in der sich alles Wasser gesammelt hat. Der Ort Gelting wurde damals überflutet. Der Klimawandel beeinflusst vor allem alle Faktoren, die direkt an die Temperatur gekoppelt sind: Starkniederschläge können stärker werden, weil mehr Luftfeuchte zur Verfügung stehen kann, Hitzewellen werden heißer und Dürren trockener, weil der Boden stärker austrocknen kann. Starkniederschläge können um 7 bis 14 Prozent pro Grad globaler Erwärmung intensiver werden. Aber der Klimawandel kann prinzipiell auch die Häufigkeit und Dauer von Wetterlagen beeinflussen, die Extremwetter auslösen. Wie stark dieser indirekte Einfluss ist, und ob der tatsächlich verstärkend wirkt, ist aber noch unklar.“

Auf die Frage, inwiefern Extremwetter-Ereignisse in naher Zukunft zunehmen werden und welche besonders zu erwarten sind: „Auch hier gilt: Die an die Temperatur gekoppelten Effekte werden relativ schnell spürbar stärker werden. Hitzewellen werden heißer werden, Dürren trockener, Starkregen intensiver. Ihre Häufigkeit und Dauer sind aber sehr stark von natürlichen Klimaschwankungen bestimmt, die in den nächsten Jahrzehnten den Klimawandel überlagern. Es ist deshalb unklar, ob Dürresommer wie der von 2018, Hitzewellen wie die aktuell in Kanada oder Starkregen wie der in NRW in den nächsten 20 bis 30 Jahren häufiger werden. Doch wenn sie auftreten, werden sie heftiger ausfallen.“

Diese Nachricht wurde am 16.07.2021 im Programm Deutschlandfunk gesendet.


Tip von Ingo

Strombedarf der Elektromobilität Woher kommt der Strom für all die E-Autos?

(14.07.21, aus Wirtschaftswoche , Original : hier )

Die EU hat ihr neues Klimapaket vorgestellt. Es wird das Ende des Verbrennungsmotors stark beschleunigen – und den gerade begonnenen Durchbruch des Elektroautos. Die brauchen Strom. Woher kommt der? Wie sauber ist er? Und was bedeuten Millionen von neuen E-Autos für den Strommarkt der Zukunft? 

Dieser Mittwoch, der 14. Juli 2021, könnte in die Geschichte eingehen. Die Europäische Union (EU) hat ihr neues Klimaschutzpaket vorgestellt. Und das hat es in sich. Ihren Treibhausgasausstoß will die EU bis 2030 um 55 Prozent senken. Das hat Auswirkungen auf so gut wie jede Branche, aber auf eine ganz besonders: Der Kohlenstoffdioxid (CO2)-Ausstoß von Autos wird weit drastischer als bisher geplant sinken müssen. Denn anders als Gebäude oder Industrie hat der Verkehr bisher kein CO2 seit 1990 eingespart. Nun sollen neue Pkw gleich 60 Prozent CO2 bis 2030 sparen – gegenüber heute, nicht 1990.

Das ist ambitioniert. Mit gleich vielen oder gar mehr Autos mit Verbrennungsmotor kann das nicht gelingen. E-Autos sollen es also richten. Die Beratungsgesellschaft McKinsey hat errechnet, dass dafür gut 60 Prozent der Neuverkäufe und etwa 20 Prozent aller Autos auf der Straße im Jahr 2030 elektrisch sein müssen. 

Und auch damit klappt es nur, weil die Hersteller ihre E-Autos auf dem Papier mit Null Gramm CO2 je Kilometer Autofahrt anrechnen dürfen. Für Wolfgang Reitzle, Ex-Manager bei BMW, Jaguar, Volvo und Linde, ist das „eine absurde Manipulation“: Denn eigentlich wissen alle, dass das mit der Realität nicht viel zu tun hat. Wer elektrisch fährt, emittiert natürlich indirekt CO2. Der Strom zum Laden der Autos wird noch lange nicht emissionsfrei erzeugt. Kein seriöser Wissenschaftler, kein Tesla– oder VW-Chef und keine Politikerin der vielen Parteien weltweit, die E-Autos massiv fördern, würde ernsthaft etwas anderes behaupten. Nicht die deutschen Grünen, nicht Hollands oder Norwegens Konservative, nicht die US-Demokraten.

Die EU verfolgt mit ihrem Rechentrick ein Doppel-Ziel: Neue Modelle mit Verbrennungsmotor, deren CO2-Ausstoß je Kilometer seit Jahrzehnten kaum noch sinkt und die diesen hohen CO2-Ausstoß auf Jahre zementieren würden, sollen möglichst nicht mehr viele in den Markt. E-Autos dagegen emittieren indirekt in fast allen europäischen Ländern schon heute weniger CO2 als Benziner und Diesel, und sie haben vor allem Potenzial: Gelingt die Energiewende und wird die Kilowattstunde (kWh) Strom künftig mit immer weniger CO2 erzeugt, nähern sich die E-Autos auch physisch dem Ziel, das das Gesetzespapier schon vorgaukelt. 

So weit die Politik. Aber wie viel CO2 verursacht nun wirklich, wer nicht auf 100 Prozent Grünstrom ab 2045 oder später warten will und heute schon ein E-Auto kauft? Und um wie viel Strom für die E-Autos geht es? McKinsey hat berechnet, dass die durch die neuen EU-Ziele bis 2030 benötigten rund 65 Millionen E-Autos den jährlichen Strombedarf der EU gegenüber heute um vier Prozent steigen lassen werden. In Deutschland bräuchte eine komplett elektrische Pkw Flotte von 47 Millionen Autos rund 120 Terawattstunden (TWh) pro Jahr, also etwa 15 Prozent der heutigen Bruttostromerzeugung. Insgesamt würde der Energiebedarf des Verkehrs durch seine Elektrifizierung zwar sinken, weil E-Autos effizienter als Diesel und Benziner sind, aber der Stromverbrauch nähme zu.  

Und wie viel CO2 sparte das ein? Das kommt dann vor allem auf den Strommix an, mit dem man diese E-Autos lädt. Geht man davon aus, dass Elektroautos übers Jahr gesehen ungefähr den Durchschnittsstrom laden, ist ihr indirekter Klimafußabdruck leicht zu errechnen: Man benötigt ihren Verbrauch (in kWh pro Kilometer), und die Menge an CO2, die im Jahresmittel mit dem deutschen Kraftwerkspark pro kWh anfällt.

Im Kraftwerkspark gibt es Wind- und Fotovoltaikanlagen sowie Wasserkraft, Atomkraft und Biogas, also CO2-arme Erzeuger, ebenso wie Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke. 2020 entstanden im Mittel laut vorläufigen Daten des Umweltbundesamts 366 Gramm pro Kilowattstunde deutschen Stroms, immerhin 400 Gramm oder 52 Prozent weniger als noch 1990. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch der E-Autos auf 100 Kilometer von 18 kWh macht das rund 66 Gramm CO2 je Kilometer oder 6,6 Kilogramm auf 100 Kilometer.

Das ist nicht null, wie der Gesetzgeber suggeriert, aber auch weniger als halb so viel wie bei einem Diesel oder Benziner: Hier entstehen pro Liter verbranntem Dieselöl 2,67 Kilogramm CO2 (Benzin: 2,38); bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 6,2 Litern auf 100 Kilometer also 166 Gramm je KM. Dazu kommt jeweils noch eine Vorkette aus Raffinerie, Tankschiff/Pipeline, Förderung und (beim Strom) aus der Erzeugung und dem Transport der Primärenergieträger wie Kohle, Öl, Gas und Uran. Die ist bei beiden Antriebsarten ungefähr gleich groß und im Verhältnis zum Fahrstrom oder Sprit klein, sodass sie für einen groben Vergleich vernachlässigbar ist.

Die Sache mit dem Rucksack

Nicht vernachlässigbar ist dagegen das CO2, das bei der Herstellung der jeweiligen Autos entsteht. Da schleppt das E-Auto seinen CO2-Rucksack in den Vergleich. Im Wesentlichen, weil die Herstellung der großen Antriebsbatterie energie- und damit CO2-intensiver ist als die im Gegenzug wegfallenden Verbrenner-Teile wie Motor, Getriebe, Abgasreinigung, Kühlung, Tank.

Über die Größe dieses Rucksacks kursierten in den Jahren 2017 bis 2019 teilweise grotesk überhöhte Zahlen. Inzwischen weiß man recht gut, wie viel CO2 bei der Batterieproduktion tatsächlich anfällt. Laut dem schwedischen IVL Institut nämlich nur noch halb so viel wie vor einigen Jahren: je nach Standort der Batteriefabrik 60 bis 100 Kilogramm je kWh Akkukapazität. Auch das renommierte Argonne-Institut in Chicago rechnet im weltweiten Mittel mit 73 Kilogramm. Das ergibt bei einem mittelgroßen Akku (55 kWh) etwa vier Tonnen CO2 aus der Batterieherstellung. Das E-Auto braucht also etwa 45.000 Kilometer, bis es gegenüber dem Diesel dank seines nur halb so hohen CO2-Ausstoßes beim Fahren den Rucksack aufgeholt hat. Da moderne Autos ein Vielfaches dieser 45.000 Kilometer halten, ist die Rechnung unterm Strich eindeutig.

Stimmt nicht! Sagte vor zwei Wochen eine Gruppe von sechs Forschenden unter der Führung des Karlsruher Verbrennungsmotorenspezialisten Thomas Koch. Sie argumentieren: Weil E-Autos neue, zusätzliche Stromverbraucher sind, zu denen es eine Alternative gäbe (Diesel und Benziner), laden sie nicht einfach den Durchschnittsstrom. Weil der Anteil der Erneuerbaren im Netz begrenzt und tendenziell zu gering sei, müsse, wenn ein E-Auto ans Netz gehe, das sogenannte marginale Kraftwerk anspringen. Das marginale Kraftwerk ist der Teil des Kraftwerkparks, der hochgefahren werden muss, wenn akut der Strombedarf die Erzeugung übersteigt. Und weil dieses marginale Kraftwerk in Deutschland fast immer fossil sei (Kohle), würden E-Autos tatsächlich einen viel dreckigeren Strom als der Durchschnitt aller Stromverbraucher (Strommix) laden. Klingt logisch, ist aber leider ebenfalls zu einfach gedacht.

Das marginale Kraftwerk

Richtig an Kochs Einwand ist: Der Strom aus dem marginalen Kraftwerk ist CO2-lastiger als der Strommix. Das ist logisch, schließlich lassen sich die emissionsarmen Erneuerbaren wie Wind und Sonne nicht bei Bedarf anknipsen, Gaskraftwerke schon. Man kann aber einem einzelnen Verbraucher-Typus nicht seriös immer den Strom aus dem marginalen Kraftwerk zuordnen. Nach Kochs Logik wäre auch ein Uralt-Kühlschrank mit 1940er-Jahre-Effizienz einem neuen A++ Model vorzuziehen, solange er nur früh genug eingeschaltet wird – nämlich bevor andere, konkurrierende Verbraucher ans Netz gehen.

Und man müsste den dreckigen Marginalstrom allen neu ans Netz gehenden Verbrauchern zurechnen, sofern es nicht-elektrische Ausweichtechnologien gibt, denn sie erzeugen in dieser Logik alle einen vermeidbaren Mehrverbrauch. Man müsste Ölheizungen statt Wärmepumpen fördern, E-Loks durch Dampfloks ersetzen, neue Gas- statt E-Herde in der Küche installieren, und kaputte Glühbirnen gegen Petroleumlampen statt mit LEDs austauschen. Immer wäre der Strommix einfacher zu handhaben und tendenziell auch „grüner“, wenn es die neuen Strom-Verbraucher nicht gäbe.

Electric Vehicle Index Die Deutschen können Elektro Seit elf Jahren misst der Index EVI von McKinsey und der WirtschaftsWoche, welche Länder beim E-Auto führend sind. Deutschland war lange nicht vorne. Das ändert sich gerade. von Martin Seiwert

Selbst wenn man dem Argument folgt, dass E-Autos von allen neuen Verbrauchern die überflüssigsten seien, weil es eine gute Alternative, den Diesel gebe, geht die Rechnung nicht auf. Denn E-Autos sind unbestritten etwa um den Faktor 2,5 Energie-effizienter als Autos mit Verbrennungsmotor. „Es wäre im Gesamtsystem daher sogar effizienter, Diesel in ein Kraftwerk zu schütten und zu verstromen, um damit E-Autos zu laden, als ihn im Auto mit einem schlechteren Wirkungsgrad zu verfahren“, sagt Max Fichtner, Professor für Energiespeichersysteme am Helmholtz Institut in Ulm und am Karlsruhe Institut für Technologie. „Selbst wenn man dem E-Auto die CO2-Emissionen des marginalen Kraftwerksparks zurechnet, wäre es noch weniger CO2 als bei einem Diesel“, so Fichtner.

Mit der Empirie ist die Marginalmix-Theorie kaum in Einklang zu bringen. Denn natürlich laden viele ihr E-Auto auch im Sommer und bei viel Wind, wenn ein Überschuss an Erneuerbaren im Netz ist. Um ein halbwegs realistisches Bild des Stroms zu zeichnen, den Elektroautos bekommen, „braucht man zunächst verlässliche Daten darüber, wann wie viele E-Autos tatsächlich laden. Die muss man dann möglichst zeitgenau mit dem dann jeweils aktuellen Marginalmix abgleichen“, sagt Wolf-Peter Schill, Ingenieur und Ökonom am DIW in Berlin, der zum Strommix forscht.

Solche Modellrechnungen gibt es. Sie zeigen: Es ist nicht möglich, mit einem E-Auto das ganze Jahr fossilen Strom zu laden. Richtig ist aber auch: Solange Erneuerbare nicht in beliebiger Menge zur Verfügung stehen, erhöhen viele neue Verbraucher den Anteil marginaler Kraftwerke. Das gilt für Wärmepumpen ebenso wie für Millionen neuer E-Autos oder spät elektrifizierte Bahnstrecken.

Nachfrage besser auf das Angebot abstimmen

Die Marginal-Theorie übersieht auch, dass die Strom-Nachfrage durch E-Autos flexibel handhabbar ist. „Elektroautos müssen nicht sofort geladen werden, nachdem die Besitzer nach Hause gekommen sind“, sagt Matthias Huber, Professor für Energiewirtschaft an der Technischen Hochschule Deggendorf. Das ist meistens zwischen 19 und 22 Uhr der Fall, wenn es ohnehin schon eine Nachfragespitze gibt. Doch Elektroautos haben Batterien von 50, 70 oder gar 100 kWh, was dem rund Zehnfachen ihres durchschnittlichen Fahrstrombedarfs pro Tag entspricht. Das bedeutet, sie könnten auch zeitlich flexibel laden, ohne dass die Besitzer am nächsten Tag stranden. Idealerweise würden sie geladen, wenn gerade viel Wind- oder Sonnenstrom im Netz ist.

Dominik Husarek, Energiemarktforscher bei Siemens, hat es im Rahmen seiner Doktorarbeit durchkalkuliert: Welchen Strom laden E-Autos, wenn man die tatsächlichen Lade-Zeitpunkte kennt? Ergebnis: Weder die Mix-Methode noch der Ansatz, dem E-Auto immer den temporär dreckigsten Strom zuzurechnen, bilden die Wirklichkeit ab. Aber der Mix stimmt auf das ganze Jahr gesehen schon eher.

„Anders als bei der reinen Marginalmix-Methode unterstellt, ist der CO2-Ausstoß des Strommix keine Konstante, sondern er ändert sich quasi stündlich“, sagt Husarek. Nach seinen Berechnungen verursachen E-Autos heute zwar etwas mehr CO2 als die weiter oben errechneten 66 Gramm, wenn man nicht einfach den Jahresstrommix annimmt, sondern die tatsächlichen Ladezeitpunkte und den jeweiligen zeitgenauen Mix einbezieht. 75 Gramm sind es laut Husarek. Aber das Potenzial ist immens: „Bis 2030 kann sich dieser Wert um 91 Prozent verringern.“ Allein das flexible Laden je nach Angebot an Grünstrom im Netz senke die Emissionen dabei um 32 Prozentpunkte.

Skandinavien macht es vor

Damit das aber klappen kann, muss der grüne Strom nicht nur erzeugt werden, er muss auch zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Helfen würden flexible Stromtarife, damit die Autobesitzerinnen einen Anreiz haben, nicht sofort zu laden, sondern vielleicht ein paar Stunden zu warten, bis Windüberschuss herrscht. Dazu wären flächendeckend Smart Meter nötig – intelligente digitale Stromzähler, die erfassen, wann welcher Hausanschluss wie viel Leistung zieht und diese Informationen an die Netzbetreiber kommunizieren können. Leider hat Deutschland, anders als Skandinavien, Italien oder Estland, deren flächendeckenden Einsatz gebremst. Eigentlich, so sieht es eine EU-Richtlinie von 2005 vor, sollte bis 2020 jeder Haushalt damit ausgestattet sein. Tatsächlich haben erst 12,3 Prozent der Haushalte einen solchen Zähler. Die Einbaupflicht wurde auf 2032 ausgedehnt. https://cloud.redaktion.wiwo.de/overnighter_Newsletter_SignUp_frame_49?newsletter=a0O2o00000uoFAOEA2

Deutsche Stromkunden profitieren bisher nicht vom schwankenden Grünstromangebot. Dass das möglich ist, macht Skandinavien vor: „Norweger und Schweden laden ihre E-Autos und heizen ihr Duschwasser inzwischen wie selbstverständlich in Zeiten mit viel Stromüberschuss an der Osloer Strombörse Nord Pool“, sagt Marion Nöldgen, Chefin des Stromanbieters Tibber. Die nötige Digitalisierung der Netze haben die beiden Staaten schon vor mehr als zehn Jahren umgesetzt. Schwedens Haushalte sind seit 2009 flächendeckend mit smarten Zählern ausgestattet. Auch in den Niederlanden können 85 Prozent der Stromzähler digital die Verbräuche melden.

Wären die Smart Meter einmal da, wäre die Software auch in Deutschland schnell einsatzbereit. Die Algorithmen, die die Daten zum Angebot von der Strombörse sinnvoll auf die zur Nachfrage abstimmen, tun in Skandinavien bereits ihre Arbeit. Schweden und Norwegen etwa haben schon vor 20 Jahren begonnen, die Daten der Verbraucher in einem zentralen Datenpool auszuwerten.

Die Daten allerdings sind nur das eine. Das Stromnetz muss auch physisch mitspielen. „Man kann keine x-beliebige Strommenge in Echtzeit vom Erzeuger zum Endverbraucher durchleiten, es kann dabei auch zu physischen Engpässen kommen“, sagt Müller. „Für die Integration von Millionen neuer Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen ist das Netz nicht gebaut worden“, so Müller, „an einigen Stellen muss es ertüchtigt werden.“

Schon heute ist der Stromfluss komplex: Die Netzbetreiber müssen bei jedem Stromvertrag, der an der Strombörse abgeschlossen wird, prüfen, ob die Lieferung physikalisch möglich ist. „Wenn nicht, müssen sie das Handelsergebnis von der Börse physisch korrigieren, damit der Stromfluss stattfinden kann, ohne dass ihr Netz an die Grenze gerät“, sagt Müller. Ein bekanntes Beispiel für diesen sogenannten Redispatch ist das Nord-Süd-Gefälle der Windenergie: viel Wind im Norden, viel Verbrauch im industriellen Süden. Ist Windstrom im Angebot und die Industrie meldet Bedarf, „müssen Kraftwerke im Norden heruntergeregelt und im Süden welche zugeschaltet werden, damit der Stromfluss klappt“, sagt Müller. Dieser Redispatch ist teuer, er kommt aus Speicherbatterien oder kleinen Gasturbinen.

Dem Netz hilft deshalb jeder Stromfluss, der gar nicht erst umgeleitet werden muss. Etwa wenn Besitzer von Solaranlagen die selbst erzeugte Energie direkt nutzen, um ihre E-Autos zu laden. „Das schont die Netze und die privaten Geldbörsen“, sagt Strommarkt-Forscher Thorsten Lenck vom Thinktank Agora. Denn Strom aus der eigenen Solaranlage kostet, je nach Standort und Größe, derzeit nur 7 bis 11 Cent pro kWh – rund ein Drittel des Stroms vom Versorger. Immerhin: Rund die Hälfte dieses künftigen Strombedarfs sei „bei näherer Betrachtung flexibel abrufbar, also nicht zeitlich gebunden“, so Energiemanager Marco Wünsch vom Forschungsinstitut Prognos.

Das Potenzial ist also da.

Mehr zum Thema: Seit elf Jahren misst der Index EVI von McKinsey und der WirtschaftsWoche, welche Länder beim E-Auto führend sind. Deutschland war lange nicht vorne. Das ändert sich gerade: Die Deutschen können Elektro


Tip von Ingo

Energiewende : Wirtschaftsministerium sieht steigenden Stromverbrauch

(13.07.21, von golem.de, Original : hier )

Entgegen früherer Aussagen erwartet das Ministerium einen wachsenden Bedarf. Dafür braucht es mehr erneuerbare Energien. Hanno Böck

Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass der Stromverbrauch in Deutschland in den kommenden Jahren deutlich steigen wird. Für das Jahr 2030 erwartet das Ministerium demnach, dass etwa 20 Prozent mehr Strom benötigt wird.

Die Ankündigung überrascht, denn bisher gingen sowohl der Wirtschaftsminister als auch die Bundesregierung von einem leicht sinkenden Strombedarf aus. Dies erklärte Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Taz.

Das Problem dabei: Bisher wurde auch der Ausbau der erneuerbaren Energien mit diesen niedrigen Annahmen geplant. Kritik daran gab es schon länger.

So wies etwa das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) bereits Anfang 2020 darauf hin, dass die zu niedrigen Annahmen über den künftigen Stromverbrauch dazu führen könnten, dass die Ausbauziele für erneuerbare Energien nicht erreicht werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2030 65 Prozent des Stroms mithilfe erneuerbarer Energien zu erzeugen.

Andere Experten prognostizieren noch höheren Strombedarf

Die neue Schätzung des Wirtschaftsministeriums wurde in einem Gutachten durch die Firma Prognos ermittelt. Demnach soll der Stromverbrauch 2030 zwischen 645 und 665 Terawattstunden liegen. Zum Vergleich: 2020 lag der Stromverbrauch bei 544 Terawattstunden, im Jahr 2019 bei 519 Terawattstunden. Gegenüber anderen Prognosen sind die Zahlen immer noch niedrig. Das EWI erwartet für 2030 einen Stromverbrauch von 748 Terawattstunden. Erneuerbare Energien und Klimaschutz: Hintergründe – Techniken und Planung – Ökonomie und Ökologie – Energiewende (Deutsch)

Der Grund für den höheren Stromverbrauch ist, dass künftig in vielen Bereichen, die bisher direkt mit fossilen Energieträgern versorgt wurden, direkt oder indirekt Strom genutzt werden soll. Das gilt etwa für die Elektromobilität, Heizungen mit Wärmepumpen und für den Einsatz von grünem Wasserstoff, der mithilfe von Strom aus Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht in Deutschland zur Zeit nur langsam voran. Insbesondere bei der Windkraft sind die Ausbauzahlen drastisch eingebrochen. In den vergangenen zwei Jahren wurden jeweils weniger als 1500 Megawatt neue Windkraftleistung installiert. So geringe Ausbauzahlen gab es zuletzt 1998. Reklame: Hier geht es zu Erneuerbare Energien und Klimaschutz bei Amazon

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