15. Klimanotstandsbrief des Bochumer Klimaschutzbündnisses „Bochum blüht und summt“, tut es das wirklich?
15. Klimanotstandsbrief des Bochumer Klimaschutzbündnisses
An den Bochumer Stadtbaurat,
zugleich Dezernent für Bauen, Umwelt, Mobilität und Nachhaltigkeit
„Bochum blüht und summt“,
tut es das wirklich?
Sehr geehrter Herr Dr. Bradtke,
wir meinen, dass das bislang leider nicht der Fall ist. Es blüht und summt in unserer Stadt nicht so, wie es dringend nötig, aber auch noch nicht so, wie es kurzfristig möglich wäre. Wir erlauben uns deshalb die bevorstehende Eröffnung der Ausstellung „Vielfalt im Garten – Lebensraum für Insekten und Co.“ zum Anlass zu nehmen, hierzu einige Fragen und Anmerkungen zu formulieren.
„Die Stadt Bochum möchte einen Beitrag dazu leisten, die Lebensräume von Insekten und Wildpflanzen aufzuwerten und zu bereichern und so dem Insektensterben wirksam entgegenzuwirken“ heißt es auf der Homepage unserer Stadt.
Wir meinen, die Stadt Bochum darf nicht nur „einen Beitrag leisten“ wollen, sondern müsste vielmehr alles daran setzen, dass auf den 146 km² Erde, für die wir hier verantwortlich sind, tatsächlich ein wirksamer Umwelt- und Naturschutz zum tragen kommt.
Private Klein- und Hausgärten
Das Bochumer Klimaschutzbündnis begrüßt alle Initiativen der Stadtverwaltung, die das ökologische Potenzial unserer Klein- und Hausgärten in den Blick nehmen. Denn wir betrachten die dbzgl. Bedeutung dieser privaten Flächen als erheblich und sehen hier gleichzeitig einen nennenswerten Aufklärungs- und Förderbedarf. Von Ihrem Wettbewerb „Projektideen für heimische Insektenoasen in Bochumer Kleingärten“ erhoffen wir uns, dass am Ende in jeder der Bochumer Kleingartenanlagen einige Gärtner:innen als Botschafter:innen der Biodiversität ihre Einsichten und Erfahrungen weitertragen und zum Nachahmen einladen, sodass die Kleingartenanlagen in nicht allzu weiter Ferne ihr volles Potenzial zur Entfaltung bringen können. Ähnliche Wettbewerbe sollten auch für die Haus- und Vorgärten durchgeführt werden.
Doch freiwillige Einzelaktivitäten allein genügen nicht. Ziel muss es sein, dass Bochums Klein-, Haus- und Vorgärten völlig neu gedacht werden, wenn wir der drohenden Biodiversitätskatastrophe* tatsächlich „wirksam entgegenwirken“ wollen.
Und dabei darf sich die Stadt nicht scheuen, überall, wo dies möglich ist, sachgerechte Vorgaben im Sinne des Gemeinwohls zu machen. Denn Eigentum verpflichtet. Die den Privaten wie der Kommune als Eigentum anvertrauten Flächen müssen verantwortungsvoll entwickelt und gepflegt werden und die Stadt ist hierbei in ihrer Vorbildfunktion besonders gefragt.
Zukunftsfähige Bebauungspläne
Gebote und Verbote zur Erreichung von Energie- und Ressourcenschutz, Klimaanpassung und Biodiversität gehören in jeden Bebauungsplan. Diese Möglichkeit der Steuerungs- und Lenkungswirkung von entsprechend qualifizierten Bebauungsplänen darf nicht weitgehend ungenutzt bleiben. Die Lebensqualität in den Quartieren hängt entscheidend davon ab, dass der Anteil versiegelter Flächen minimiert wird, wie mit dem Regenwasser verfahren wird, welche Bäume und Sträucher gepflanzt werden, welcher Art die Dächer, Fassaden und Grundstückseinfriedigungen sind und wie erträglich letztlich die kommenden Hitzesommer dort verbracht werden können. Aus diesem Grund unterstützen wir die Forderungen des Netzwerks für bürgernahe Stadtentwicklung, nach der wenigstens die Ergebnisse des Klimaplan- und des GNK-Prozesses in alle Bebauungspläne einzufließen haben.
Entsprechende Festsetzungen in Bebauungsplänen stellen keine Entmündigung von Investoren und Bewohner:innen sondern verantwortliches, am Gemeinwohl orientiertes kommunales Handeln dar, ohne das Leben in der Stadt unerträglich wird. Die damit verbundenen Qualitätssteigerungen führen ganz nebenbei zur Attraktivierung von Baugebieten und Wertsteigerung der Immobilien.
Ambitionierte Grundstücksvergaben
Analoges gilt für den Verkauf städtischer Flächen. Durch die Vergabeform der Erbpacht sowie die Formulierung entsprechender Auflagen hat die Stadt die Möglichkeit „wirksam“ Einfluss auf den Natur-, Klima- und Hitzeschutz in der (Innen-) Stadt zu nehmen. Jedoch erkennen wir ein entsprechend ambitioniertes Vorgehen der Verwaltung bisher nicht. Unter Ihrer Führung, Herr Dr. Bradtke, wurde im vergangenen Jahr die relevante Fläche zwischen Neu- und Kreuzstraße bedauerlicherweise vergeben, ohne dass die Stadt vom Instrument der Erbpacht und den Möglichkeiten ökologischer Vorgaben nennenswert Gebrauch gemacht hat. Damit wurde bei einer relevanten Fläche in zentraler Innenstadtlage ein für die Zukunft sehr bedeutsames Potenzial verspielt.
Und nun zu den städtischen Liegenschaften:
Innerstädtische Grünflächen
Innerstädtische Grünflächen, wie Parkanlagen, Spielplätze, Parkplätze, Verkehrsinseln, z.B. in Kreisverkehren, Fahrbahnränder, Regenrückhaltebecken usw. bergen ebenfalls ein bedeutsames ökologisches Potenzial. Neben einem Lebensraum für Vögel und Insekten schaffen biodiverse Flächen vielfältige Sinneseindrücke, bieten ganz nebenbei Anregungen für eigene private Projektideen, laden zum Verweilen und Beobachten ein, zeigen Kindern und Erwachsenen anschaulich wie naturnahe städtische Räume gestaltet werden und zum Wohlfühlen beitragen können. Naturnah gestaltete Freiflächen, in den ersten zwei Jahren sorgsam gepflegt, sind anschließend kostengünstig im Erhalt.
Schaubild 1: Verkehrsinseln, die einem das Herz aufgehen lassen (Bildquelle: BoKlima)
Wenn dagegen mit Fertigstellung jedes neuen Kreisverkehrs in unserer Stadt, und es sind nicht wenige, abschließend lediglich Rollrasen ausgerollt wird, werden auch dort weiterhin systematisch Chancen auf „wirksamen“ Naturschutz vertan.
Frage 1: Bitte lassen Sie uns wissen, auf welchen innerstädtischen Grünflächen eine klimagerechte und biodivers wirksame Freiflächengestaltung bereits umgesetzt wurde. Und welche Flächen sich dbzgl. in der Planung befinden. Welche prozentualen Anteile haben diese Flächen am gesamten Bestand unserer Stadt?
Städtische bebaute Grundstücke
Kitas und Schulen, die durch Drahtzäune mit PVC-Flechtwerk eingefriedet werden, anstatt mit biodivers wirkenden Sträuchern und Kletterpflanzen, führen doch die Anschaffung von zwei Bienenkoffern für Kitas und Grundschulen, durch Ihr Umwelt- und Grünflächenamt, ad absurdum.
Frage 2: Uns interessiert deshalb die Frage, auf welchen städtischen bebauten Grundstücken eine klimagerechte und biodivers wirksame Freiflächenplanung bereits umgesetzt wurde. Und welche Grundstücke sich dbzgl. in der Planung befinden. Welche prozentualen Anteile haben diese Grundstücke am gesamten Bestand unserer Stadt?
Naturschutzgebiete und Landschaftsschutzgebiete
Bei der Ausweisung neuer Naturschutzgebiete ist höchste Eile geboten, die Roten Listen vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten werden immer länger. Wenn, wie im Falle des geplanten Naturschutzgebietes Kalwes/Grimberg erst mehr als ein Vierteljahrhundert (!) vergehen musste, bis es Ende vergangenen Jahres zu einem Aufstellungsbeschluss kam, dann sind wir hier in Bochum angesichts der Biodiversitätskatastrophe einfach viel zu langsam!
Auch was die acht bestehenden Naturschutzgebiete betrifft, nahm allein die notwendig gewordene Überarbeitung und Aktualisierung der Pflege- und Entwicklungspläne seit 2016 bis heute schon fast sieben Jahre in Anspruch, und nun, da sie bis auf einen alle vorliegen, hapert es massiv an deren Umsetzung. Während unsere Stadt mit Eigenbetrieben und Holding eine kaum zu überschauende Zahl von Stadt- und Pressesprecher:innen beschäftigt, hängt die Umsetzung der Pflege- und Entwicklungspläne in allen Naturschutzgebieten an einer einzigen 70%-Stelle (vgl. Vorlage 20220064).
Und was die Landschaftsschutzgebiete angeht warten wir ebenfalls seit einem Vierteljahrhundert (!) auf die notwendige Aktualisierung der Festsetzungen und Entwicklungsziele.
Frage 3: Deshalb möchten wir hiermit nach Ihrem aktuellen Zeitplan für die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete, die Umsetzung der Pflege- und Entwicklungspläne sowie die Aktualisierung der Festsetzungen und Entwicklungsziele für die Bochumer Landschaftsschutzgebiete fragen.
Bochum Strategie
Wenn unsere Stadt dem Insektensterben „wirksam“ entgegen zu wirken verspricht, dann braucht es viel, viel mehr als sechs sogenannte „Pocket Parks“, die verteilt auf unser 146 km² großes Stadtgebiet entstehen sollen. Will die “Bochum Stratgie”
Schaubild 2: Was können sechs derartige „Pocket Parks“ bewirken? (Bildquelle: bochum.de)
zukunftsfähig sein, was selbstverständlich ist, dann fehlt ihr dazu die ambitionierte Hinterlegung des Klima- und Hitzeschutzes, wie auch des Umwelt- und Naturschutzes, wie sie uns für jedes Einzelne der insgesamt 125 Projekte notwendig erscheint.
Warum Klimaschutz und Biodiversität zusammen gehören
Vieles, was in Bund, Land und Kommunen nicht oder weniger gut funktioniert, ist auf mangelnde Zusammenarbeit und sogenanntes Spartendenken zurückzuführen. Als Bochumer Klimaschutzbündnis möchten wir den Blick über Klimathemen im engeren Sinne hinaus erheben und setzen uns daher auch mit Fragen, etwa der Biodiversität oder der Energiegerechtigkeit ein. Dazu möchten wir das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) wie folgt zitieren:
„Der Erhalt der Biodiversität ist eine elementare Voraussetzung für Erfolge beim Klimaschutz und bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Denn gesunde Ökosysteme speichern enorme Mengen an Treibhausgasen und mildern die Folgen von extremen Wetterereignissen. Sie tragen dazu bei, dass auch zukünftig wichtige Ökosystemleistungen wie sauberes Wasser oder frische Luft für alle Menschen zur Verfügung stehen.“
Baudezernent:in der Zukunft
Zu Beginn Ihrer Amtszeit in Bochum erwähnten Sie gerne, dass Sie sich in erster Linie als Baudezernent in einer urbanen Großstadt verstünden, in der die Umwelt naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle spiele. Zudem würden Ihre Kernkompe-tenzen und Interessen auf anderen Feldern liegen als dem Umweltschutz. Neueren Datums erlebt Sie die Öffentlichkeit bei Presseterminen öfters auch in Ihrer Rolle als Umweltdezernent, z.B. bei der Eröffnung einer Ausstellung wie heute.
Bochum braucht eine:n Dezernent:in, die:der auch dem Klima- und Umweltschutz höchste Priorität einräumt. Es kommt nicht auf Absichtserklärungen oder wohlfeile Eindrücke, die vermittelt werden, sondern auf Wirksamkeit an. Es genügt auch nicht ein Gutachten nach dem anderen in Auftrag zu geben**. Der Handlungsbedarf und konkrete Handlungsoptionen liegen seit langem auf dem Tisch. Wir wünschen uns ein Bochum, in dem weniger Aufwand für Selbstdarstellung, Imagekampagnen und subtilen Dauerwahlkampf getrieben wird, vielmehr ein Bochum, in dem die Themenstellungen des Klima- und Hitzeschutzes, wie der Biodiversität, mit einer angemessenen hohen Priorität behandelt und heute schon, nicht erst in Zukunft, bei jeder Entscheidung berücksichtigt werden. Auch die personelle Besetzung des Baudezernats hat, anders als es aus der Verwaltungsvorlage 20230297 hervorgeht, erhebliche „Klimarelevante Auswirkungen“.
Frage 4: Wir fragen uns und möchten deshalb Sie fragen: was hätte Bochum in den angesprochenen Feldern von Ihnen zu erwarten, wenn Sie in unserer Stadt eine zweite Amtszeit bekleideten?
Bitte lassen Sie uns wissen, ob wir mit Ihrer Stellungnahme rechnen dürfen und wenn ja, bis wann. In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleiben wir für heute mit freundlichen Grüßen
Bochum, den 18. April 2023
Gez.: Ihre Bürger*innen des Bochumer Klimaschutzbündnisses
c/o Dr. I. Franke (Sprecher von BoKlima)
AkU e.V., Alsenstraße 27, 44789 Bochum
Mailkontakt: boklima@boklima.de
Homepage: www.boklima.de
Kopien: Presseverteiler, Fraktionen, Bündnisverteiler
* Der aktuelle Verlust an Arten und Beständen erlaubt es u.E. nicht mehr, bloß von einer Biodiversitätskrise zu sprechen, deshalb der Begriff der Biodiversitätskatastrophe. Gleiches gilt im übrigen für das Klima, wo heute von einer Klimakatastrophe gesprochen werden muss.
** https://die-stadtgestalter.de/2022/12/18/stadtplanung-ausufernde-konzeptflut-sorgt-fuer-zeit-und-geldverschwendung/
Der 15.KNB als Pdf : hier
Dazu siehe auch aus dem Ratsinformations-System (RIS) :
Wiederwahl von Stadtbaurat Dr.-Ing. Markus Bradtke
Zur Übersicht aller KlimaNotstandsBriefe : hier