Weltklimabericht Auch Zwei-Grad-Ziel am seidenen Faden (tagesschau)

(18.08.21, tagesschau) , Original : hier

Bei weiter steigenden Treibhausgas-Emissionen ist die Welt nur noch drei Jahre davon entfernt, selbst das Zwei-Grad-Klimaziel zu verspielen. Diese Gefahr sieht der Weltklimarat laut einem durchgesickerten Berichtsentwurf. Von Volker Mrasek, WDR

Die globale Erwärmung noch vor Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle zu stoppen – dieses hehre Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens muss man wohl inzwischen verlorengeben. Doch selbst für eine Beschränkung auf zwei Grad bleibt offenbar nur noch verschwindend wenig Zeit. Dafür müsste der globale Ausstoß von Kohlendioxid vor 2025 seinen Höhepunkt erreichen, also spätestens in drei Jahren. So steht es in einem Text aus der Feder des Weltklimarates, der im März nächsten Jahres erscheinen soll. Konkret handelt es sich um den Entwurf einer Kurzfassung von Teil III des neuen Weltklimareports. Er befasst sich mit Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels.

Eine Organisation namens “Scientist Rebellion” hat das vertrauliche Papier, das dem WDR vorliegt, in Umlauf gebracht. Dahinter stecken nach eigener Aussage Wissenschaftler, für die energisches Handeln gegen die Erderhitzung keinerlei Aufschub mehr duldet. Es sei zu befürchten, dass der Berichtsteil in der späteren Schlussfassung durch die Politik verwässert werde, so die Aktivisten. Klima-Bibel in drei Teilen

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (engl.: Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) veröffentlicht seine Sachstandsberichte in drei Teilen. Der Report von Arbeitsgruppe I befasst sich mit den physikalischen Grundlagen der globalen Erwärmung und gibt den Stand der eigentlichen Klimaforschung wieder. Teil II erörtert die Auswirkungen des Klimawandels und Teil III Maßnahmen zu seiner Minderung.

Der inzwischen sechste Weltklimareport hat sich durch die Corona-Krise um Monate verzögert. Arbeitsgruppe I hat ihren fast 4000-seitigen Bericht nun Anfang August vorgelegt. Die Teile II und III sollen im Februar und März des nächsten Jahres erscheinen. Von ihnen und deren Kurzfassungen, den “Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger”, existieren bisher nur vertrauliche Entwürfe.

Kurze Gnadenfrist für fossile Brennstoffe

Global gesehen hinkt die Energiewende den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens laut dem Entwurf weit hinterher. Soll das 1,5-Grad-Ziel weiter die Richtschnur bleiben, dürfen Kohle- und Erdgaskraftwerke deshalb nur noch neun beziehungsweise zwölf Jahre lang betrieben werden. Für das Zwei-Grad-Ziel verlängern sich die Restlaufzeiten auf 16 beziehungsweise 17 Jahre. Diese Rechnung hat allerdings einen Haken: Sie berücksichtigt keine neuen Anlagen, wie sie etwa in China und der Türkei noch immer gebaut und projektiert werden.

An anderer Stelle des Berichtsentwurfs heißt es, alle heutigen und geplanten fossilen Kraftwerke werden noch fast 850 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Luft emittieren. Das sei mehr als doppelt so viel CO2 wie für das Erreichen des 1,5-Grad-Zieles noch erlaubt wäre. Selbst das verbleibende Budget für das Zwei-Grad-Ziel – laut Weltklimarat 870 Milliarden Tonnen – sei damit fast ausgeschöpft.

09.08.2021 Neuer Weltklimabericht Schnellere Erwärmung, extremere Wetter Der neue Weltklimabericht stellt fest: Der Klimawandel kommt noch schneller, als befürchtet, und das hat Folgen.

Vor allem wohlhabende Länder in der Pflicht

Die IPCC-Autorinnen und -autoren sehen vor allem die Wohlstandsländer in der Pflicht, drastisch umzusteuern. Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verursachten um die 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen. Zwei Drittel von ihnen lebten in Industrie-, ein Drittel in Schwellenländern. Die ärmsten zehn Prozent seien dagegen nur für vier Prozent des Gesamtausstoßes verantwortlich.

Der “stärkste Emissionstreiber” sei nicht etwa die Zunahme der Weltbevölkerung, sondern der stetige Anstieg des Bruttosozialproduktes in den entwickelten Ländern der Erde. Exemplarisch dafür ist die im Entwurf genannte starke Zunahme “treibhausgasintensiver Aktivitäten” im zurückliegenden Jahrzehnt. So sei der Luftverkehr um 29 Prozent gewachsen, die Nutzung von SUVs im Straßenverkehr um 17 Prozent und der Energiebedarf für Klimaanlagen um 40 Prozent. Wie das Papier außerdem betont, seien beträchtliche Emissionen in Entwicklungsländern mit der Produktion von Exportgütern für reiche Länder verbunden. 2015 habe dieser Anteil bei 41 Prozent gelegen.

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Untätiger Agrarsektor

In dem Entwurf wird beklagt, dass Methan und Lachgas in vielen nationalen Klimaschutzstrategien bisher gar nicht berücksichtigt seien. Die beiden Treibhausgase stammen unter anderem aus der Rinderhaltung und dem Einsatz von Stickstoffdünger. Dem Agrarsektor attestiert der IPCC-Entwurf daher enormen Nachholbedarf: “In den Szenarien, die die Erwärmung auf 1,5 und zwei Grad begrenzen, müssen Land- und Forstwirtschaft ihre Maßnahmen zur Emissionsminderung innerhalb dieses Jahrzehnts um das Fünffache und bis 2050 um das Zehnfache steigern.”

400 Milliarden US-Dollar müssten dafür im globalen Agrarsektor jedes Jahr umgeschichtet werden. Ein großes Potenzial zur Vermeidung von Emissionen stecke in einer schonenderen Bodenbearbeitung und einem besseren Nährstoffmanagement in Feld und Stall – und auf Verbraucherseite in der Vermeidung von Lebensmittelabfällen sowie im Umstieg auf eine fleischärmere Ernährungsweise: “Eine pflanzenbasierte Kost könnte bis zu 50 Prozent der Emissionen vermeiden, die heute mit der sogenannten westlichen Ernährung verbunden sind”, konstatiert der Entwurf.

Sollte Klimaschutz “hip” sein?

Problematisch sieht der IPCC die fortschreitende Urbanisierung. Städte könnten im Jahr 2050 90 Milliarden Tonnen Beton, Zement und andere Baumaterialien benötigen, mehr als doppelt so viel wie 2010. Mögliche Lösungen, um dem zu begegnen, sieht der Bericht in einem stärkeren Materialrecycling, im Vermeiden von unnötigem Bauschutt und der Nutzung von Holz für den Häuserbau.

Im Verkehrsbereich wird Altbekanntes, aber nicht ausreichend Umgesetztes empfohlen: eine stärkere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Car-Sharing-Angebote, der Verzicht auf Flugreisen und vielleicht sogar auf das Auto: Für “Leute mit hohem sozioökonomischem Status” sei es ohne Weiteres möglich, ihre Emissionen zu reduzieren und so zu “Trendsettern für einen kohlenstoffarmen Lebensstil” zu werden, liest man im Text. Zehn bis 30 Prozent der Bevölkerung müssten mitmachen: “Dann entwickeln sich neue gesellschaftliche Normen.”


Tip von Ingo

Kleinwindkraftanlagen: Ein Windrad hinterm Gemüsebeet (Spektrum)

(27.08.21, Spektrum) , Original : hier

Windkraftanlagen werden immer größer – aber nicht alle. Weltweit stellen sich immer mehr Menschen kleine Windturbinen hinters Eigenheim. Das Ziel: Unabhängigkeit. Funktioniert das? von Katja Maria Engel

Ein kleines Windrad mit Stummelflügeln zwischen Bäumen
© Appfind / Getty Images / iStock (Ausschnitt)

Eigentlich sagt sie Physik: hohe Windräder ernten mehr Energie als niedrigere, denn in der Höhe weht der Wind schneller. Doch das scheint Hugh Pigott nicht zu scheren. Der schottische Ingenieur fertigt handgeschnitzte Holzklingen für Kleinwindräder. Und so sägt, hobelt und stemmt er seit mehr als zwei Jahrzehnten aus massivem Holz die Flügel für Windräder, die so niedrig sind, dass sie kaum einen ausgewachsenen Baum überragen.

Doch während Pigott unermüdlich aus Passion für eine Back-To-The-Roots-Bewegung für Selbstversorger zimmert, könnte die Kleinwindbranche dank Hightech neuen Auftrieb erhalten. Fachleute haben nicht nur ein Kleinwindrad konstruiert, das sich auch bei einer schwachen Brise im Binnenland noch effizient drehen soll. Es ist zudem klein genug, dass Privatleute sie in ihrem Garten aufstellen können.

Das Problem: wie die Windkarte des Deutschen Wetterdienstes zeigt, weht ausreichend starker Wind meist nur nahe der Küste. Wenn Kleinwindanlagen aus der Liebhaberecke herauskommen sollen, müssen sie sich daher auch bei einer schwachen Brise drehen. Eine Arbeitsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft will das mit einem neuen Windradflügel ändern. Denn an den Orten, wo eine leichte Brise gerade einmal leicht spürbar ins Gesicht haucht und die Blätter am Baum rascheln lässt, könnte damit auch dieser Wind effizient geerntet werden. »Zwar gibt es schon Kleinwindanlagen, aber jetzt kann ich auch im Binnenlandbereich und nicht nur in den Küstenregionen eine ausreichende Leistungsausbeute bekommen«, sagt Professor Holger Seidlitz vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam. »Und zwar dort, wo ich Windgeschwindigkeiten mit weniger als drei Meter pro Sekunde habe«,

Wo der Wind weht

Laut einer weltweiten Marktuntersuchung des Windenergie-Weltverbands WWEA gab es Ende 2011 weltweit 334 Hersteller für Kleinwindkraftanlagen. Die meisten mit je knapp 60 sitzen in den USA und China. Auch in Deutschland gibt es immerhin 27 Hersteller, sie allerdings exportieren einen großen Teil ihrer Produktion. In Deutschland ist die Bedeutung von Kleinwindenergieanlagen (KWEA) für die Deckung des Gesamtenergieverbrauchs gering. In einer Studie von 2019 des Zentrums für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung in Stuttgart liefern solche Anlagen hierzulande knapp 40 Megawatt, weniger als 0,1 Prozent der gesamten an Land installierten Windkraftleistung von über 55 Gigawatt.

Die Zahlen basieren allerdings überwiegend auf Schätzungen. Im Gegensatz zu Photovoltaik werden Kleinwindanlagen in Deutschland nicht statistisch erfasst. Meist decken sie dem Eigenbedarf von Eigenheimbesitzern, kleinen Gewerbebetrieben und landwirtschaftlichen Betrieben. Ein Grund dafür sind auch die ungünstigen Windverhältnisse. Normalerweise gilt auch bei Kleinwindanlagen: Orte mit weniger als vier Metern pro Sekunde sind eher kein guten Standort für die drehenden Windsammler. Dabei überwiegen in Deutschland genau diejenigen Orte mit der schwachen Brise mit drei Metern pro Sekunde in zehn Meter Höhe.

Dass man zehn Meter als Richtwert ansetzt, hat einen guten Grund. Zwar fallen auch höhere Windräder mit bis zu 50 Meter unter die Definition von Kleinwindenergieanlagen (KWEA). Doch Windräder von der Höhe eines durchschnittlichen Einfamilienhauses können in einigen Bundesländern ohne Genehmigung aufgestellt werden. »In den meisten Bundesländern reicht dafür eine Bauanzeige« erklärt Beloch, Projektpartner der Fraunhofer-Arbeitsgruppe. Die Regeln seien allerdings so unterschiedlich je Land wie die für die Corona-Pandemie, sagt Seidlitz. Und so sind sie in NRW genehmigungsfrei, außerhalb von Wohn- und Mischgebieten.

Das Problem mit dem Vogelschutz

In den windreicheren Gegenden in Brandenburg und Niedersachsen müssen sie dagegen immer genehmigt werden. Und in Baden-Württemberg und Bayern sind sie wiederum nur dann genehmigungsfrei, wenn keine Naturschutzgründe dagegen sprechen. Mögliche Faktoren dabei nennt Kai-Michael Thomsen vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund NABU – so seien auch zehn Meter hohe Windräder nicht unbedenklich für Vögel. Thomsen ist zusammen mit anderen Forschern und Forscherinnen Autor einer ersten Studie zu Kleinwindanlagen. Wie diese Gefährdung am jeweiligen Standort abgeschätzt werden kann, demonstrieren sie in einem praktischen Modell. Demnach seien bei Kleinwindanlagen eben nur nicht Rotmilan und Mäusebussard gefährdet, sondern eher die tiefer fliegenden Stare und Dohlen. Es ist aber immer durchschnittlich ein Vogel, der je Anlage pro Jahr getötet wird. Kleinwindräder führen so gemessen an der installierten Leistung theoretisch zu mehr Opfern.

Das liegt daran, dass man für die gleiche Leistung mehr kleine Windräder braucht. So kann ein neu errichtetes Großwindrad an Land inzwischen schon mehr als 5 Megawatt Leistung abgeben. Die der Kleinwindanlagen reicht von 300 Watt bis zu 100 Kilowatt, was der eines Autos mit 135 PS entspricht. Von allen diesen kleinen Windsammlern soll es in Deutschland um die 20 000 Stück geben, schreibt Patrick Jüttemann in seinem Fachportal für Kleinwindkraftanlagen. Er berät als Experte private und gewerbliche Betreiber von Kleinwindanlagen und schätzt, dass 80 Prozent kleiner als zehn Meter sind und ein Großteil eine Leistung von zwei Kilowatt hat.

Für diesen Typ Anlagen optimiert die Arbeitsgruppe um Seidlitz ihren Windradflügel. Die Leistung des neuen Designs soll drei Kilowatt betragen. Die Flügel sind aus Faserstreifen aufgebaut, die in eine Form eingelegt werden und, getränkt mit flüssigem Harz, zu einem stabilen Leichtbauteil verkleben. Geschieht dieses sehr präzise und ohne Überlappungen zwischen den Streifen, verringert sich das Gewicht des Rotorblattes um bis zu 35 Prozent im Vergleich zu üblichen Kleinwindrotoren, so das Team.

Klein, leicht – wirtschaftlich?

Das Gewicht aber ist ein wesentlicher Faktor für die Effizienz. Gleichzeitig konnten sie die Fläche um 45 Prozent vergrößern, damit die Flügel auch bei einer schwachen Brise noch Schwung aufnehmen. Und stürmt es zu sehr, sind sie elastisch genug, um sich selbstständig aus dem Wind zu drehen. Das erspart Elektronik oder mechanische Elemente fürs Abschalten der kleinen Windflügel, die nur drei Meter lang sind. Zum Vergleich: Rotorblätter der neuesten Generation der größten Windräder sind inzwischen 115 Meter lang, so lang wie ein Fußballfeld.

Wie gut ihre Windanlage im Binnenland funktioniert, testen sie zusammen mit der Firma Beloch für Gebäudetechnik in Luckau unter realen Bedingungen. Seit einem Jahr dreht sich im 1000 Quadratmeter großen Garten eines Eigenheimbesitzers im Ortsteil Cahnsdorf, rund 80 Kilometer südlich von Berlin, schon das Vorgängermodell. Seit August 2021 dreht sich auch der superleichte neue Rotor unter realen Bedingungen. Der Standort ist gut gewählt, auf drei Seiten gibt es freie Ackerflächen, ein Baum und die Gebäude haben auch einen größeren Abstand. Denn schaut man in die Windkarte des Deutschen Wetterdienstes, so findet man hier im Durchschnitt eher extrem ungünstige Verhältnisse.

In zehn Meter Höhe herrschen durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von unter drei Metern pro Sekunde. 2020 Jahr war dennoch wohl ein gutes Windjahr, so hatten sie Windgeschwindigkeiten von vier bis fünf Meter pro Sekunde und 900 Betriebsstunden. Mit dem neuen Flügeldesign erwarten sie auch bei den unteren Windgeschwindigkeiten einen Zuwachs, so der Geschäftsführer Beloch. Damit könnten sehr viele mehr kleine Windräder im Binnenland in Deutschland wirtschaftlicher werden. Eine Windanlage ist dann effizient, wenn sie auch aus diesen geringen Windstärken Energie erzeugt und sich die Flügel möglichst schnell zu drehen beginnen.

Der Traum von der Unabhängigkeit

Einer der Gründe für eigenen Windstrom sei es, eigenen Ökostrom zu erzeugen, sagt Patrick Jüttemann vom Fachportal Kleinwindanlagen. Allein mit Photovoltaik seien die Erträge dagegen im Herbst und Winter zu gering. Ein zweiter Grund für private Hausbesitzer und Gewerbetreibende sei der Wunsch nach Energieautarkie. Und mit Wind und Sonne seien 80 Prozent Autarkie realistisch für Strom und Wärme.

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In Deutschland beträgt nach einer groben Abschätzung der solare Energieertrag rund 800 Kilowattstunden je Kilowatt installierter Leistung. Kleinwindkraft kann da nicht mithalten. Auch ein Kleinwindrad im Binnenland kann zwar 900 Volllaststunden erreichen, aber in zehn Meter Höhe bremst schon ein Baum oder ein Haus, das zu nah am Windrad steht, den Wind aus. Jüttemann hält drei Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit für »definitiv zu wenig«. Er schreibt, dass kleine private Windanlagen mit einer Leistung von unter fünf Kilowatt in der Regel zwar Strom erzeugen, der aber teurer als der aus dem Stromnetz ist.

Auch Seidlitz berichtet, den meisten Interessenten gehe es nicht um die Entscheidung zwischen Photovoltaik oder Windrad, sondern darum, unabhängig zu werden. Diese Kombination aus beidem mit einem langfristigeren Speicher als Batterien schaffe einem hohen Grad an Autarkie. Denn der Wind blase meist zu anderen Zeiten als die Sonne scheine. Und so entwickelt die Arbeitsgruppe zurätzlich ein Konzept, um die ganze Energie in einem optimierten Langzeitspeicher mit Wasserstoff zu bunkern. Besitzer von Wasserstoffautos könnten ihr Auto dann zukünftig direkt zu Hause mit eigener Energie betanken, bewerben die Kooperationspartner ihre Entwicklung.

Das kann den kleinen Anlagen vielleicht doch etwas mehr Auftrieb geben. Zusätzlich ist das Windrad im Garten auch noch verhältnismäßig leise, und »so ein kleines Windrad keinen Infraschall produziert und nicht dieses laute ›Wuch-Wuch‹ zu hören ist«, wie Seidlitz anmerkt. Wie laut die Neuentwicklung von ihm einmal ist, müssen sie erst noch messen. Das hat das Unternehmen iQRON in Dresden, das ebenfalls kleine Windräder baut, bereits getan. Die Firma bewirbt sie als »besonders geräuscharm«. Mit 35 Dezibel sind die Anlagen in etwa so laut wie ein Zimmerventilator.


Tip von Ingo

Umstrittenes Kohlekraftwerk — Gericht hält Standort von Datteln IV für illegal

(27.08.21, Spiegel) , Original : hier

Das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln IV hätte an seinem Standort nicht gebaut werden dürfen, das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan gekippt. Das Kraftwerk bleibt aber am Netz.

Datteln IV ist das einzige Kohlekraftwerk in Deutschland, das trotz der Vereinbarung zum Kohleausstieg neu ans Netz ging. Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster festgestellt, dass der Bebauungsplan ungültig ist. »Der Bebauungsplan der Stadt Datteln ist unwirksam«, sagte der Vorsitzende Richter Detlev Klein Altstedde zum Abschluss der Verhandlung in Münster. Die Standortauswahl für das Kraftwerk sei fehlerhaft gewesen.

Außerdem hätte der Regionalverband bei seiner Planung auch Alternativen wie beispielsweise die Errichtung eines Gaskraftwerks in Betracht ziehen müssen, urteilte das Gericht weiter. Ein solches Gaskraftwerk stelle »wesentlich geringere Anforderungen an den Raum« und habe »erheblich weniger Auswirkungen auf die Umwelt«.

Die Umweltorganisation BUND, die gegen Datteln IV geklagt hatte, begrüßte die Entscheidung. »Das ist ein ganz wichtiger Sargnagel für das Projekt Datteln IV«, sagte ihr NRW-Geschäftsleiter Dirk Jansen.

Datteln IV ist seit Mitte 2020 in Betrieb. Ein großer Teil des Stroms geht an die Deutsche Bahn. Nach der Rettung des Hambacher Forstes vor den Baggern des Energiekonzerns RWE haben Umweltschützer Datteln IV verstärkt ins Visier genommen. Mehr zum Thema

Das Kraftwerk geht aber nach der Entscheidung des Gerichts nicht vom Netz, denn sie betrifft nicht die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks. Diese will der BUND aber ebenfalls noch vor Gericht kippen, ein Verfahren ist vor einem anderen Senat des OVG in Münster anhängig.

»Das Gericht hat heute nicht über die Stilllegung von Datteln IV entschieden, sondern über formale Aspekte des Planungsrechts«, sagte der Uniper-Sprecher. Uniper gehe weiter von einer Rechtmäßigkeit der für das Kraftwerk erteilten Genehmigung aus, dieses werde weiter betrieben.

Der BUND erwartet indes, dass das Urteil Rechtskraft erlangen werde. Dann müsse die zuständige Bezirksregierung in Münster Datteln IV die Betriebsgenehmigung entziehen. Die Entscheidung des Gerichts sei auch eine »politische Klatsche« für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der sich hinter Datteln IV gestellt habe


Tip von Ingo

Mehr Starkregen in Deutschland — Wenn es regnet, dann so richtig

(26.08.21, Spiegel) Original : hier

Die Klimakrise verändert das Wetter in Deutschland: Dem Deutschen Wetterdienst zufolge wird es in Zukunft weniger zu großflächigem Dauerregen kommen. Dafür stellt Starkregen ein immer größeres Risiko dar.

Im Juli kam es auch im Landkreis Miesbach in Bayern zu schweren Unwettern

Es wird in den kommenden Jahren weniger oft nieseln, aber immer häufiger schütten. Die steigenden Temperaturen verändern die Art der Niederschläge in Deutschland. Statt großflächigem Dauerregen werde es häufiger kleinräumigen Starkregen geben.

Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Deutsche Wetterdienst vorgestellt hat. Erarbeitet wurde die Studie in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dem Technischen Hilfswerk und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.


Klimakrise : Lesen Sie mehr über die neuesten Entwicklungen, Hintergründe und spannenden Lösungsansätze in unserem Themenspezial. Alle Artikel


Klimaprojektionen deuteten darauf hin, dass sich die Zahl der Extremwettereignisse durch den Klimawandel erhöhen und intensivieren könnten. Eine Folge ist die Zunahme starker Regenfälle.

Grundlage der Erhebung sind Niederschlagsdaten der Wetterstationen seit 2001. Aus diesen Daten erstellten die Expertinnen und Experten einen Katalog extremer Niederschläge in Deutschland. Dabei zeigte sich: In wärmeren Regionen tritt Niederschlag häufiger als kleinräumiger Starkregen auf und weniger in Form von Dauerregen, der über mehrere Stunden oder Tage anhält.

Extreme Starkregen von kurzer Dauer, wie bei Gewittern, könnten deutlich größer und stärker werden. Deshalb komme insgesamt auch nicht weniger Wasser vom Himmel: Vermehrter Starkregen führe zu einem erhöhten Gesamtniederschlag und zu potenziell größeren Schäden.

Die Gefahr hängt auch vom Wohnort ab

»Starkregen kann jeden treffen«, sagte Tobias Fuchs, der Leiter der Klima- und Umweltberatung beim Deutschen Wetterdienst. Doch bestimmte Faktoren wie die Topografie und der Grad der Flächenversiegelung hätten einen Einfluss auf die konkrete Gefahr. Die Orte, an denen Feuerwehren wegen Starkregens im Einsatz sind, befinden sich der Studie nach häufiger in Senken und in dicht besiedelten Gebieten, in denen viele Flächen versiegelt sind.

Die Behörden forderten, die Erfassung der Einsatzdaten weiterzuentwickeln. Bislang fehle eine Datenbasis für ein flächendeckendes und organisationsübergreifendes Lagebild, dass die Einsatzbelastung bei Starkregen abbildet. Eine Mehrbelastung der Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzsystems müsse sichtbar gemacht werden. »Die klimagerechte Stadt braucht Stadtgrün«

Peter Jakubowski, Präsident des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Die beteiligten Behördenvertreter und -vertreterinnen sprachen sich zudem für mehr Engagement aus, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Es sei notwendig, eine Infrastruktur aufzubauen, »die die Schadenswirkung von Starkregenereignissen, insbesondere in urbanen Regionen, abfedern kann«, sagte Fuchs.

Der Präsident des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Peter Jakubowski, sagte, Städte müssten »kompakt, klimagerecht und wassersensibel umgebaut werden«. Man müsse sicherstellen, dass möglichst viel Niederschlag versickern kann und Starkregen besser aufgehalten wird. Ein solcher Umbau sei teuer und zeitaufwendig.


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Deswegen, forderte Jakubowski, müsse über zusätzliche Förderungen diskutiert werden. »Die klimagerechte Stadt braucht Stadtgrün und den Schutz von Freiräumen durch kompakte Bebauung«, sagte Jakubowski. Und: »Entsiegeln ist die Kernaufgabe, der sich die Stadtplanung und -entwicklung widmen muss.«

Die Hochwasserkatastrophe, die im Juli vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu schweren Verwüstungen und mehr als 180 Toten führte, sei ein extrem seltenes Ereignis gewesen, hieß es vom Deutschen Wetterdienst. Derartige Niederschlagsmengen träten statistisch betrachtet alle 100 Jahre oder seltener auf.


Tip von ^ingo

Kipppunkt – der F.A.Z. Klimablog : Chinas Strombedarf steigt rasant – und die weltweite Kohleverstromung

(27.08.21, F.A.Z) , Original : hier

Von   Lilly Bittner

Der weltweite Kohlestromanteil steigt: 

Die Zeiten sind vorbei, in denen der Stromverbrauch aufgrund der Corona-Pandemie sinkt. In diesem ersten Halbjahr wurden im globalen Mittel wieder mehr CO2-Emissionen durch den Stromsektor ausgestoßen als vor Pandemieeinbruch. Das geht aus dem globalen Elektrizitätsbericht hervor, der am Mittwoch von der Denkfabrik Ember veröffentlicht wurde. Demnach stiegen die Emissionen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 um 12 Prozent und im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 um fünf Prozent an. Denn auch die Stromnachfrage liegt fünf Prozent über dem präpandemischen Niveau. Der Anstieg ist jedoch zu 90 Prozent auf China zurückzuführen. Auch wenn erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden – als Stromquelle überholen sie erstmals die Atomkraft und sind damit Quelle für rund 10 Prozent des weltweit genutzten Stroms. Der Strombedarf nahm gerade in China so rasant zu, dass man nicht mehr hinterherkam. Deshalb musste man für die Stromdeckung zu über zwei Drittel auf Kohlestrom zurückgreifen. Damit stieg der Kohlestromanteil dortzulande um 15 Prozent.

Wenn man China aus der Statistik lässt, zeigt sich ein globaler Rückgang von Kohlestrom. Insgesamt stieg der Kohleverstromung jedoch um 5,6 Prozent. Damit bleibt Kohle weltweit die Stromquelle Nummer Eins, gefolgt von Gas und Öl.  Der Ausbau erneuerbarer Energie vollzieht sich also nicht schnell genug. Denn die NET Zero Road Map der IEA rechnete aus, dass die weltweite Stromnachfrage bis 2030 um 50 Prozent steigen wird. Gleichzeitig muss man die weltweiten CO2-Emissionen des Stromsektors im Vergleich zu 2019 um 57 Prozent senken, um das 1,5-Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der Hauptstudienautor Dave Jones von Ember bilanziert daher: „Die katapultartigen Emissionen im Jahr 2021 sollten weltweit die Alarmglocken schrillen lassen. Wir bauen nicht besser, sondern schlechter zurück. Eine superschnelle Umstellung der Stromversorgung in diesem Jahrzehnt ist entscheidend, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die Energiewende findet statt, aber mit geringer Dringlichkeit: Die Emissionen gehen in die falsche Richtung.“

In Deutschland ist das Bild folgendes:

Laut europäischem Elektrizitätsbericht aus dem Juli diesen Jahres sank der Kohlestromanteil im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zu 2019 um knapp 15 Prozent. Auch der Anteil erneuerbarer Energien sank um 4 Prozent. Das liegt allerdings an schlechten Windbedingungen. Dieses Stromdefizit glich fossiles Erdgas aus – diese Stromquelle erfuhr einen Zuwachs von 12 Prozent. Trotzdem lag der Anteil erneuerbaren Stroms im Juli diesen Jahres bei 47,1 Prozent. 

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Tip von Marie

Pilotprojekt: Sieben Großstädte wollen großflächig Tempo 30 testen

(06.07.21, heise) , Original : hier

Als Projekt für die Bewohner sehen sieben Städte einen Test mit Tempo 30 auf den meisten Straßen.

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Tempo 30 innerorts soll für Fußgänger und Radfahrer die Straßen sicherer machen, den Verkehrslärm reduzieren und die Luftbelastung senken.

Sieben deutsche Großstädte wollen in einem Politprojekt großflächig Tempo 30 testen. Nur auf den wenigen Hauptverkehrsstraßen soll dann noch die vor 65 Jahren erstmals eingeführte, allgemeine innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h zulässig sein.

An dem gestern vorgestellten Projekt beteiligen sich Aachen, Augsburg, Freiburg im Breisgau, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm. Die Städte hoffen, dass es nach der Bundestagswahl schnell zu einer Änderung der Straßenverkehrsordnung kommt, um das Projekt zu ermöglichen. Die Initiative wird vom Deutschen Städtetag in Berlin unterstützt.

“Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen”, sagte Städtetagspräsident, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Dafür bräuchten die Städte mehr Entscheidungsspielraum als bisher. “Die Kommunen können am besten entscheiden, welche Geschwindigkeiten in welchen Straßen angemessen sind.”

Die sieben Städte betonen, dass es sich nicht um eine Initiative gegen Autofahrer handele. Es sei ein Projekt für die Bewohner der Kommunen. “Die Leistungsfähigkeit für den Verkehr wird durch Tempo 30 nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität dagegen spürbar erhöht”, heißt es in einer Erklärung der Städte. Besonders für Fußgänger und Radfahrer würden die Straßen sicherer. Zudem werde der Verkehrslärm reduziert und die Luftbelastung geringer. Unterstützt wird das Projekt auch von der Initiative Agora Verkehrswende, die neue Klimaschutzstrategien erarbeiten will.

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(fpi)

Konferenz zur Zukunft der Städte:Baustopp, bitte

(05.08.21, Süddeutsche) , Original : hier

Mit der Ideologie des Wachstums ist es vorbei. Wer Wohnraum will, soll künftig bestehende Flächen nutzen. Wie beispielsweise die San Gimignano-Türme in Berlin, in denen die Konferenz “Berlin questions” gastierte.

Die Konferenz “Berlin questions” fragt nach der Zukunft der Städte, viele Antworten laufen auf eine scharfe Kehrtwende hinaus. Von Till Briegleb

Es war offensichtlich nicht der Vorschlag, den Michael Müller gerne hören wollte. Nachdem die Harvard-Professorin Charlotte Malterre-Barthes mit ihrer Darlegung geendet hatte, warum wir ein sofortiges Bau-Moratorium für die Umwelt brauchen, verließ der Bürgermeister von Berlin die von ihm einberufene Konferenz zu Stadtperspektiven nach Corona fluchtartig. Das wirkte, als wolle er auf der hochkarätig besetzten Veranstaltung mit dem Titel “Berlin questions” bloß keine unangenehmen Fragen gestellt bekommen zu den Widersprüchen konkreter Planungspolitik. Zum Beispiel, warum die Stadtregierung von Berlin nie ehrlich darüber spricht, was Tausende Neubauvorhaben pro Jahr für das Klima bedeuten. Wenn man weiß, dass die Herstellung einer Tonne Beton die CO₂-Menge von 200 000 Luftballons freisetzt und für das Humboldt-Forum allein 200 000 Tonnen Zement verbaut wurden, stellt nur diese Luftballonzahl mit zehn Nullen die Frage, was am Bauen “gesund” sein kann.

Für die vielen Neugierigen, die bei der Auftaktveranstaltung der viertägigen Konferenz im E-Werk an der Wilhelmstraße sitzen blieben, wurde es aber ein außergewöhnlich produktiver Tag der seriösen Einsprüche, und zwar gegen eine Stadtpolitik, die Konsequenzen ihrer Versprechungen konsequent verschleiert. Obwohl Müller in seiner Eröffnungsrede voller Stolz und Optimismus die “Architekten, Wissenschaftler und Bürgermeister aus aller Welt” in der Erwartung begrüßte, sie mögen inspirierende Ideen für die Probleme der wachsenden Metropole Berlin liefern, hatte dieses Expertentreffen vor allem Ideen zu bieten, die die Prämissen heutiger Stadtentwicklung grundsätzlich infrage stellen.

Die Verknappung am Wohnungsmarkt sei vor allem dadurch begründet, dass nicht konsequent saniert und umgenutzt werde

So räumte Malterre-Barthes gleich nach Müllers eiligem Abgang mit dem Mantra auf, es gäbe nicht genügend bezahlbaren Wohnraum. Zahlen aus den meisten Großstädten der Welt würden belegen, dass die vermeintliche Verknappung am Wohnungsmarkt vor allem dadurch begründet ist, dass nicht konsequent saniert und umgenutzt wird.

Der Abriss von angeblich maroden Wohngebäuden und leer stehenden Bürohäusern, um neue hochpreisige Immobilien zu errichten, vernichte jedes Jahr im großen Maßstab die Option, Flächen für kostengünstiges Wohnen und Arbeiten zu nutzen. “Es sind Mechanismen des Finanzmarktes und das Dogma des Wachstums, die ständig Abriss und Neubau fordern”, sagte Malterre-Barthes.

Die Expertin für Kreislaufwirtschaft, Sabine Oberhuber, vertiefte diese Kritik an den ökonomischen Grundsätzen heutiger Stadtentwicklung mit dem berühmten Zitat des kritischen Wirtschaftstheoretikers Kenneth Boulding, “Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum kann andauernd weitergehen in einer endlichen Welt, ist entweder verrückt oder ein Ökonom.” Oder Politiker müsste man hinzufügen. Warum begreifen unsere Volksvertreter, die seit Monaten die Angst vor exponentiellem Wachstum bei Covid-Ansteckungen schüren, nicht, dass exponentielles Wirtschaftswachstum nach der gleichen mathematischen Dynamik in die Katastrophe führt, fragte Oberhuber unter großem Applaus. Und zeigte anschließend die notwendige Alternative auf.

Auch der ausgemusterte FlughafensBerlin-Tegel war Spielort für Diskussionen und Vorträge der Konferenz.

Anstatt das wahre Problem jährlichen Wirtschaftswachstums weiterhin als Lösung darzustellen, wie es fast alle Parteien bis hin zu den Grünen tun, müsse das existierende Wirtschaftssystem grundsätzlich in eine Kreislaufwirtschaft mit entgegengesetzten Prämissen umgebaut werden: Kein weiterer Abbau von Ressourcen, die nach einmaliger Verwendung als Müll in Luft, Wasser und auf Halden landen. Stattdessen Zwang zum wiederkehrenden Recycling aller Stoffe, damit sie auf sehr lange Zeit im Wirtschaftskreislauf verbleiben. Wohlstand lässt sich damit erhalten, Wachstum und Konsum als Lebenshaltung aber sicher nicht.

Wie schmerzhafte Korrekturen ausnahmsweise anders als gewohnt verteilt werden, nämlich vor allem bei den bisherigen Gewinnern des Systems stattfinden könnten, das war das Dauerthema der Beiträge dieser Konferenz. Die Künstlerin Hito Steyerl propagierte die alte Idee der “Commons”, also der gemeinschaftlichen Güter, als Alternative zur Profitwirtschaft. Wohnraum wie digitale Daten, Bodenrechte wie Mobilitätsangebote, Wasser- wie Energieversorgung müssten demnach aus dem Besitz von Konzernen zurück in die Verantwortung der Gemeinschaft geführt werden. Das ist zwar eine extrem verhasste Idee bei Vertretern des Glaubens, dass der Markt alles schon richten wird. Aber das offensichtliche Versagen dieser Behauptung im globalen Maßstab führt dazu, dass immer mehr Menschen am eigenen Leib spüren, wie Marktabsolutismus sie zu Opfern einer gierigen Dynamik macht, nicht zu Teilhabern des Wohlstands.

Einsprüche gegen ein System, das in seinen strukturellen Entscheidungen genauso weitermacht wie vor Corona

Elementare Einsprüche gegen ein System, das in seinen strukturellen Entscheidungen genauso weitermacht wie vor Corona, waren unter den Dutzenden Sprechern der “Berliner Fragen” dann auch Mehrheitsansatz. Parolen wie “Jeder Milliardär ist ein Versagen der Politik”, präsentiert von der Gründerin des Straßenmagazins Arts of the Working Class, María Inés Plaza Lazo, reihten sich neben Analysen der New Yorker Stararchitektin Elizabeth Diller, wie das berühmte Gemeinschaftsprojekt eines Volksgartens auf Bahngleisen, der High Line Park, zu einem entfesselten Immobilienboom und radikaler Gentrifizierung im südlichen Manhattan geführt hat. Und es mangelte nicht an energischen Appellen an die Politik, die Chance zur Selbstkritik zu nutzen. Die Architektin und Autorin Lesley Lokko forderte die Michael Müllers der Welt auf: Macht euch bereit, in den Keller zu gehen, um eure Fundamente anzusehen!

Es war auffällig, wie vor allem die vielen Sprecherinnen der Konferenz plausible Argumente für eine echte Kehrtwendung in der Stadtpolitik vorbrachten, wogegen die Männer mit “realistischeren” Vorschlägen den Erhalt der bestehenden Ordnung profitorientierten Wirtschaftens präferierten. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Immobilienkonzerns Grand City Properties, Christian Windfuhr, warb für die Möglichkeiten der Branche, heruntergekommene Wohnanlagen zur Zufriedenheit der Bewohner zu sanieren und trotzdem viel Geld damit zu verdienen. Oder Chris Lehane, ehemaliger Berater von Bill Clinton und des gerade wegen sexueller Übergriffe zurückgetreten Gouverneurs von New York, Andrew Cuomo, heute Kontaktmann von Airbnb für Kommunen und Politiker, pries die großen Segnungen seiner globalen Zimmervermietung für die lokalen Ökonomien in den Städten.

Vielleicht braucht es tatsächlich viele unterschiedliche Ansätze, wie konkurrierende Interessen mit dem gemeinsamen Ziel ökologischer und sozialer Umgestaltung zusammenwirken können, um den “Planet in Lebensgefahr”, wie die UN es gerade benannt hat, von der Intensivstation zu bekommen. Allerdings – und das war die große inhaltliche Einsicht dieser Konferenz – wird das nur gelingen, wenn alle Akteure sich der Transparenz verpflichten und wissenschaftliche Einsichten akzeptieren, selbst dann, wenn sie ihren eigenen Zielen widersprechen. Nur so ist eine unideologische Diskussion darüber möglich, welche radikalen Entscheidungen zum Wohl der Stadt- und Weltgemeinschaft unabdingbar sind. Vielleicht kann dann die Folgekonferenz auch einmal “Berlin answers” heißen. Höchste Eisenbahn wäre es.

Bauen im Klimawandel: “Das Versäumnis rächt sich”

(08.08.21, Süddeutsche) , Original: hier

Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen.

Die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker fordert ein deutsches Bauministerium. Auch weil das Leben retten könne. Ein Gespräch.

Interview von Gerhard Matzig

Nach der Flutkatastrophe in Westdeutschland wurde Lamia Messari-Becker zu einem bekannten Gesicht der Medienlandschaft. In Sondersendungen und Talkshows war ihre Expertise zum Bauen der Zukunft, das sich dem Klimawandel anpassen muss, fast täglich gefragt. Die Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, geboren 1973 in Larache, Marokko, plädiert allerdings schon lange nicht nur für ein nachhaltigeres und grüneres Bauen, sondern vor allem auch für eine grundsätzlich andere Baupolitik.

SZ: Sie fordern ein neues Bauministerium im Bund. Warum?

Lamia Messari-Becker: Die geplante und gebaute Umwelt ist der Lebensraum von 83 Millionen Menschen in diesem Land. Nichts vereint uns mehr als die Gemeinsamkeit von Wohn-, Arbeits- und Lebensräumen im Zentrum unseres Alltags. Dennoch werden Bauen, Wohnen, Stadt- und Raumentwicklung noch immer nicht als ganzheitliche politische Gestaltungs- und Handlungsfelder gesehen. Obwohl die Herausforderungen immer größer werden: Energieeffizienz, Klimaanpassung, Klimaschutz, Bezahlbarkeit, Altersgerechtigkeit, Digitalisierung, Mobilität, Wandel der Arbeitswelt, Kluft zwischen Stadt und Land – um mal die größten Themen zu nennen. Diese Aufgabe nicht zentral zu planen und zu steuern, diese Themen nicht ganzheitlich, sondern als Teilaspekte zu sehen, das ist fatal. Schon jetzt sehen wir: Das Versäumnis rächt sich auf vielen Ebenen.

Ist das jüngste Hochwasser in Westdeutschland, durch das die Bedingungen und Folgen des Bauens wieder öffentlichkeitswirksam diskutiert werden, ein Beispiel für das Versäumnis?

Die Hochwasserkatastrophe macht uns auf tragische Weise klar: Klimaanpassung, resiliente Infrastrukturen, Flächen- und Wassermanagement, vorbereitete Kommunen und Bewohner – all das kann Leben und Existenzen retten. Wir verfehlen aber fast alle baubezogenen politischen Ziele. Teils, weil sie fern jeglicher Lebensrealität der Menschen und Praxistauglichkeit definiert werden, oder weil sie schlicht nicht durch die richtigen Begleitmaßnahmen flankiert oder auch nicht vernetzt genug gedacht werden. Unser Bau- und Förderrecht behindert teils durch sachfremde Regelungen das Erreichen vieler Nachhaltigkeitsziele. Selbst Umweltschutzvorgaben sorgen am Ende für weniger Umweltschutz und stehen ungewollt einem gesellschaftlichen Mehrwert entgegen. Einige Fehlentwicklungen haben mit unkoordinierten Zuständigkeiten zu tun. Ein prominentes Beispiel ist der Flächenverbrauch. Flächennutzungen liegen in der kommunalen Verantwortung, während die Ziele der Flächenverbrauchsreduktion Bundessache sind. Ich bin eine Verfechterin der kommunalen Selbstverwaltung, aber sie muss mit anderen Zuständigkeiten koordiniert werden, siehe Katastrophenschutz. Es liegen gigantische Aufgaben vor uns und es ist höchste Zeit, Nachhaltigkeitspotenziale der gebauten Umwelt zu erkennen, zu heben und sie mit der Lebensrealität der Menschen zusammenzubringen.Bild in neuer Seite öffnen

Die Flutkatastrophe hat gewaltige Schäden hinterlassen, wie der Blick aus den Weinbergen hinunter auf das Ahrtal bei Dernau-Rech in Rheinland-Pfalz zeigt.(Foto: imago images)

Wofür genau wäre ein Bundesbauministerium zuständig?

Es geht um originäre Aufgaben des Bundes. Dazu zählen: Wohnen, Stadtentwicklung, ökologisches Bauen, die Entwicklung des ländlichen Raums und Infrastruktur. Ein solches Ministerium muss die Ressourcen und Kapazitäten haben, um diesen Aufgaben gerecht zu werden, es muss bei vielen Querschnittsaufgaben und Nachhaltigkeitsfragen Gehör finden sowie wichtige Erneuerungsprozesse begleiten, und zwar sozialgerecht und nah an den Menschen.ANZEIGE

Wie war das eigentlich früher geregelt?

Ein eigenständiges Bauministerium hatten wir in Deutschland von 1949 bis 1998. Lange standen zu Recht Wiederaufbau und sozialer Wohnungsbau im Mittelpunkt. Ab 1998 wurde das Bauen unterschiedlichen Ressorts zugewiesen, bis 2013 war es beim Verkehr angesiedelt, bis 2018 bei Umwelt- und Naturschutz …

… und aktuell ist es im Innenministerium organisiert, das man schnell noch als “Heimat”-Ministerium umetikettiert hat …

Jedenfalls führt das Bauen seit mehr als 22 Jahren ein Nomadenleben – die Folgen davon erleben wir jeden Tag in unseren Städten und Dörfern, wenig wurde vernetzt und gemeinsam gedacht, viel Stückwerk reiht sich aneinander. Das wird den Herausforderungen kaum gerecht. Es müssen eher Kompetenzen gebündelt und aufgebaut werden. Lebensraumplanung ist zu wichtig, um das als Marginalie alle vier Jahre herumzureichen. Das darf nicht wieder passieren.ANZEIGE

Um welche Handlungsfelder geht es konkret? Und was sind dort die Fehlentwicklungen?

Beispiel Umwelt: Bauen steht für einen Drittel des CO₂-Ausstoßes und Energieverbrauchs, außerdem für mehr als die Hälfte des Ressourcenverbrauchs und Abfalls. Wir fördern einerseits die Energieeffizienz im Gebäudebetrieb, ignorieren aber andererseits die sogenannte graue Energie der eingebauten Materialien im Lebenszyklus. So verschieben wir nur den Ressourcenverbrauch und die Umweltschäden: vom Betrieb in die Herstellung der Gebäude. Wir müssen das Ganze sehen. Mehr ressourcenbewusstes, kreislauffähiges Bauen wäre nötig. Viele Ziele und Regeln sind nicht zu Ende gedacht.

Zum Beispiel?

Wir fördern selbstverständlich Gebäudedämmung für Heizwärmeeinsparung im Winter, die auch gegen Hitzeeintrag im Sommer wirkt, aber kein Grün an der Fassade für besseres Stadtklima und Kühlenergieeinsparung im Sommer. Wir fantasieren über Sanierungsraten von vier Prozent, freilich mit der Dämmung, wissen aber genau, dass die Kosten für große Teile der Bevölkerung nicht tragbar und kaum Baukapazitäten vorhanden sind.

Gäbe es andere Wege?

Ich trete seit Jahren für Quartiersansätze ein und brachte dies zuletzt auch beim Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen ein – übrigens gegen große Widerstände. Worum geht es? Anstatt sich auf Einzelgebäude zu konzentrieren, bieten Quartiere ein größeres Handlungsfeld an, auf dem man gemeinsame Projekte insgesamt ökologischer, ökonomischer und auch sozialer realisieren kann. So lassen sich auf der Quartiersebene serielle Sanierungen durchführen, erneuerbare Energien gewinnen, Mobilitätsangebote gebündelt nutzen und vieles mehr. Und Quartiere haben eine soziale Kraft. All das muss mit einem Instrumentenmix begleitet werden: gesetzlich, finanziell und organisatorisch. Quartiere können Keimzellen positiven Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verträglichkeit sein. Das sollten wir nutzen. Wir sind zu sehr auf Einzelgebäude fokussiert und sehen vor lauter Gebäude nicht mehr das große Ganze: Quartiere als Lebensraum und Ressource.ANZEIGE

Was hat Energieeffizienz mit sozialem Frieden zu tun?

Ökologisches Wohnen in Städten ist jetzt schon kaum bezahlbar. Wie oft erlebe ich Menschen, die sanieren wollen, aber nicht das Geld aufbringen können, weil der Gesetzgeber eher “Alles oder nichts”-Maßnahmen kennt und schon gar nicht ein anderes Tempo, nämlich das der betroffenen Menschen. Bei rund der Hälfte der Wohnungen haben die Mieter, die ja nicht Eigentümer sind, Sanierungen gar nicht in der Hand. Wir haben ganze Quartiere, wo sozialbenachteiligte Menschen mit hohen Energiekosten leben. Ohne entsprechende Maßnahmen laufen wir weiter in eine Energiearmut. Das ökologische Bauen und Wohnen wird so zum Eliteprojekt – nichts wäre fataler. Ein Blick auf die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich zeigt doch, was passiert, wenn wir das Energie- und Klimathema an den Menschen vorbei planen. Wandel gelingt nur gemeinsam.

Das gilt zunehmend auch auf dem Land, wo das Einfamilienhaus eher anzutreffen ist als der flächensparende Geschosswohnungsbau.

Wir müssen den Flächenverbrauch von derzeit rund 56 Hektar pro Tag auf fast die Hälfte reduzieren und sind hoffnungslos davon entfernt, auch nur in die Nähe dieser Zielmarke zu kommen. Viele neigen in dieser Situation dazu, Menschen mit Einfamilienhäusern ein schlechtes Gewissen zu machen, anstatt ein kluges Flächenmanagement im Baurecht oder flächeneffiziente Grundrisse zu etablieren, um nur zwei Instrumente nennen. Die Bebauungspläne, die sich oft anschicken, sogar die Dachziegelfarbe und Dachneigungen vorzuschreiben, erlauben oft auf innerstädtischen großen Grundstücken nur zwei Wohnungen, während Kommunen finanziell kaum in der Lage sind, brachliegende Flächen zu sanieren. Wer beim Flächenverbrauch die Schuld bei den Menschen auf dem Land sucht, ignoriert die wahren Gründe. Wir tun uns schwer, Städte angemessen und klimaverträglich zu verdichten oder wachsen zu lassen. Oft werden hochenergieeffiziente Gebäude auf der grünen Wiese gebaut. Aber ohne nahe Versorgung und ÖPNV setzen sich viele Menschen in Autos und fahren zum Arbeiten und Einkaufen in die Stadt. Somit verschieben wir erneut Ressourcenverbrauch und Umweltschäden: Dieses Mal vom Gebäude auf die Straße. Die Ansammlung nachhaltig geplanter und gebauter Gebäude macht noch kein nachhaltiges Quartier aus. Und so fördert der Gesetzgeber aktiv eine folgenreiche Zersiedelung. Und genau deshalb muss all das zentraler und vernetzter geplant werden, wir brauchen einen konkreten und ganzheitlichen “Masterplan Lebensraum 2050” – ohne den bleibt der nötige Wandel nur eine Ansammlung loser Ideen.

Was ja auch mit der Mobilität zusammenhängt.

Richtig. Die Mobilitätswende wird nur produktseitig interpretiert, aber nicht räumlich. Zum Beispiel mit dem diskutierten Verbot von Verbrennungsmotoren. Dabei ist die E-Infrastruktur noch völlig unzureichend ausgebaut. Für die Menschen muss es darum gehen, von A nach B zu kommen, schnell, bezahlbar, ökologisch und sicher. Dazu sind keine Verbote oder Verzicht, sondern ein Ermöglichen nötig. Mehr ÖPNV und die Stadt der kurzen Wege, also nutzungsgemischte kompakte Städte: Das wäre in diesem Sinn ein Angebot. Auf dem Land sind viele Menschen und kleine Betriebe auf ihr Auto angewiesen, ein digital vernetztes Mobilitätsangebot könnte helfen, setzt aber voraus, dass wir flächendeckend digitalisiert sind – das sind wir aber nicht – und dass alle digitalaffin sind – das sind nicht alle. Es gibt nicht “die” eine einfache Lösung, die für alle Menschen gut funktioniert. Aber alle Menschen haben ein Recht auf Mobilität.ANZEIGE

Wenn Sie von einem Umdenken sprechen, betrifft das auch das Baurecht und die Baubürokratie?

Ja. Das Baurecht erschwert es zum Beispiel, einen Gewerbebau umzunutzen. Der Abriss dagegen, ökologisch oft fragwürdig, wird einem vergleichsweise leicht gemacht. Und absurd ist ja auch, dass noch immer Ausnahmegenehmigungen für das Bauen in Überschwemmungsgebieten erteilt werden. Gleichzeitig führen Auflagen dazu, dass ein Ersatzneubau weniger Nutzfläche generiert, wenn etwa das Baurecht wichtige Brandschutzauflagen zur Anzahl der Aufzüge und Treppenhäuser definiert, aber dann nicht in der Lage ist, ein halbes Geschoss mehr zuzulassen. Wir versiegeln also neu, haben aber nicht einmal die gleiche Nutzfläche, sondern weniger. Ein weiteres Beispiel: Wir sind nicht in der Lage, Bauakten zu digitalisieren. Stattdessen fahren mehrere Transporter zum Bauamt, um Planungsunterlagen abzugeben, die mit großem Aufwand gelagert werden.

In Deutschland sind die Planungsprozesse kompliziert, ob es um Windkraftanlagen, Solardächer oder Infrastruktur geht. Manchmal gleichen die Planungen Schildbürgerstreichen. Hat Deutschland als Land der Ingenieure das Bauen verlernt?

Da kommen mehrere hausgemachte Probleme zusammen. Einerseits haben Bauprojekte schon immer eine sozialpolitische Komponente. Das nimmt seit Jahren dramatisch zu, auch weil das Wohnen als die soziale Frage unserer Zeit nicht ernst genug genommen wurde. Jede große Bauinvestition im öffentlichen Sektor gerät sofort zum Politikum. Objektiv betrachtet sind andererseits unsere Regularien kompliziert, veraltet und zu zahlreich. Hier müssen wir ran. Holland macht es vor. Hier definiert man Ziele anstatt Regulierungen und überlässt es den Menschen zu entscheiden, wie sie bestimmte Qualitäten, ob Schallschutz oder Energieeffizienz, erreichen. Die Folgen: Innovation und Vielfalt der Baukultur. Auch deshalb stiegen die Wohnbaupreise in Holland seit 2007 um nur sieben Prozent, in Deutschland um fast 36 Prozent. Wir sollten die Baugesetze daher so reformieren, dass wir Qualitäten mit weniger Aufwand erreichen. Ein Beispiel ist Frankreich: Hier werden die Gewinner von Wettbewerben anschließend gemeinsam, also als Team, mit der Bauaufgabe beauftragt. In Deutschland bekommen nur Architekten den Auftrag, die Ingenieure sind erst einmal draußen und können sich um den Auftrag bewerben. Das ist absurd und behindert aktiv die integrale Zusammenarbeit, das gemeinsame Lernen und das Eintreten für ein Bauprojekt.

Angenommen, die nächste Regierung beschließt ein Bauministerium. Was hätte die neue Bauministerin vor allen anderen Dingen zu tun?

Wir brauchen dringend die Anpassung unserer Infrastruktur an den Klimawandel, Hand in Hand mit dem Klimaschutz. Und wir brauchen einen konkreten und ganzheitlichen “Masterplan Lebensraum 2050”, der Klima, Energie, Bezahlbarkeit, Mobilität, Digitalisierung, eine alternde Gesellschaft sowie den Wandel der Arbeitswelt berücksichtigt. Und zwar in den Städten und auf dem Land! Wir sollten unseren Kindern Dörfer und Städte hinterlassen, in denen es keine Zweiklassengesellschaft in Sachen Wohnraum gibt, in denen sie gerne leben und arbeiten, in denen sie sicher wohnen und in denen der ökologische Fußabdruck des Bauens und des Wohnens nicht auf Kosten der Umwelt geht. Konkret dafür anpacken müssen wir das Flächenmanagement, den Wohnungsbau, das Baurecht, die KfW-Förderung, die Städtebauförderung, die kommunalen Finanzen und die Digitalisierung. Um mal die Aufzählung zu beginnen. Es ist viel zu tun – und die Zeit drängt.

Bundestagswahl 2021: So wollen die Parteien die Energie- & Verkehrswende stemmen

(17.08.21, heise) , Original : hier

Vom Ausbau der Stromnetze und der E-Mobilität über die Zukunft der Verbrenner und den Einsatz von Wasserstoff – die künftige Regierung muss sich viel vornehmen. Von Stefan Krempl


Es ist nicht mehr lange hin: Am Sonntag, den 26. September, wird der neue Bundestag gewählt – und damit auch eine neue Bundeskanzlerin oder ein neuer Bundeskanzler, denn Angela Merkel tritt nicht mehr für die CDU/CSU an. In den nächsten Monaten und Jahren stehen entscheidende Weichenstellungen nicht nur für die Zukunft Deutschlands, sondern auch Europas und der Welt insgesamt an. Digitalisierung der Berufswelt und des kompletten Alltags beschäftigen die Menschen; und der Klimawandel – der nicht kommt, sondern längst da ist – erfordert einschneidende Maßnahmen, um nur zwei wichtige Themen zu nennen. heise online untersucht in einer neunteiligen Serie die Wahlprogramme der Parteien anhand der wichtigsten Themenfelder; im Anschluss wird eine Interviewserie mit den für Netzpolitik zuständigen Parteivertretern dies noch vertiefen. Bisher erschienen:


Mit Druck vom Bundesverfassungsgericht konnte sich die Große Koalition am Ende der Legislaturperiode noch durchringen, das Klimaschutzgesetz zu verschärfen. Die Treibhausgasemissionen müssen so bis 2040 um 88 Prozent sinken, die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral werden. Welche Maßnahmen dazu führen sollen, ließ Schwarz-Rot aber offen. Welche Schwerpunkte wollen die Parteien bei der Energie- und Verkehrswende sowie beim Klimaschutz legen?

Im Kampf gegen den Klimawandel wollen CDU und CSU “auf Ideen statt Verbote” sowie “Offenheit statt Abschottung” setzen. Der mit der ersten Version des Klimaschutzgesetzes eingeführte CO2-Preis soll nun doch schneller steigen, so schnell wie möglich ein europäischer Emissionshandel für Mobilität und Wärme eingeführt werden. Die Einnahmen werden dem Programm zufolge (EEG) in vollem Umfang an Bürger und an Betriebe durch “Stromverbilligung” zurückgeben. Als erstes wollen die Konservativen so die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abschaffen. Investitionen in Klimatechnologien und Energieeffizienz zur CO2-Reduktion sollen zudem steuerlich besser abgesetzt werden können.

“Wir werden den Ausbau der Erneuerbaren Energien entscheidend voranbringen”, geloben die Schwesterparteien. Nur so werde die Energiewende in allen Bereichen gelingen, nur so könnten die Pariser Klimaziele erreicht werden. Zum angestrebten intelligenten und diversifizierten Strommix “gehört die Energiegewinnung aus Sonne und Wind genauso wie nachhaltige Biomasse, Wasserkraft und Geothermie im ländlichen Raum”. Entscheidend sei die Akzeptanz der Bevölkerung ebenso wie Planungssicherheit und wenig Bürokratie.

Mit einem “Sonnenpaket” wollen CDU und CSU den Ausbau der Photovoltaik fördern. Genehmigungsverfahren für Anlagen sollen einfach über eine Online-Plattform erteilt werden. Auch der “naturverträgliche Ausbau von Wind onshore und offshore sowie das Repowering” bestehender Anlagen wird dem Plan nach beflügelt. Nötig seien Energiespeicher, um die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen, sowie weitere Stromleitungen. Diese sollen “klug gebündelt und anwohnerverträglich realisiert werden”. Der Strompreis müsse angesichts des “stark steigenden Energiebedarfs” sinken.

Der Union schwebt ferner vor, Deutschland “zum Wasserstoff-Land Nr. 1” zu machen. Bedeutende industrielle Prozesse etwa in der Stahl- und Zementfertigung, ließen sich nur mit H2 klimaneutral gestalten. Auch im Bereich der Mobilität “können wir durch den Einsatz von Wasserstoff erheblich zur Reduzierung von CO2 beitragen”. Der Fokus soll hier “kurz- und mittelfristig” auf dem Lkw- und Schiffsverkehr liegen. Deshalb gelte es nun, “die umfassende Wertschöpfungskette zur Wasserstofferzeugung inklusive der erforderlichen Netzinfrastruktur aufzubauen”. Neben dem grünen, mithilfe der Erneuerbaren produziertem Wasserstoff werde man dafür in der Übergangszeit auch blauen, aus Erdgas hergestellten Wasserstoff akzeptieren. Dieser Ansatz ist umstritten.

Im Bereich Fortbewegung fordern die beiden Parteien “Vorfahrt für intelligente Mobilität”. Eine starke Schiene und der öffentliche Personennahverkehr seien hier “ein bedeutender Faktor für die Dekarbonisierung”. Um das Stauaufkommen auf den Autobahnen zu reduzieren und Klimaziele zu erreichen, soll mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene und auf die Wasserstraße verlagert werden.

Zugleich wollen CDU und CSU den Automobilstandort Deutschland sichern. In der Bundesrepublik müssten weiterhin “die besten Autos der Welt produziert werden – und zwar mit allen Antriebsformen”. Ein Aus für Benziner und Diesel zu einem fixen Zeitpunkt strebt die Union nicht an. Immer mehr hiesige Autobauer kündigten von sich aus an, aus der Produktion von Verbrennungsmotoren auszusteigen. Man werde daher “den Umstieg in emissionsfreie Mobilität für alle attraktiv gestalten und dazu einen Fahrplan vorlegen”.

Neben der Elektromobilität setzen die Konservativen auch auf synthetische Kraftstoffe (“E-Fuels”) im Straßenverkehr und wollen diese – wie auch Wasserstoff – perspektivisch unter anderem im Lkw-Bereich verwenden. “Ein Dieselfahrverbot lehnen wir ebenso ab wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen”, lautet eine andere Ansage. “Stattdessen setzen wir auf innovative, moderne Verkehrssteuerung.”

Für den weiteren Ausbau des elektrifizierten Verkehrs ist laut dem Programm der Ausbau der Ladeinfrastruktur entscheidend. Um diesen zu beschleunigen, sollen Stromzapfpunkte künftig in alle gewerblichen und öffentlichen Neubauimmobilien integriert und Parkhäuser einbezogen werden. Schnellladesäulen müssten bundesweit im Fernverkehr möglichst innerhalb von zehn Minuten erreicht werden können. Zudem sollen das Bezahlsystem sowie die Anschlüsse vereinfacht und standardisiert werden.

CDU und CSU liegen die “positiven Aspekte des Fliegens und die Innovationskraft der Luftfahrt” am Herzen. Letzterer wollen sie als Schlüsseltechnologie gezielt unter die Arme greifen. Die Entwicklung von Flugtaxis sei zwar “noch eine Vision für die Zukunft”, werde aber “zunehmend realistischer”. Allgemein will das Duo ein nationales Klimaanpassungsgesetz zur Daseins- und Zukunftsvorsorge einbringen, “um den Folgen des Klimawandels in der Stadt, auf dem Land sowie an den Küsten, Meeren und in den Bergen zu begegnen”.

“In kurzer Zeit eine klimaneutrale Gesellschaft zu werden”, ist für die “Öko-Partei” eine “epochale Aufgabe mit inspirierender Kraft”. “Wenn wir zu Beginn dieses Jahrzehnts konsequent handeln und die sozial-ökologische Transformation einläuten, können wir die Klimakatastrophe noch verhindern und zu einer klimagerechten Welt beitragen”, heißt es in dem Plan. “Klimaneutralität ist dabei eine große Chance für höhere Lebensqualität, mehr soziale Gerechtigkeit und einen klimagerechten Wohlstand.”

“Statt auf Kohle, Öl und fossilem Gas wird das Energiesystem auf Sonnen- und Windenergie basieren”, postulieren die Grünen. “Statt an fossilen Verbrennungsmotoren festzuhalten, schaffen wir eine neue Mobilität mit der Bahn, dem Rad, zu Fuß oder mit emissionsfreien Autos. Statt Öl und Erdgas wärmt uns künftig die Kraft der Erneuerbaren.”

Die Partei wird bei den Ausbauzielen am konkretesten. Ihr Ziel ist ab sofort ein jährlicher Zubau von mindestens 5 bis 6 Gigawatt (GW) Wind an Land, der sich rasch steigern soll. Bei Wind auf See sollen 35 GW bis 2035 erreicht werden. Beim Windausbau gelte es, den Konflikt mit Natur- und Artenschutz zu minimieren, Anwohner zu schützen und bei Genehmigungsverfahren Tempo zu machen. In einem ersten Schritt dazu sollen die Erneuerbaren als zwingend für die Versorgungssicherheit definiert und dafür 2 Prozent der Fläche bundesweit genutzt werden.

Im Bereich Solarenergie wollen die Grünen den Ausbau von 10 bis 12 GW auf 18 bis 20 GW pro Jahr steigern ab Mitte der 20er. Ziel sind 1,5 Millionen neue Solardächer in den kommenden vier Jahren. Bürokratische Hürden für die Nutzung des Stroms vom eigenen Dach sollen abgebaut, Eigenverbrauch und Direktvermarktung gestärkt werden. Mit einer umfassenden Steuer- und Abgabenreform werde man dafür sorgen, dass Strom “zu verlässlichen und wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist”.

“Das Energiemarktdesign ändern wir, sodass erneuerbarer Strom nicht länger ausgebremst wird”, heißt es in dem Plan. “Wir stellen Sonne und Wind ins Zentrum und ermöglichen es Industrie, Gewerbe und Handel, über flexibleren Verbrauch besonders viel zur Integration der Erneuerbaren beizutragen.” Erzeugungsspitzen sollen wir nach dem Prinzip “nutzen statt abschalten” für Speicher und die Produktion von Wärme oder grünem Wasserstoff genutzt werden.

Verteilnetze und Verbraucher werden dem Programm nach mit intelligenter Technik ausgestattet, “damit sie flexibel reagieren können, wenn gerade viel erneuerbarer Strom produziert wird”. Strompreisvergünstigungen für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, sollen an die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen geknüpft werden: “Denn je weniger Energie benötigt wird, desto schneller schaffen wir 100 Prozent Erneuerbare, erreichen die Klimaziele und sparen Kosten für Energieinfrastruktur.” Lesen Sie auch Welcher Wasserstoff wird in Deutschland wie hergestellt?

Das EEG wollen die Grünen von einem Förder- zu einem Absicherungsinstrument weiterentwickeln. Die Umlage werde “langfristig automatisch auslaufen”.

“Damit Wasserstoff zur Klimaneutralität beiträgt, muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden”, lautet die Maxime. H2 und synthetische Kraftstoffe müssten gerade dort zum Einsatz kommen, “wo sie wirklich gebraucht werden: etwa in der Industrie, in der Schifffahrt oder beim Flugverkehr”.

Das Fahrrad hat laut der Partei “riesiges Potenzial” für die Mobilitätswende. Die Republik will sie daher zum Fahrradland machen: “Radwege in Städten, Pendelstrecken oder Verbindungen von Dorf zu Dorf wie auch touristische Radwege sollen sich durch hohe Qualität und hohe Sicherheitsstandards, wie eine separierte Radinfrastruktur, sowie eine gute Beschilderung und Kartierung auszeichnen. Unsere Vision ist ein lückenloses Fahrradnetz in ganz Deutschland mit Anschlüssen in den Grenzregionen.”

Damit man problemlos überall von A nach B kommt, soll bei den Öffentlichen ein Mobilpass die Angebote von 120 Verkehrs- und Tarifverbünden vereinfachen. Sharing- und Ridepooling-Dienste wollen die Grünen “so integrieren, dass Sozial- und Umweltdumping ausgeschlossen sind”.

Um mehr Sicherheit auf den Straßen zu erreichen, soll Tempo 30 in Ortschaften die Regel werden. Für die Autobahnen soll 130 km/h gelten. Ab 2030 dürften nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden. Ein Bonus-Malus-System soll dafür sorgen, dass klimafreundliche Autos billiger, SUVs & Co. teurer werden. Kurzstreckenflüge will die Partei “Zug um Zug verringern und bis 2030 überflüssig machen”, indem sie massiv Bahnangebote ausweitet und für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsmitteln sorgt. Diese sollen die ökologischen Kosten widerspiegeln. Langstreckengeschäftsflüge könnten vielfach durch Videokonferenzen ersetzt werden.

Das jüngst von den Grünen angekündigte Klimaschutzministerium findet sich noch nicht im Programm. Die Rede ist dort aber von einem Sofortprogramm, das in allen Sektoren umgehend “wirksame Maßnahmen anstößt, bestehende Ausbauhindernisse beseitigt, naheliegende Einsparmöglichkeiten umsetzt und auch die Klima- und Entwicklungspartnerschaften im Sinne des globalen Budgetansatzes stärkt”. Der CO2-Preis soll bereits 2023 auf 60 Euro klettern und danach bedarfsgerecht steigen. Die Einnahmen “geben wir als Energiegeld pro Kopf an die Menschen zurück”.

Die Sozialdemokraten sehen in der “Jahrhundertaufgabe”, bis spätestens 2045 klimaneutral zu wirtschaften, vor allem “riesige Potenziale für gute und sichere Arbeitsplätze”. Deutschland werde dann ein erfolgreicher Exporteur umweltfreundlicher Technologien sein, “weil es gelungen ist, Produktionsprozesse nachhaltig und die 20er zu einem Jahrzehnt der erneuerbaren Energien zu machen”.

Die SPD will daher dafür sorgen, “dass wir unseren Strom spätestens bis zum Jahr 2040 vollständig aus erneuerbaren Energien beziehen”. Dafür müssten jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen werden: beim Ausbau von Solar- und Windenergie, der Digitalisierung der Stromnetze, bei der Steigerung der Energieeffizienz, beim Aufbau von Speichertechnologien und einer Wasserstoffproduktion sowie eines Transportnetzes. Erforderlich seien Investitionen in klimafreundliche Produktionsprozesse in der Industrie, Wohngebäuden, Fabriken und Schulen müssten modernisiert werden.

“Wo eine direkte Elektrifizierung nicht sinnvoll ist, werden wir große Mengen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien benötigen”, prognostizieren die Autoren des Programms. Verbindliche Ausbauziele sollen erst in einem “Zukunftspakt” zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und kommunalen Spitzenverbänden vereinbart werden. Bürger sollen über Mieterstrom, eine gemeinschaftliche Eigenversorgung und nachhaltige Stromanleihen zum Mitmachen animiert werden.

“Wir wollen dafür sorgen, dass alle dazu geeigneten Dächer eine Solaranlage bekommen”, erklärt die Partei. Den Anfang sollen öffentliche Gebäude und gewerbliche Neubauten machen. Um den Einsatz erneuerbarer Energien im Verkehr und der Gebäudewärme zu unterstützen (“Sektorenkopplung”), will auch die SPD die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen und aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Dazu sollen auch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung dienen, die den Bürgern auch mit “weiteren sozial gerechten Ausgleichsmaßnahmen” schmackhaft gemacht werde.

Ähnlich wie CDU und CSU nehmen sich die Sozialdemokraten vor, Deutschland bis 2030 “zum Leitmarkt für Wasserstofftechnologien” zu machen. H2 soll dabei die klimaneutrale Erzeugung von Stahl, Lkws, den Schiffs- und Flugverkehr sowie CO2-arme Pkw antreiben, obwohl letzteres von vielen Experten als Verschwendung des wertvollen Gases erachtet wird.

Mobilität will die SPD “nachhaltig, bezahlbar, barrierefrei und verlässlich” gestalten. Schon jetzt stiegen immer mehr Bürger auf Bus, Bahn oder das Rad um. Das Auto bleibe zwar für viele Menschen wichtig, “aber der Schadstoffausstoß wird auf null reduziert sein”. Mission sei “eine klimaneutrale Mobilität für alle”. Lesen Sie auch Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Fahrerloser Transport als Teil der Verkehrswende

Die Sozialdemokraten wollen so die Verkehrswende voranbringen und bis 2030 das “modernste und klimafreundlichste” System Europas aufbauen. Jeder Bürger “soll einen wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr haben”, lautet ihre “Mobilitätsgarantie”. Richten werde es die Digitalisierung mit neuen, vernetzten Dienstleistungen. Das 365-Euro-Ticket und Modellprojekte für einen Nahverkehr ohne Fahrkarte “unterstützen wir”.

Im Bahnverkehr verspricht die SPD engere, verlässliche Taktungen, komfortablere Züge mit flächendeckendem WLAN und eine Reservierungsmöglichkeit für Sitzplätze. Bis 2030 sollen mindestens 75 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert sein. Auf den restlichen Strecken könnten etwa wasserstoffbetriebene Zügen rollen.

Beim Auto legt sich die Partei fest: “Die Zukunft gehört den elektrischen Antrieben.” Sie will diese Entwicklung aktiv gestalten, damit die Autobranche Leitindustrie bleibe und “die Zukunft der vielen kleinen und mittelständischen Zulieferer mit ihren Arbeitsplätzen gesichert ist”. 2030 sollen mindestens 15 Millionen Pkw hierzulande voll elektrisch fahren. Deutschland bilde bis dahin ein Zentrum der Batteriezellenfertigung und des Recyclings gebrauchter Akkus. Das Stromtanken werde “so einfach wie bisher das Tanken von Benzin und Diesel”.

Die SPD stellt zudem klar: “Wir werden ein Tempolimit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen. Das schützt die Umwelt und senkt die Unfallzahlen deutlich.”

Die Liberalen wollen den EU-Emissionshandel schnellstmöglich auf alle Sektoren und geographisch ausweiten: “Die Politik gibt vor, wie viel CO2 im Jahr ausgestoßen werden darf.” Dafür müssten Zertifikate erworben werden, die von Jahr zu Jahr weniger und damit teurer würden.

Die Technik soll beim Klimaschutz eine wichtige Rolle spielen, geht aus dem Plan hervor. Die FDP will etwa “Geo-Engineering ermöglichen, um Risiken durch den Klimawandel zu minimieren und neue Chancen zu schaffen”. Sie sieht in Verfahren wie “Carbon Capture and Storage” (CCS), durch die CO2 der Atmosphäre direkt entzogen wird, “eine große Chance”, die gesetzlich geregelt werden soll.

Die EEG-Umlage wollen die Freien Demokraten abschaffen und die Stromsteuer, die unabhängig von der Erzeugungsart und der Umweltwirkung erhoben wird, “auf den niedrigsten nach aktuellem EU-Recht möglichen Satz absenken und so schnell wie möglich komplett streichen”. Die Erneuerbaren sollen “vollständig in den Wettbewerb” überführt, die Förderung nach dem EEG beendet werden. Die Partei betont: “Gesetzlich vorgegebene Ausbaupfade für einzelne Technologien und staatlich garantierte Abnahmepreise lehnen wir ab.” Ein steigender CO2-Preis werde fossile Energie automatisch “weiter unattraktiv machen”.

Die Digitalisierung der Energiewende wollen die Liberalen “schneller und unbürokratischer voranbringen”, um etwa flexible Tarife zu ermöglichen, die System- und Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Energieversorgung zu dezentralisieren. Die Einführung intelligenter Messsysteme (“Smart Meter”) soll vereinfacht werden als Voraussetzung für “Smart Grids” und die Automatisierung durch Künstliche Intelligenz. Dabei müssten IT- und Datensicherheit aber “ein Grundpfeiler zum Schutz dieser kritischen Infrastruktur sein”.

Der FDP schwebt vor, Wasserstoff und E-Fuels neben Strom “als zweite Säule des künftigen Energiesystems” aufzubauen. Sie setzt dabei neben grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien auch auf CO2-neutrales blaues und türkises H2 aus Erdgas. Lesen Sie auch Synthetischer Kraftstoff aus CO2: Was e-Fuels leisten können – und was nicht

Im Verkehrsbereich drängen die Liberalen auf eine “innovative, ökologische und bezahlbare Mobilität”. Diese erfordere eine Politik “ohne ideologische Scheuklappen angewiesen”. Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote seien “weder progressiv noch nachhaltig”. Forscher sollten alternative Mobilitätskonzepte erkunden können, “ohne bestimmte Antriebstechnologien zu bevorzugen”. Nur so ließen sich die Möglichkeiten von Wasserstoff, Batterie oder alternativen Kraftstoffen optimal nutzen.

Trotzdem ist die FDP für “den flächendeckenden Ausbau von Schnellladesäulen” und interoperable Bezahlstrukturen für die E-Mobilität. Sie schwört auf einen diskriminierungsfreien Zugang der Ladestromanbieter zu den Säulen gegen Gebühr sowie transparente Preis- und Abrechnungssysteme. Teure Subventionen wie die Kaufprämie für E-Autos müssten weg. Die Regeln für Hybridfahrzeuge müssten überarbeitet werden, um deren reale CO2-Emissionen zu berücksichtigen.

Die Partei will “Innovative Mobilitätsdienste auf digitaler Basis in der Personenbeförderung ermöglichen” und dafür faire Wettbewerbsbedingungen für alle Dienstleister schaffen. “Die besondere Rolle des ÖPNV haben wir dabei beständig im Blick”, lautet das Versprechen. “Dafür müssen die Rückkehrpflicht für Mietwagen und der Mindestabstand von 50 Kilometern zwischen zwei Haltestellen für Fernbusse vollständig abgeschafft werden.” Sprunginnovationen wie das autonome Fahren, das Hochgeschwindigkeitssystem Hyperloop, Drohnen oder Flugtaxis sollen gezielt gefördert und rechtlich abgesichert werden. Bei der Verkehrsplanung müssten zudem “die Bedürfnisse des Radverkehrs umfassend berücksichtigt werden”.

Die AfD fährt beim Klimaschutz ein Kontrastprogramm zu den anderen Parteien, nachdem sie zu öffentlichen Anhörungen bereits Klimawandel-Leugner geladen hatte. Das Ziel der Bundesregierung, die CO2-Emissionen faktisch auf null zu senken, lehnen die Rechtskonservativen ab. Der Anstieg der Konzentration des Treibhausgases in der Atmosphäre hat ihnen zufolge “in den letzten Jahrzehnten zu einem Ergrünen der Erde beigetragen”.

“Niemand streitet die jüngste globale Erwärmung ab”, lautet eine Erklärung in dem Programm. Man bezweifle aber, “dass diese nur negative Folgen hat”. Es sei bis heute nicht nachgewiesen, dass der Mensch, insbesondere die Industrie, für den Wandel des “per se nicht schutzfähigen” Klimas maßgeblich verantwortlich ist. Das Pariser Klimaabkommen müsse daher gekündigt werden. Deutschland soll aus allen staatlichen und privaten Klimaschutz-Organisationen austreten und ihnen jede Unterstützung entziehen. Jegliche Form der CO2-Besteuerung sei abzuschaffen.

Die gesicherte und günstige Energieversorgung bezeichnet die AfD als eine Grundvoraussetzung für Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit. Nur auf volatile erneuerbare Energielieferanten zu setzen, hält sie für “unökologisch” und unrealistisch. Vorrangflächen für Windenergieanlagen sollen nur noch bei breiter Zustimmung der betroffenen Bürger ausgewiesen werden. Der Mindestabstand zur Wohnbebauung müsse mindestens 2,5 Kilometer betragen. Anlagen, die aus der Förderung fallen, sollen ohne Subventionen am Markt teilnehmen.

Den Neubau von Photovoltaikanlagen auf Freiflächen lehnt die Partei “aufgrund ihres hohen Flächenverbrauchs sowie ihrer abschreckenden Wirkung für den Tourismus ab”. Bestandsanlagen sollen aber weiter betrieben werden dürfen. Das EEG soll ersatzlos gestrichen, die Vorrangeinspeisung beendet werden. Die AfD ist auch gegen den Green Deal der EU “sowie jegliche weitere Formen von Planwirtschaft”.

Auch von einem Vorrang für die Wasserstoffwirtschaft und einer “einseitigen Förderung der Elektromobilität” will die Partei nichts wissen. Die hiesige Industrie sei “abhängig vom Fortbestand des Verbrennungsmotors”. Aufgrund hoher und günstiger Verfügbarkeit von Erdgas bestehe zudem kein Bedarf an grünem Wasserstoff.

Die AfD setzt sich für die Verstromung von Braun- und Steinkohle als grundlast- und regelfähige Energiequelle ein. Die Laufzeit der in Deutschland noch verbliebenen sechs aktiven Kernkraftwerke soll sich ihr zufolge “nach der technischen Nutzungsdauer und ökonomischen Kriterien richten”. Parallel sollen “sichere” Atommeiler neu eingerichtet werden, um Energieknappheit zu vermeiden.

Der motorisierte Individualverkehr soll dem Plan nach “als beliebteste Möglichkeit der Fortbewegung” unterstützt werden. Intelligente Technik und stauvermeidende Verkehrsführung schützten die Umwelt. Gleichzeitig innerstädtische Fahrspuren und Parkraum ausgebaut werden, um “wachsendes Verkehrschaos” zu vermeiden sowie die Attraktivität des Einzelhandels zu fördern. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen dürfe es auf keinen Fall geben.

Für den Schienenpersonenverkehr muss Deutschland der Partei zufolge ein besser ausgebautes und abgestimmtes öffentliches Nah- und Fernverkehrsnetz erhalten. Der globale Flugverkehr sei von elementarer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort und dürfe nicht “kurzsichtig einer unwissenschaftlichen Klima-Hysterie geopfert werden”.

Geht es nach der Linken, soll die Republik schon bis 2035 klimaneutral werden, zehn Jahre früher als im überarbeiteten Klimaschutzgesetz vereinbart. Bis 2030 müssten so die Emissionen um mindestens 80 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. “Um das Klima zu retten, müssen erneuerbare Energien bis 2035 das System der fossilen Energien ersetzen”, ist dem Plan zu entnehmen. Angesichts begrenzter Ressourcen sei Stromsparen weiter angesagt.

Die EEG-Förderung will die Partei so ausrichten, dass sie auch für Kleinbetreiber und Kommunen rentabel ist. Die großen Energiekonzerne sollen entmachtet und die Energieversorgung am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Durch die Energiewende in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand könnten bis 2030 über 100.000 hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze in der Produktion, Installation und Wartung dieser Anlagen geschaffen werden. Die unterirdische Verpressung von CO2 (CCS) soll verboten werden.

Für Haushaltsgeräte will die Linke eine Öko-Abwrackprämie festschreiben. Die zu ersetzenden Elektrogeräte müssten mindestens zehn Jahre alt sein und die Neugeräte die beste Stromeffizienz aufweisen. Es brauche Standards, die den maximalen Energieverbrauch von Produkten und Gebäuden vorgeben. Es dürften nur langlebige, reparaturfreundliche, material- und energiesparende Waren hergestellt werden.

Mithilfe von Wasserstoff können Kohle und Erdgas auch dort ersetzt werden, wo der direkte Einsatz von Ökostrom nicht möglich ist, schreibt die Partei. Strategien, künftig auch Autos und Gebäudeheizungen mit H2 zu betreiben, seien dagegen “weder sozial noch ökologisch”.

Den öffentlichen Nahverkehr will die Linke “flächendeckend und barrierefrei” ausbauen, den Takt erhöhen und den Service verbessern. Bis 2030 soll sich die Zahl der Nutzer verdoppeln. Die Ticketpreise will die Partei “bis zum Nulltarif senken” und “mit Modellprojekten in 15 am meisten von Abgasen belasteten Städten” beginnen.

Kurzstreckenflüge und Frachtverkehr sollen laut dem Programm auf die Schiene. Die Bahn müsse ausgebaut und für alle bezahlbar werden. Statt Uber und Co. will die Linke neue Mobilitätsangebote ausschließlich unter öffentlicher Hoheit als Teil des Nahverkehrs in enger Abstimmung oder Kooperation mit den Taxibetrieben. Alle Angebote sollen in einer öffentlichen Plattform buchbar sein.

“Mehr Platz auf den Straßen, mehr sichere und intakte Rad- und Fußwege und mehr Fahrradabstellanlagen sind nötig”, meint die Partei. Deutschland brauche ein flächendeckendes Radverkehrsnetz. In den Städten und Ballungsgebieten müssten Schnellwege mit grüner Welle für Pedalritter geschaffen werden. Die Pendlerpauschale soll in ein sozial gerechtes Mobilitätsgeld umgewandelt werden und einen Anreiz zum Benutzen des Umweltverbunds bieten. Um Menschen und Klima zu schützen, seien “endlich auch Tempolimits” erforderlich: “120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen und eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts.” Lesen Sie auch Elektroautos: Die Last des Ladens

Den Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor hält die Linke klimapolitisch bis spätestens 2030 für alternativlos. Diese Vorgabe schaffe auch Planungssicherheit für die Beschäftigten und für Investitionen in die Zukunft. Eine Kaufprämie für E-Autos sei keine Lösung, allenfalls einschlägige Subventionen für Betriebe. Der Staat müsse den Aufbau eines angemessenen Ladenetzes für E-Fahrzeuge koordinieren – auch mit den EU-Ländern.

Klimaschutz im Bürger-Check: Welcher Partei kann man vertrauen? (ARD)

(23.08.21, ARD) ) Hart aber fair , Original : hier

Hart aber fair. 23.08.2021. 01:13:16 Std.. UT. DGS. Verfügbar bis 23.08.2022. Das Erste.

DIrekter Link via MediatheView: hier

Quer durch Deutschland sammelt “hart aber fair” vor der Bundestagswahl die Fragen der Menschen zum Thema Klima: Wie teuer werden Sprit und Strom, wie gelingt die Energiewende und wie ist die Klimakrise so zu stoppen? Bürger:innen fragen, Politiker:innen und Expert:innen im Studio antworten.