Temperaturrekorde am Polarkreis, brennende Wälder und tauende Permafrostböden: Der Klimawandel löst in Sibirien einen Teufelskreislauf aus. Ist der noch zu stoppen?
Ein Gastbeitrag von Claudia Vallentin 1. August 2020, 13:20 Uhr in der Zeit.
Feuer, wo Eis sein sollte
Am GeoForschungsZentrum Potsdam hat sie die Nutzbarkeit von Bildern aus dem All für die Landwirtschaft erforscht. Auch das Ausmaß der Waldbrände in Sibirien berechnen internationale Forscher anhand von Satellitendaten. Die Geowissenschaftlerin Claudia Vallentin erklärt, was man darauf erkennt – und was die Feuer am Polarkreis fürs Weltklima bedeuten.
Schon wieder brennt es in Russland. Eine Fläche größer als Sachsen stand zwischenzeitlich in Flammen, schwarzer Rauch verdunkelt teils noch immer den Himmel über Sibirien, das zeigen Bilder aus dem All. In den borealen Wäldern rund um die Arktis brennt es jedes Jahr – Bäume und Gestrüpp verkohlen. Dabei wird der Kohlenstoff aus dem Pflanzenmaterial zu CO₂. Das Treibhausgas steigt in die Atmosphäre auf, wo es den Klimawandel anheizt. Seit einigen Jahren brechen die saisonalen Waldbrände Rekorde: Im Durchschnitt wird es heißer und trockener rund um die Arktis am nördlichen Polarkreis, der neben Russland auch Norwegen, Schweden, Finnland, Alaska, Kanada und Grönland durchzieht.
Und die Saison, in der es brennt, dauert mit den Jahren immer länger. Die nördlichen Breiten sind geprägt von ganzjährig gefrorenem Boden (Permafrost), der abgestorbene Pflanzenreste seit Jahrtausenden konserviert. Die rasche Erwärmung und die anhaltenden Feuer lassen den Permafrost jetzt tauen – und setzen dabei wiederum klimaschädliche Gase wie CO₂ und Methan frei.
Diesen Sommer leidet Werchojansk im Osten Sibiriens unter einer besonderen Hitzewelle. Die Menschen suchen am Fluss Jana Abkühlung – und das in einer Stadt, die bekannt ist für ihre eisigen Winter. Minus 48 Grad Celsius im Januar sind dort keine Seltenheit. Und nun ein neues Extrem: 38 Grad plus im Juni – und auch jetzt Ende Juli wird die 30-Grad-Marke weiter überschritten. Zwar sind relativ hohe Sommertemperaturen in der Region normal, aber dieser Wert ist ein Rekord für eine Stadt nördlich des Polarkreises. Und während manche sich über den heißen Sommer freuen, zeigt sich in anderen Teilen der Republik Sacha die Kehrseite der anhaltenden Trockenheit. Denn auch nachdem die Hitze etwas abgeklungen ist, brennen weiter große Gebiete von mehr als 400.000 Hektar. Nach Angaben des Forstschutzdienstes Awialesoochrana wüteten Anfang Juli die Brände sogar auf einer Fläche von 1,9 Millionen Hektar.
Stark betroffen ist vor allem der Osten des Landes, wo etliche Bezirke den Notstand ausgerufen haben. Der Großteil der brennenden Flächen ist abgelegen und schwer zugänglich, dennoch können auch in diesen wenig besiedelten Teilen Russlands die Waldbrände Wohngebiete gefährden. Vor allem der Rauch, der dabei entsteht und kilometerweit durch das Land zieht, kann die Gesundheit der Bevölkerung belasten. “Angesichts des Ausmaßes der Brände und der Menge des Rauchs, der einiges an schädlichen Stoffen und Spurengasen enthält, ist die Luftqualität für die betroffenen Menschen ernsthaft beeinträchtigt”, sagt Mark Parrington. Am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading in England, arbeitet er beim Copernicus-Atmosphären-Überwachungsdienst und erforscht anhand von Satellitendaten die Emissionen von Waldbränden.
Schon im vergangenen Jahr gab es ausgedehnte Waldbrände in Sibirien, Schätzungen der Umweltorganisation Greenpeace gehen davon aus, dass 150.000 Quadratkilometer von Feuer betroffen waren. In Großstädten wie Tomsk oder Krasnojarsk mussten die Menschen wochenlang rauchbelastete Luft atmen. Aktuelle Satellitendaten zeigen, dass das Ausmaß der Brände 2020 sogar die ungewöhnlich hohe Aktivität des vergangenen Jahres übertrifft. Ob ein Funke von einer Zigarette, gezielte Brandstiftung oder ein Gewitterblitz die verschiedenen Feuer entfacht haben, ist nicht endgültig geklärt. Behörden gehen sowohl von natürlichen, als auch von menschlichen Ursachen aus. Fest steht: Die andauernde Trockenheit hat die Vegetation so ausgedörrt, dass ein Blitzschlag oder ein verlassenes Campingfeuer ausreicht, um sie in Brand zu setzen.
Die Feueraktivität am Polarkreis sei derzeit sehr ungewöhnlich, sagt auch Parrington. In den Jahren vor 2019 seien deutlich weniger Feuer in der sibirischen Arktis aufgetreten, sagt der Physiker. “Üblicherweise haben sich die Brände südlich des Polarkreises ereignet.”
Die Arktis erwärmt sich in besorgniserregendem Tempo. Die mittlere Temperatur steigt dort etwa doppelt so schnell an (AMAP, 2017) wie im Rest der Welt. Regionen wie Alaska und der Nordosten Russlands sind zudem geprägt von wiederholt auftretenden extremen Wetterereignissen. Sehr kalte Winter, aber auch lange Trockenphasen im Sommer mehren sich. Die Ursachen für die derzeitige lange Trockenheit sind vielfältig, eine davon ist der schwächelnde Jetstream. Das starke Windband in etwa zehn Kilometern Höhe der Atmosphäre zieht normalerweise mit hohen Geschwindigkeiten um die Erde, angefacht von den starken Temperaturunterschieden zwischen der Arktis und den Tropen. Doch weil es in der Arktis wärmer wird – in diesem Mai wich die Oberflächentemperatur in Teilen Sibiriens um zehn Grad Celsius von der Norm ab –, gerät der Jetstream ins Stocken. Das als Folge des Klimawandels abschmelzende arktische Eis begünstigt diesen Trend (Nature: Romanowsky et al., 2019).
Dass es ernst ist, hat auch Russlands Regierung erkannt
Die Folge: extreme Kälteeinbrüche im Winter, so wie Ende Januar 2019 in Chicago, aber auch lang anhaltende Trockenphasen, wie derzeit in Sibirien. Es wird nicht nur durchschnittlich wärmer, sondern auch die Böden trocknen aus, Wälder und Steppen verdorren.
“Die Entwicklung schreitet rasch und dramatisch voran”, sagt der Feuerökologe Johann Goldammer. “Die Menschen in Sibirien spüren den Klimawandel deutlicher als bisher. Und die Feuer im hohen Norden sprechen natürlich Bände.” Das neue Klima sei ein Klima der Extreme, sagt Goldammer, der schon seit Jahrzehnten zu zirkumpolaren Bränden forscht und das Global Fire Monitoring Centre (GFMC) in Freiburg leitet. Da der Klimawandel Teile der Erde heißer und trockener werden lässt, steigt eben auch das Risiko für Brände. Wie viele schädliche Treibhausgase bei solchen großflächigen Feuern in die Atmosphäre gelangen, modelliert Parrington anhand von Satellitendaten rückblickend bis 2003. Allein im Juni dieses Jahres seien 15 Megatonnen Kohlenstoff freigesetzt worden, berichtet der Wissenschaftler. Ob dieser durch die nachwachsende Vegetation oder auch durch die Bindung in Biokohle (Nature Geosciences: Jones et al., 2019) komplett kompensiert werden kann, sei fraglich. Brennt beispielsweise eine Steppenlandschaft der Tundra mit relativ niedrigen Büschen und Gräsern, können diese schnell nachwachsen und so neuen Kohlenstoff binden. Brennen aber Wälder, brauchen diese womöglich Hunderte Jahre, um sich zu regenerieren.
Hinzu kommt, dass nicht nur die Vegetation in Flammen steht, sondern auch die Torfböden brennen, sagt Parrington. Anhand von Satellitendaten und der Farbe des Rauches, der bei diesen Feuern entsteht, kann man den Brand von Torfboden und Vegetation erkennen. Bei diesem Prozess wird zusätzlicher Kohlenstoff freigesetzt, welcher seit Zehntausenden von Jahren im Torf als aufgeschichtetes, konserviertes Pflanzenmaterial eingeschlossen war. Torfbrände sind meist Schwelbrände und können sogar den Winter überdauern. “Das ist eine irreversible Freisetzung von Kohlenstoff, der wahrscheinlich in der Atmosphäre verbleibt”, sagt Parrington. Die Torfböden sind typisch für Permafrostböden und gelten als Kohlenstoffsenken – das gilt für deutsche Moore übrigens genauso. Aufgrund der steigenden Temperaturen in der Arktis tauen sie in Sibirien auf, was durch die Brände verstärkt wird.
Feuerökologe Goldammer erklärt, dass Feuer die Oberfläche in einem Ökosystem verändert. Denn selbst wenn es bei einem ersten Feuer nur oberflächlich brennt und der Boden nicht betroffen ist, verändert sich doch die Farbe der betroffenen Fläche. Während helle Strukturen wie Eis und Schnee die Sonnenstrahlen reflektieren, wird diese Wärme von dunklen Flächen aufgenommen. “Und das kann den natürlichen Vorgang des nach und nach auftauenden Permafrostbodens erheblich beschleunigen. Wir sind da in einem Teufelskreis”, sagt Goldammer.
Der Klimawandel nimmt immer dramatischere Formen an.
Die Bochumer Politik nimmt den Klimanotstand nicht ernst. In den 14 Monaten seit er ausgerufen wurde ist nichts von Bedeutung geschehen obwohl kurzfristiges, drastisches Handeln notwendig ist.
Wahlprüfsteine für die Kommunalwahlen am 13. September 2020
Der BUND Dortmund stellt hier 15 Wahlprüfsteine an die Kommunalwahl-Kandidat*innen zu den Themen “Mobilität”, “Stadtplanung”, “Klimaschutz & Energie” sowie “Naturschutz/Ökologie” vor. Die Antworten werden hier nach dem 10.8.2020 veröffentlicht. Auch das Klimabündnis Dortmund hat Wahlprüfsteine erstellt, die unsere zum Teil ergänzen: https://www.klimabuendnis-dortmund.de/
Mobilität
Werden Sie sich dafür einsetzen, für den Radverkehr pro Einwohner mehr als die geplanten 10 Euro pro Jahr bereitzustellen (aktuell 1,50 Euro, geplant sind 10 Euro, in Kopenhagen 30 Euro)? Wenn ja, in welcher Höhe?
Werden Sie sich für die Erhöhung der Pkw-Parkgebühren und die Reduzierung der Pkw-Stellplätze in der City einsetzen? Wenn ja, in welcher Höhe?
Werden Sie sich dafür einsetzen, dem motorisierten Individualverkehr Fläche zugunsten von Radverkehr und Fußgängern zu entziehen? Wenn ja, wo?
Werden Sie sich gegen den Weiterbau der L 663n nach Unna nördlich der Ortsteile Asseln und Wickede einsetzen?
Sind Sie für die Beendigung der Subventionen und den langfristigen Rückbau des Dortmunder Flughafens?
Stadtplanung
Werden Sie sich dafür einsetzen, in neuen Gewerbegebieten die Anzahl der flächenverbrauchenden Großparkplätze z.B. durch den Bau von Tiefgaragen zu reduzieren und auf gewerblichen Flachdächern Dachbegrünung und/oder Fotovoltaikanlagen über Satzungen oder städtebauliche Verträge vorzuschreiben?
Werden Sie sich für die Überarbeitung des Flächennutzungsplans einsetzen mit dem Ziel, ökologisch bedenkliche Wohnbaugebiete wie „Rhader Hof“ in Bövinghausen und „Wickede-West“ in Landschaftsschutzgebiete umzuwandeln?
Werden Sie sich für die Planung autofreier Wohnbaugebiete einsetzen? Wenn ja, wo können Sie sich das vorstellen?
Werden Sie sich dafür einsetzen, nachwachsende Rohstoffe wie Holz im Geschosswohnungsbau in Dortmund (wie z.B. in Wien) verstärkt zu nutzen?
Werden Sie sich dafür einsetzen, städtische Baugrundstücke zur Vermeidung von Bodenspekulationen verstärkt im Wege des Erbbaurechts zu vergeben?
Klimaschutz und Energie
Werden Sie sich dafür einsetzen, den Dortmunder Energieversorger DEW21 vollständig in kommunales Eigentum zu überführen?
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Stadt Dortmund ihre Beteiligungen an Unternehmen aufgibt, die in erheblichem Maße fossilen Energieträger nutzen (z.B. Verkauf der RWE-Aktien)?
Naturschutz / Ökologie
Werden Sie sich dafür einsetzen, den Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger auf städtischen Flächen zum Schutz der Artenvielfalt zu reduzieren und in Naturschutzgebieten bzw. in einem Umkreis von mindestens 50 Metern grundsätzlich auf den Einsatz dieser Stoffe zu verzichten?
Werden Sie sich für die Überarbeitung des städtischen Waldpflegekonzepts von 1993 einsetzen, verbunden mit dem Ziel, bodenschonende Holzeernteverfahren (u.a. mit Winden und Rückepferden) sowie ein Biotopbaumkonzept (u.a. Erhalt von mindestens 10 Altbäumen pro Hektar) einzuführen?
Werden Sie sich dafür einsetzen, den neuen Landschaftsplan im Hinblick auf eine strikte Anleinpflicht für Hunde in allen Naturschutzgebieten zu überarbeiten?
Fragen des Dortmunder BUND zur Kommunalwahl. Vielleicht können wir den einen oder anderen Punkt für unsere Fragen an die Bochumer Politik übernehmen.
INTEGRIERTE MOBILITÄT IM RUHRGEBIET KONZEPTSTUDIE von Prof. Dr. Ludger Pries und Prof Dr. Michael Roos unter Mitarbeit von MSc Florian Lewalder (wissenschaftlicher Mitarbeiter) und Maximilian Dirks, Valerie Donath, Kai-David Klärner, Katharina Leikard (wissenschaftliche Hilfskräfte)
Executive Summary/Zusammenfassung
In der zweiten Jahreshälfte 2019 wurden in Kooperation zweier Lehrstühle der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. L. Pries/Fakultät für Sozialwissenschaft und Prof. Dr. M. Roos/Fakultät für Wirtschaftswissenschaft) mit Förderung durch die Emschergenossenschaft in einem Pilotprojekt (1) Studierende und Beschäftigte der Ruhr-Universität Bochum zu gegenwärtigen Mobilitätsgewohnheiten und zukünftigen Mobilitätserwartungen befragt, (2) in einer Fallstudie Lösungsmöglichkeiten für die technische und organisatorische Weiterentwicklung von innerbetrieblicher Mobilität der Mitarbeitenden entwickelt und (3) durch systematische Recherchen und Interviews nationale und internationale Erfahrungen im Hinblick auf die Entwicklung integrierter Verkehrssysteme zusammengefasst. Auf dieser Grundlage werden die folgenden Vorschläge unterbreitet.
Konzepte für ein nachhaltiges integriertes Mobilitätsystem (NIMS) zeichnen sich vor allem durch eine gemeinsam getragene Vision aus. Gegenwärtig findet diesbezüglich ein grundlegender Perspektivenwechsel statt. Von der Vision der „autofreundlichen Stadt“ geht es heute in Richtung einer bewohner- und besucherfreundlichen Stadt mit nachhaltiger und integrierter Mobilität. Für das Ruhrgebiet bestehen bereits viele Initiativen in diese Richtung. Zukünftig sollten weder lokal-kommunale Masterpläne parallel noch ein zentraler Masterplan von oben entwickelt werden. Die einzige Chance für das Ruhrgebiet besteht in netzwerkförmiger Koordination und starker Kooperation unterschiedlichster Akteursgruppen(Staat, Unternehmen, Genossenschaften, Universitäten, Stiftungen etc.).
Es geht also um weitaus mehr als das nur technisch-funktionale Abgleichen und Summieren kommunaler Planungsansätze. Verkehrs-, Nutzungs- und Fahrzeugkonzepte sind mit integrierter Stadt- und Regionalentwicklung sinnvoll zu koordinieren. Diese ist in die allgemeine Stadtplanung einzubinden, die wiederum nur in Kooperation mit der Stadtgesellschaft entwickelt werden kann. Insofern hat die Frage, wie ein integriertes Mobilitätskonzept ausgestaltet wird, immer auch normative und politische Komponenten und ist als komplexer Aushandlungsprozess zu verstehen. Insgesamt halten wir auf der Grundlage der vorliegenden 2wissenschaftlichen Erkenntnisse die folgenden politischen und organisatorischen Gestaltungsvorschläge für die Entwicklung eines NIMS für zentral.
Langlebig, ressourcensparsam, offen: Das sind Forderungen an eine nachhaltige IT-Landschaft. Hinweise zu Gestaltungsoptionen und notwendigen Handlungsvorgaben.
Die Herstellung und Nutzung digitaler Technologien und Dienste ist mit ökologisch und sozial problematischen Entwicklungen verbunden. Diese hängen sowohl mit der Art und Weise der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von IKT-Geräten als auch mit der Gestaltung und Nutzung der Software und dem damit verbundenen Ausmaß des Datenverkehrs zusammen. Diese Einflussfaktoren sind vielfältig miteinander verflochten; grundlegende Ansatzpunkte für eine nachhaltige Gestaltung von Hardware und Software müssen bei den politischen Weichenstellungen berücksichtigt werden.
Der Einsatz IKT-basierter Technologien und Dienste macht derzeit etwa 4 bis 7 Prozent des weltweiten Strombedarfs aus und bis 2030 wird mit einem Anstieg auf bis zu 15 Prozent gerechnet. Entsprechend sieht es mit den CO2-Emissionen dieses Sektors aus, die sich im Jahr 2018 auf 2,5 bis 3 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen beliefen und bis 2030 sogar auf einen Anteil von bis zu 8 Prozent anwachsen können. Der Energie- und Ressourcenverbrauch sowohl für die Produktion von Endgeräten, als auch den Betrieb von Geräten, Netzen und Rechenzentren ist also erheblich.
Anzahl der Geräte steigt jährlich um 10 Prozent
Jährlich steigt die Anzahl an Geräten weltweit um durchschnittlich 10 Prozent, wobei insbesondere das Wachstum an vernetzten Geräten des Internet der Dinge besonders stark zunimmt. Doch nicht nur Produktion und Betrieb von Hardware, sondern auch die Gestaltung und der Betrieb von Software haben bedeutende Auswirkungen auf den Gesamtenergieverbrauch von IKT.
Der Energie- und Ressourcenverbrauch von digitalen Geräten und Anwendungen ergibt sich in einem vielschichtigen Zusammenwirken zwischen der Ausgestaltung, dem Einsatz und den Nutzungsmustern von Hard- und Software. Deshalb müssen die materielle (Energie und Ressourcen zur Produktion, Betrieb und Entsorgung von Hardware) und die immaterielle Basis (Software, Informationen, Wissen) der Digitalisierung stärker zusammengedacht werden, wenn wir eine nachhaltige Digitalisierung erreichen wollen.
Bei der nachhaltigen Erzeugung und Nutzung von Hardware spielen Aspekte wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit und der schonende Einsatz von Ressourcen eine entscheidende Rolle. Bei der nachhaltigen Gestaltung und Anwendung von Software geht es neben der Energiesparsamkeit auch um die Langlebigkeit und Verfügbarkeit der Ressource. Offene Standards und Lizenzen können hier wichtige Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung von Software und Hardware schaffen. Über Bits & Bäume, über die Autoren:
Bits & Bäume ist eine Bewegung, die Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammendenkt. Erstmals fand Bits & Bäume im November 2018 in Form einer Konferenz mit knapp 2.000 Teilnehmenden an der TU Berlin statt. Ziel war es, Umweltaktivist*innen und digitale Menschenrechtler*innen zusammenzubringen, damit diese voneinander lernen, Gemeinsamkeiten erkennen und sie zusammen umsetzen. Bei der Konferenz wurde auf fünf Bühnen, elf Räumen und mehr als 120 international besetzten Panels, Workshops oder Talks zu Themen in Schwerpunkten wie “Digitaler Kapitalismus”, “Stadt-Land-Smart” oder “Alternatives Wirtschaften” in die Zukunft geblickt. Die ausrichtenden Organisationen von Bits & Bäume haben auf der Konferenz politische Forderungen für eine nachhaltige Gestaltung von Digitalisierung veröffentlicht. Die Ergebnisse der Konferenz sind in einem Creative-Commons lizenzierten Buch dokumentiert, an dem mehr als 50 Autor*innen mitwirkten.
Nach der Konferenz wurde der Name “Bits & Bäume” von den Veranstalter*innen freigegeben, damit auch andere Akteure diesen für Veranstaltungen an der Schnittstelle zwischen kritischer Digitalisierung und Nachhaltigkeit verwenden können. Voraussetzung dafür ist, dass diese sich vor allem an Aktivist*innen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft richten, die Forderungen von Bits & Bäume mittragen und eine nachhaltige Veranstaltungsorganisation umsetzen. So sind bereits mehrere regelmäßig stattfindende Stammtische in verschiedenen Städten entstanden und auch eine kleine Konferenz an der Universität Dresden in 2019. Es gibt eine Mailingliste und ein Online-Diskussionsforum.
Das “Forum Bits & Bäume” findet seit 2019 statt und bietet einen Ort für die Vernetzung von Politik, angewandter Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus der Tech- und Nachhaltigkeits-Community und möchte Handlungsvorschläge erarbeiten, wie Digitalisierung zukunftsfähig gestaltet werden kann. Es wird von der Forschungsgruppe “Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation” am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Technischen Universität Berlin ausgerichtet und in Kooperation mit dem Einstein Center Digital Future und weiteren wechseln-den Partnern veranstaltet.
Dieser Artikel entstand im Rahmen der 3. Veranstaltung des Forum Bits & Bäume zum Thema “Langlebig, offen, reparabel und datensparsam. Gestaltungsoptionen für nachhaltige Hard- und Software”. Die Autor*innen möchten damit einen Vorschlag für die inhaltliche Zuspitzung und Strukturierung des Themas unterbreiten. Die politischen Gestaltungsansätze sind ein wesentliches Ergebnis der Diskussion auf dem Forum Bits & Bäume und können eine Grundlage für die Formulierung eines politischen Gestaltungsrahmens für nachhaltige Hard- und Software schaffen.
Autor*innen:
Johanna Pohl forscht am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin zu ökologischen Bewertungsmethoden der Digitalisierung. Sie arbeitet in der Forschungsgruppe “Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation” zum Thema nachhaltige Digitalisierung. Mehr Informationen unter www.nachhaltige-digitalisierung.de und auf Twitter unter @SustDigi.
Friederike Rohde ist Techniksoziologin und beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von gesellschaftlichem und technologischen Wandel. Sie arbeitet zu Themen wie der Digitalisierung des Energiesystems, Smart Cities und algorithmischer Entscheidungsfindung. Seit 2018 promoviert sie am IÖW im Rahmen der Forschungsgruppe “Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation” zu technologiebezogenen Zukunftsvorstellungen vom vernetzten Wohnen und koordiniert die Gesprächsreihe Forum Bits & Bäume.
Erik Albers ist Programmmanager der Free Software Foundation Europe und engagiert sich dort seit vielen Jahren für Nutzer*innen- und Softwarefreiheit. In den letzten Jahren hat er einen Schwerpunkt auf nachhaltiger Software und arbeitet dabei mit Bundesämtern und Forschungsinstituten zusammen an der Gestaltung und Erforschung nachhaltiger Software und deren Obsoleszenz. Erik ist zu finden auf Mastodon und Twitter und betreut die Plattform //foss.events.
Anja Höfner ist Mitarbeiterin beim Konzeptwerk neue Ökonomie in Leipzig, das sich mit alternativen Wirtschaftskonzepten und der Suche nach einem guten Leben für alle befasst. Sie beschäftigt sich aus sozial-ökologischer Perspektive mit Fragen rund um den Sammelbegriff “Digitalisierung” und erarbeitet unter anderem Bildungsmaterialien zum Thema. Sie hat die Konferenz Bits & Bäume mitgestaltet und ist Mitherausgeberin des daraus entstandenen Buchs “Was Bits und Bäume verbindet”.
Langlebigkeit von Hard- und Software
Ein Großteil der Umweltwirkungen von Hardware (Globale Erwärmung, Versauerung, Süßwasser-Eutrophierung oder Humantoxizität) entstehen während ihrer Produktion. Insbesondere die Herstellung der Elektronikkomponenten ist sehr umweltintensiv und findet häufig an Standorten mit hohen Kohlestromanteilen im Strommix statt. Gleichzeitig steigt die absolute Anzahl der digital vernetzten Geräte weltweit bei stets kürzeren Verwertungszyklen dieser Geräte. Aus ökologischer Perspektive ist die Weiterverwendung bestehender Hardware der Neuanschaffung eines Notebooks oder Smartphones stets vorzuziehen. Insbesondere die Bereitstellung eines neuen Gerätes zieht einen hohen Ressourcenverbrauch nach sich, teilweise benötigen neuere Modelle aufgrund gesteigerter Rechenleistung mehr Energie in der Nutzungsphase.
Eine zentrale Stellschraube für die ökologisch nachhaltige Gestaltung von Hardware ist die Verlängerung der Lebensdauer der Geräte. Dies kann Hardware-seitig beispielsweise durch modulare Gestaltung und möglichst vollständige Reparierbarkeit unterstützt werden. Ein “Recht auf Reparatur” wird seit langem gefordert und umfasst Aspekte wie reparaturfreundliches Produktdesign, den Zugang zu Ersatzteilen und den Erhalt der Garantie auch bei Reparatur. Auch die Recyclingfähigkeit muss bereits beim Design der Geräte mitgedacht werden, um zum Beispiel Metalle beim Recycling extrahieren zu können.
Frühzeitiges Supportende
Die Verwendung von Open Hardware unterstützt ebenfalls die Reparierfähigkeit von Geräten, da jederzeit Baupläne einsehbar sind und einzelne Ersatzteile nachgebaut werden können. Die Verwendung von Hardware geschieht zudem immer im Zusammenspiel mit Software, beide bedingen sich gegenseitig. Ohne passende Software kann eine Hardware oft nicht länger genutzt werden und umgekehrt. Aktuelle Betriebssysteme beispielsweise werden auf aktuelle Hardware-Konfigurationen ausgerichtet. In dem Moment, in dem der Hersteller jedoch den Support für dieses Betriebssystem einstellt, kann dieses nicht länger sicher benutzt werden.
Damit steht auch die zugrunde liegende Hardware zunächst ohne sicheres Betriebssystem da. Ein danach neu veröffentlichtes Betriebssystem hingegen kann eventuell auf der alten Hardware nicht zum Laufen gebracht werden. So wird durch mangelnde Interoperabilität von Software und (älterer) Hardware im Zusammenspiel mit dem frühzeitigen Supportende von Software eigentlich noch funktionsfähige Hardware vermehrt vor Ablauf der Produktlebensdauer ersetzt. Die Langlebigkeit von Software und ihre Verfügbarkeit in der Zukunft hat damit auch direkten Einfluss auf die Verwendbarkeit heutiger Hardware in der Zukunft.
“Public Money Public Code”
Dies betrifft auch die nachhaltige Verfügbarkeit der ‘Ressource Software’ selbst. Heutzutage können bereits viele Dokumente aus vergangenen Jahrzehnten nicht mehr geöffnet oder die zugehörige Software nicht mehr zum Laufen gebracht werden, obwohl die Hardware gleichzeitig immer leistungsfähiger wird. Dies ist meist die Folge einer künstlich erzwungenen Verkürzung der Lebensdauer unserer IKT-Systeme durch proprietäre Lizenzen und Herstellerbindung. Eine nachhaltige Lösung ist die Verwendung von Software unter freier Lizenz (Freie und Open-Source-Software, FOSS).
Freie Lizenzen gewähren jedem Menschen die uneingeschränkte und zeitlich unbegrenzte Verwendung der Software sowie den Zugang zu ihrem Quellcode. So kann keine Entität ein “Ende des Supports” für eine FOSS-lizenzierte Software erzwingen oder deren Verfügbarkeit oder Archivierung für die Zukunft unterbinden. Mit offenen Schnittstellen wird zudem Interoperabilität gewährleistet. Inner- und außerhalb des FOSS-Ökosystems ermöglicht die freie Lizenzierung eine vollständige oder modulare Einbindung spezifischer Software-Lösungen im Zusammenspiel mit anderen Systemen. Weiterhin wird die technisch und juristisch einwandfreie Archivierung und Wiederverwendung digitaler Ressourcen im Sinne der digitalen Generationengerechtigkeit gewährleistet.
Um die Langlebigkeit der digitalen Infrastruktur zu unterstützen, gilt es vonseiten der Politik sicherzustellen, dass mit öffentlichen Geldern entwickelte Software und Hardware unter einer freien und Open-Source-Lizenz veröffentlicht wird (“Public Money Public Code” beziehungsweise “Public Money Public Hardware”). Die Veröffentlichung von Source-Code unter freier Lizenz nach dem Supportende einer Software oder eines Elektrogerätes (“Upcycling von Software”) würde einen Meilenstein gegen erzwungene Software-Obsoleszenz darstellen.
Energie- und ressourcensparsame Hard- und Software
Geräte und Anwendungen werden relativ immer effizienter, zum Beispiel durch LED-Bildschirmbeleuchtung, sinkende Energieintensität pro Rechenleistung und verbesserte Strommanagementsoftware. In der EU-Ökodesign-Richtlinie sind dazu gesetzliche Mindestanforderungen formuliert. Labels wie Energy Star oder Blauer Engel bewerten elektronische Geräte nach ihrer Energieeffizienzklasse und bieten somit auch Verbraucher*innen transparente Entscheidungshilfen. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Geräte der Unterhaltungselektronik immer größer werden, Leistung und Bildschirmauflösungen steigen, was absolut betrachtet zu steigenden Energie- und Ressourcenverbräuchen führt.
Parallel kann auch die absolute Zunahme an Geräten und steigende Energieverbräuche zum Beispiel im Internet der Dinge aufgrund der immer effizienter und damit günstiger werdender Elektronikkomponenten konstatiert werden – ein klassischer Rebound-Effekt. Energie- und ressourcensparsame Hardware zeichnet sich also nicht nur durch relative Ressourcensparsamkeit aus, sondern auch durch ein absolutes Sinken von Energie- und Ressourcenverbräuchen. Es ist also geboten, Effizienzmaßnahmen durch Konsistenz- und Suffizienzstrategien zu flankieren.
Sparsame Software
Für Rechenzentren steht die Bewertung in Effizienzklassen noch ganz am Anfang. Bei der Beurteilung der Energieeffizienz von Rechenzentren sind Faktoren wie Abwärmenutzung, Art der Kühltechnik oder die Serverauslastung entscheidend. Es liegen hier erste Methoden zur Energieeffizienzberechnung von Rechenzentren vor. Die Umweltrelevanz von Software entsteht durch die Beanspruchung von Hardware- und Übertragungskapazitäten (Rechenleistung, Arbeitsspeicher, Netze) bei deren Entwicklung, Nutzung und Deinstallation.
Auch wenn eine absolute Bezifferung der Relevanz von Software auf den Gesamtenergieverbrauch von IKT noch am Anfang steht, so ergaben Untersuchungen, dass unterschiedliche Softwareprodukte, die die gleichen funktionellen Anforderungen erfüllen, sich signifikant in ihrem Stromverbrauch unterscheiden können. Im Sinne energie- und ressourcensparsamer Software gilt es also, diese so zu gestalten, dass der Strom- und Ressourcenbedarf in der Nutzungsphase minimiert wird.
Die Politik ist gefragt
Software-Designprinzipien sollten dies gleich zu Beginn des Software-Lebenszyklus berücksichtigen. Das Umweltbundesamt hat hierzu bereits erste Kriterien für die nachhaltige Gestaltung von Software vorgelegt. Kriterien wie die Nutzungsautonomie – darunter die FOSS-Lizenzierung, Offlinefähigkeit und Werbefreiheit – sind wichtige Ansatzpunkte, bei deren Nutzung Verbraucher*innen und Industrie heute bereits mit wenig Aufwand viel erreichen können.
Die Politik sollte dabei unterstützend tätig werden, indem sie Verbraucher*innen mit verpflichtenden Infolabels beim bewussten Konsum hilft und die Industrie bei der gemeinsamen Gestaltung offener Standards unterstützt.
Transparente und faire Produktkreisläufe
Endgeräte, Server und Netzwerke bestehen aus einer Vielzahl von endlichen Ressourcen. Bei steigender Gesamtanzahl der Geräte erhöht sich der Bedarf an Ressourcen für deren Herstellung. Digitale Geräte bestehen neben Plastik, Glas und Keramik aus diversen Metallen, die als Konfliktrohstoffe beziehungsweise besorgniserregend eingestuft sind. Geschürft werden Tantal, Wolfram, Gold, Zinn oder Kobalt vor allem in Ländern des Globalen Südens, unter anderem im Kongo, in Süd-Afrika, Ruanda, Peru oder Chile oft unter gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, mangelnder Schutzkleidung, massiven Arbeitsrechtsverletzungen, sowie teilweise unter dem Einsatz von Kinderarbeit. Zudem kommt es zu erheblichen Umweltbelastungen durch die Verseuchung von Flüssen, Abholzung und Luftverschmutzungen. Auch bei der Produktion von digitalen Geräten sind massive Verletzungen von Arbeits- und Menschenrechten, zum Beispiel in chinesischen Fabriken bekannt.
Wie begonnen, so endet auch der Produktlebenszyklus vieler Geräte im Globalen Süden, zum Beispiel in Agbogbloshie in Ghana auf der größten Müllhalde auf dem afrikanischen Kontinent. Auch dort leben und arbeiten Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen und gesundheitlicher Gefährdung, um wiederverwertbare Rohstoffe aus dem Elektroschrott zu gewinnen. Der Produktionsprozess ist zudem von großer Intransparenz geprägt und es ist vielfach nicht nachvollziehbar, welche Bestandteile wo und unter welchen Bedingungen hergestellt wurden oder entsorgt werden.
Gewährleistung von Nachhaltigkeit
Auch die Herstellung und Programmierung von Software ist häufig von großer Intransparenz geprägt. Proprietäre Software-Entwicklung liefert fertig kompilierten und verschlossenen Code an Nutzer*innen. Nutzer*innen haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Software das tut, was sie vorgibt zu tun. Das Wissen über die Software wird von Unternehmen geheim gehalten, damit können neue Versionen veröffentlicht und alte Versionen für ungültig erklärt werden. Daraus entstehen Abhängigkeiten, die nicht nur die Autonomie der Nutzer*innen beeinträchtigt, sondern auch Einfluss auf die Lebensdauer von Hardware haben kann, wie oben beschrieben. Durch diese Wissensmonopole könnte der Bankrott eines privatwirtschaftlichen Akteurs nicht nur einen enormen Wissensverlust bedeuten, sondern sogar zum Ausfall ganzer Infrastrukturen führen.
Für die Gewährleistung von Nachhaltigkeit in allen Dimensionen braucht es deswegen bei Hardware und Software Transparenz im gesamten Herstellungsprozess. Für Hardware bedeutet das transparente Lieferketten sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen und faire Löhne über die gesamte Lieferkette. Die Verantwortung hierfür kann nicht auf die Nutzer*innen abgewälzt werden, sondern Unternehmen sollten verpflichtet werden, Transparenz in den Lieferketten zu gewährleisten, wie es derzeit verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen in der Initiative Lieferkettengesetz fordern.
Für anfallenden Elektroschrott, zum Beispiel durch defekte Teile, braucht es ein funktionierendes Recyclingsystem, um die wertvollen Inhaltsstoffe in den digitalen Geräten weiterzuverwenden. Elektroschrott darf nicht, wie derzeit, auf unklare Weise entsorgt werden und im Zweifelsfall wieder in die Länder des globalen Südens exportiert werden.
Archivierung und Wiederverwendung von Wissen
Eine transparente Entwicklung von Software bedeutet, dass der ursprüngliche Quellcode mit allen späteren Änderungen öffentlich nachvollzogen werden kann. Eine freie Lizenzierung des Quellcodes ermöglicht die Verwendung für alle, auch für geschäftliche Zwecke. Damit wird der Monopolisierung von Wissen, sowie gleichzeitig der Monopolstellung einzelner (privatwirtschaftlicher) Akteure vorgebeugt. Freie Lizenzen ermöglichen eine Archivierung und Wiederverwendung von Wissen. Wie im Modell einer Kreislaufwirtschaft können bereits entwickelte Programme oder Versionen wiederbelebt oder weiterentwickelt werden. Transparente Produktionskreisläufe, in denen jeder einzelne Code-Beitrag nachvollziehbar ist, sorgen zudem für mündige und unabhängige Nutzer*innen.
Politische Gestaltungsoptionen für nachhaltige Hard- und Software
Die Umweltwirkungen und sozialen Implikationen, die mit Produktion, Betrieb und Entsorgung von Hardware und Software verbunden sind, ergeben sich somit in einem vielschichtigen Zusammenspiel verschiedener Einflussgrößen. Die politische Gestaltung sollten diese zielgerichtet in den Blick nehmen:
“Right to Repair”: Das Recht auf Reparatur muss gesetzlich verankert werden und umfasst die verpflichtende Veröffentlichung aller für die Reparatur relevanten Informationen sowie ein diskriminierungsfreier und dauerhafter Zugang für alle (gewerblichen) Werkstätten und Endnutzer*innen zu allen für die Reparatur relevanten Mitteln und Werkzeugen. Vollständige Nutzungsrechte sowie Gewährleistung müssen erhalten bleiben – auch wenn die Reparatur durch freie zertifizierte Reparaturbetriebe erfolgt und dabei alternative Software oder Betriebssysteme zum Einsatz kommen.
“Lizenzierung von Hard- und Software”: Die Nutzungs- bzw. Eigentumsrechte für Bauanleitungen und Ersatzteile sollen nach Produktionsende für die Allgemeinheit zugänglich unter Freier Lizenz veröffentlicht werden, damit Nutzer*innen und Werkstätten Ersatzteile selber nachbauen können. Um zugehörige Software-Obsoleszenz zu vermeiden gilt es zudem, eine verpflichtende Veröffentlichung von Source Code unter Freier Lizenz nach Supportende einer Software oder eines Elektrogerätes einzuführen sowie das ungehinderte Aufspielen alternativer Software und Betriebssysteme zu ermöglichen.
“Transparente und geschlossene Produktkreisläufe”: Für Herstellung von Hardware braucht es transparente Lieferketten sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen und faire Löhne über den gesamten Herstellungsprozess. Unternehmen sollten gesetzlich verpflichtet werden, Transparenz in den Lieferketten zu gewährleisten und menschenrechtliche sowie umweltbezogene Sorgfalt walten zu lassen. Es braucht ein funktionierendes Recyclingsystem, um die wertvollen Inhaltsstoffe der digitalen Geräte weiterzuverwenden. Für eine transparente Entwicklung von Software soll die Versionsgeschichte des ursprünglichen Quellcodes mit allen Änderungen öffentlich nachvollzogen werden können. Eine freie Lizenzierung von Quellcode ermöglicht eine Verwendung für alle (auch für geschäftliche) Zwecke.
“Energie- und Ressourcensparsamkeit”: Effizienzmaßnahmen digitaler Technik müssen durch Konsistenz- und Suffizienzstrategien flankiert werden, um Rebound-Effekten vorzubeugen. Es müssen verpflichtende Vorgaben eingeführt werden, energie- und ressourcensparsame Software so zu gestalten, dass der Strom- und Ressourcenbedarf in der Nutzungsphase minimiert wird. Ansatzpunkte dafür sind bereits im Blauen Engel für Software vorgelegt worden. Modularisierung und Standardisierung von Hardware trägt zur Vermeidung von Elektroschrott und zur Ressourcensparsamkeit bei. Dies kann auf EU-Ebene durch verpflichtende Vorgaben zur Standardisierung von Elektronikzubehör (unter anderem Ladekabel) und Elektronikbestandteilen erreicht werden.
“Public Money – Public Code”: Um öffentliche und nachhaltige digitale Infrastrukturen zu fördern braucht es eine rechtliche Verpflichtung, dass mit öffentlichen Geldern entwickelte Software unter einer Freie-Software- und Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden. Von der Allgemeinheit bezahlte Anwendungen sollten allen zur Verfügung stehen. Der offene Code ermöglicht sowohl die nachhaltige Gestaltung und lange Nutzung von Software als auch der verwendeten Hardware.
“Security by transparency”: Ausschreibungs- und Beschaffungskriterien für die öffentliche Hand sollen so gestaltet werden, dass sowohl Freie und Open-Source-Software als auch Geräte bevorzugt werden, die offene Schnittstellen und modulare Designs bereitstellen. Die Verwendung offener Standards muss in allen öffentlichen Dienstleistungen verpflichtend werden und noch ausstehende Regulierungen und Standardisierungsprozesse von öffentlicher Hand unterstützt werden. Gerade auch im Bereich der kritischen Infrastruktur gilt es einen Paradigmenwechsel hin zu Freier und Open-Source-Software anzustreben.
Literatur
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Donnerstag 16.07.20, 09:24 Uhr Demonstration am Freitag, den 24. Juli, 16 Uhr, Hauptbahnhof
Verkehrswende jetzt!
Students for Future (SFF) und Fridays for Future (FFF) rufen für Freitag, den 24. Juli zu zu einer Demonstration für eine Verkehrswende auf: Es braucht eine sozialökologische Verkehrswende – deswegen setzen wir uns für gute und gerechte Bedingungen im ÖPNV ein und kämpfen gemeinsam mit Beschäftigten, ver.di und Bogestra und vielen weiteren Klimagerechtigkeitsgruppen und anderen SFF und FFF Ortsgruppen für eine klimagerechte Zukunft! Wir wollen mehr Platz für ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger sowie Natur und dadurch mehr Lebensqualität in der Stadt. Nicht für Spritschlucker, Staus und Stickoxide. Kommt vorbei und setzt euch mit uns gemeinsam für eine Verkehrswende ein! Wann? 24. Juli, 16 Uhr! Wo? HBF Bochum, Laufdemo zum Rathaus über den Ring mit Zwischenkundgebung an der Kreuzung Westring/Alleestraße/Willy-Brandt-Platz!
Wir fordern #NahFAIRkehr, denn mehr Klimaschutz braucht mehr ÖPNV:
Fair für Beschäftigte: Belastung runter und Bezahlung rauf
Fair für alle Generationen: ÖPNV ausbauen für Klimaschutz
Fair für Fahrgäste überall: ÖPNV in Stadt und auf dem Land ausbauen
Fairer Preis: Solidarische Finanzierung auch durch Nutznießer wie Unternehmen
Fair geht vor: Vorfahrt für ÖPNV im Stadtverkehr
Fair verteilt: Mehr Platz für ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger
Bringt auch gerne ein Fahrrad mit und bitte denkt auch daran eine Mund-Nasen-Bedeckung mitzunehmen.
Impressionen zur VerkehrsWende Demo
Von der WAZ : Bochumer Klimaschützer erobern mit Demo die Straße zurück
Bochum. Die Klimabewegung ist in Bochum trotz Corona lebendig. Rund 200 Aktivisten von „Fridays for Future“ und anderen demonstrierten in der City.
Zu einer der größten Klima-Demos in Bochum seit Beginn der Corona-Krise im März haben am Freitag eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Gruppierungen aufgerufen. Noch im April hatten sich die Aktivisten eher mit virtuellen Formaten zu Wort gemeldet. Vor dem Hauptbahnhof trafen sich rund 200 Menschen, um für eine Verkehrswende zu demonstrieren. Maren Solmecke, die für die Gruppe ‟Students for Future” spricht, sagte: ‟Wir denken, dass die kommende Kommunalwahl eine Klimawahl sein wird.” Fridays for Future Bochum: Fridays for Future streikt im Internet für das Klima
Bogestra beteiligt sich mit Linienbus
Wohl eine Premiere: Die Bogestra stellte einen Bus (Linie 0, Sonderwagen), der dem Demonstrationszug vorausfuhr. Aktivisten von ‟Fridays for Future” hatten zuvor Transparente an das Fahrzeug geklebt. Dort stand etwa: ‟Klimagerechter ×PNV geht nur mit Fair”. Ein Novum, dass die Bogestra als kommunales Unternehmen so explizit Flagge zeigt bei einer doch höchst politischen Veranstaltung. Unter den Aufrufenden der Demo befand sich auch die Gewerkschaft Verdi. Einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten – auch als deutliches Statement – ihre Fahrräder mitgebracht.
Mittlerweile hat sich eine gewisse Routine, doch trotzdem waren die Organisatoren gehalten, die Corona-Regeln vor Beginn der Veranstaltung laut vorzulesen. Die Demonstranten mussten sich in jeweils Zehner-Gruppen zusammenfinden, diese Gruppen wiederum mussten einen Abstand von 1,50 m zueinander einhalten. Extinction Rebellion Bochumer ‟Extinction Rebellion” protestiert gegen Klimakrise
Bündnis Radwende war mit dabei
Erneut mit dabei war auch das Bochum Bündnis ‟Radwende”, ein Zusammenschluss der unterschiedlichsten Gruppen, darunter ADFC, BUND, VCD und Greenpeace. Sprecher erinnerten daran, dass die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge in den letzten Jahren trotz aller Klimabemühungen auch in Bochum kontinuierlich gestiegen ist. Auf einem auf der Demo verteilten Flugblatt erinnerte Radwende an das von der Stadt selbst definierte Ziel, ‟den Radverkehrsanteil bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Aber: ‟Das Zielt aufrecht zu erhalten, unterstützen wir. Doch dafür braucht es in bochum eine andere Infrastruktur und Mut zu echten Veränderungen!”, heißt es in dem Flugblatt dazu. Radwende-Bündnis 500 Radfahrer demonstrieren auf der Bochumer Königsallee
Grünen-Experte über Klimapolitik: „Die Klimakrise ist gewaltig“
Rainer Baake weiß, wie Deutschland klimaneutral werden kann. Mit einer neu gegründeten Stiftung möchte er auf die Bundesregierung einwirken.
taz: Herr Baake, bis vor gut zwei Jahren haben Sie die energiepolitische Debatte in Berlin in diversen Funktionen mitgeprägt. Dann haben Sie im Wirtschaftsministerium Ihren Rücktritt als Staatssekretär eingereicht und sind von der Bildfläche verschwunden. Wo haben Sie seitdem gesteckt?
Rainer Baake: Ich bin mit meiner Frau um die Welt gereist. Wir waren 2018 im südlichen und östlichen Afrika, 2019 in Süd- und Nordamerika und dieses Jahr in Australien. Eigentlich sollte es am Schluss dann noch durch Europa gehen, aber dieser Teil ist wegen der Corona-Pandemie dann ausgefallen.
Verträgt sich eine solche Weltreise denn mit dem Ziel, den Klimawandel aufzuhalten?
Wir waren mit einem geländegängigen Fahrzeug unterwegs und haben zwei Jahre lang im Dachzelt geschlafen und fast keine Güter konsumiert. Keine Heizung, warmes Wasser aus der Solardusche und Strom aus unserer Photovoltaikanlage. Das Auto ist zwischen den Kontinenten mit dem Schiff transportiert worden. Wir selbst sind zwar geflogen, aber unterm Strich haben wir unseren CO2-Fußabdruck im Vergleich zum Leben in Deutschland nicht erhöht.
Rainer Baake
Der 64-jährige Volkswirt hat die deutsche Energiepolitik in vielen verschiedenen Funktionen mitgestaltet: Als Staatssekretär im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium, dazwischen als Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Gründungsdirektor des Thinktanks Agora Energiewende. Seit kurzem leitet er die neu gegründete „Stiftung Klimaneutralität“.
Was war das Ziel der Reise?
Wir haben beide großes Interesse am Klimathema und am Natur- und Artenschutz. Über beide Themen haben wir viel gelernt. Meine Frau hat in ihrem Heimatland Norwegen viele Artikel veröffentlicht, ich habe einen Film für die Internationale Energieagentur produziert. Und jetzt arbeiten wir noch an einem Buch und einem Film über die Reise.
Welche neuen Erkenntnisse haben Sie mitgebracht?
Die Auswirkungen der Klimakrise sind heute schon gewaltig, die können Sie auf jedem Kontinent sehen. Im südlichen Afrika haben wir die Folgen der gewaltigen Dürre erlebt, in Nordamerika ausgetrocknete und großflächig abgebrannte Waldgebiete, in Australien die Buschbrände, die es dort zwar schon immer gegeben hat, aber nie in diesem Ausmaß.
Sind Sie jetzt optimistischer oder pessimistischer, dass die Klimakrise noch gestoppt werden kann?
Ich war immer Optimist, und ich glaube auch jetzt noch daran, dass wir unser eigenes Schicksal noch verändern können. Aber die Dringlichkeit ist mir noch sehr viel deutlicher geworden.
Hat das Leben im Ausland auch Ihren Blick auf die deutsche Klimadebatte verändert?
Die größte Überraschung war für mich die Fridays for Future-Bewegung. Ich hatte mir in all den Jahrzehnten vorher immer gewünscht, dass die junge Generation, die ja am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffen sein wird, auf die Straße geht. Dass das jetzt passiert, ist eine großartige Veränderung. Leider war die offizielle Regierungspolitik mehr von der Angst vor der AfD beeinflusst als von den Forderungen der jungen Generation.
Sie haben Ihren Rücktritt als Staatssekretär damit begründet, dass Deutschland seine Klimaziele aufgrund des Koalitionsvertrags deutlich verfehlen wird. Jetzt wird das 2020-Ziel doch erreicht, die Erneuerbaren liefern mehr als die Hälfte des Stroms und der Kohleausstieg wurde auch beschlossen. Bedauern Sie im Nachhinein, dass Sie nicht mehr dabei waren?
Nein, ich glaube der Schritt war richtig. Dass Deutschland jetzt sein Klimaziel für 2020 möglicherweise erreicht, ist ein Einmaleffekt durch die Corona-Krise. Und für 2030 prognostizieren ja selbst die Gutachten der Regierung, dass das Ziel mit den bisher beschlossenen Maßnahmen deutlich verfehlt wird. Und das nationale Ziel wird ja noch weiter angehoben werden müssen, wenn die EU ein neues Ziel für 2030 beschließt.
In der Klimaszene geben Ihnen manche eine Mitschuld an den verfehlten Zielen. Denn Sie haben als Staatssekretär die Umstellung des Ökostroms von festen Vergütungen auf Ausschreibungen durchgesetzt. Danach ist der Wind-Ausbau eingebrochen.
Da sehe ich keinen Zusammenhang. Dass in Deutschland derzeit zu wenig Windräder gebaut werden, liegt nicht an den Ausschreibungen, sondern daran, dass es zu wenige rechtskräftig genehmigte Projekte gibt, was verschiedene Ursachen hat. Fast überall auf der Welt ist auf Ausschreibungen umgestellt worden. Der Markt kann die notwendigen Zuschüsse nun mal besser ermitteln als die Politik.
Zurückgemeldet haben Sie sich in Berlin jetzt als Direktor einer neuen „Stiftung Klimaneutralität“. Was steckt dahinter?
Es geht genau um diese Frage: Wir wollen eine Klima-Roadmap für Deutschland entwickeln, eine sektorübergreifende Strategie, wie Deutschland im europäischen Kontext klimaneutral werden kann. Dabei soll es nicht nur um Szenarien gehen, sondern auch um politische Instrumente, mit denen Klimaziele tatsächlich erreicht werden.
Woher kommt das Geld dafür?
Von Climate Imperative, einer in Gründung befindlichen Stiftung in den USA, die global tätig ist. Dahinter stehen wohlhabende Privatpersonen, die etwas gegen den Klimawandel unternehmen wollen. Von dort haben wir eine siebenstellige Zuwendung erhalten, mit der wir arbeiten können.
Braucht es in der Klimapolitik wirklich noch einen weiteren Akteur?
Es geht nicht um Konkurrenz oder Dopplung, sondern um eine Ergänzung und Kooperation mit anderen Akteuren. Unser dreiköpfiges Team bringt seine Kompetenz ein, dazu bringen wir zusätzliches Geld mit. Damit können wir Studien und Gutachten erstellen und Dialogprozesse organisieren. Denn unsere Ergebnisse sollen nicht in irgendeinem Regal vergammeln, sondern Eingang finden in die klimapolitische Debatte.
Das klingt wie ein Vorbereitungsprogramm für die nächste Bundesregierung.
Absolut. Wir wollen als Teil der Zivilgesellschaft Vorschläge unterbreiten und hoffen, dass diese dann auch von den politischen Parteien aufgegriffen werden.
Und zieht es Sie dann noch einmal zurück in die Politik, um das Ganze auch selbst umzusetzen?
Ich bewerbe mich nicht um ein politisches Amt. Mein Anliegen ist der Klimaschutz, und den habe ich in den letzten 29 Jahren in verschiedenen Rollen vorangetrieben. Ich weiß, was man von außerhalb der Regierung machen kann, aber das Regierungsgeschäft kenne ich auch. Ich finde, man sollte weder das eine noch das andere unterschätzen.
Forscher haben Klimadaten entschlüsselt, die Millionen Jahre in winzigen Fossilien gebunkert waren. Der Rückblick offenbart, wie die Erde damals aussah – und lässt Schlüsse zu, was ihr nun bevorstehen könnte. 13.07.2020, 16.20 Uhr
Als das letzte Mal so viel CO2 in der Luft war, wuchsen Pflanzen in der Antarktis Foto: George Clerk/ Getty Images
In fünf Jahren wird der Gehalt von Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre wahrscheinlich noch höher sein als in der wärmsten Periode der vergangenen 3,3 Millionen Jahre. Das berichten Forscher im Fachblatt “Scientific Reports”. Das sogenannte Pliozän vor gut 5,3 bis 2,5 Millionen Jahren gilt als Blaupause für das künftige Klima und ist deshalb für Wissenschaftler besonders interessant.
“Das Wissen über den CO2-Gehalt in der geologischen Vergangenheit ist wichtig, weil es uns zeigt, wie das Klimasystem, die Eiskappen an den Polen und der Meeresspiegel darauf reagiert haben”, sagt Studienautor Elwyn de la Vega von der University of Southampton. Gemeinsam mit seinen Kollegen analysierte er die Schalen von winzigen Fossilien, die sich vor Jahrmillionen im heutigen Karibischen Meer abgelagert hatten. Die Daten offenbaren, wie hoch der CO2-Anteil in der Atmosphäre zu dieser Zeit war.
Meeresspiegel lag bis zu 20 Meter höher
Auch vorherige Studien hatten gezeigt, dass die Atmosphäre auf die CO2-Marke von vor gut drei Millionen Jahren zusteuert. Im Pliozän lagen die Temperaturen drei bis vier Grad höher als heute, in Europa lebten Giraffen, in der Antarktis wuchsen Pflanzen, Grönland war komplett eisfrei und der Meeresspiegel war wahrscheinlich 15 bis 20 Meter höher.
In der aktuellen Studie untersuchten die Forscher die Isotope des Elements Bor, das in den Schalen von Zooplankton gespeichert ist. Diese winzigen Organismen strömten schon im Pliozän zu Milliarden durch die See, die allermeisten waren höchstens einen halben Millimeter groß. Wenn die Tierchen abstarben, sanken sie auf den Meeresboden. Mit der Zeit bildete sich dadurch eine dicke Schicht aus versteinertem Zooplankton – ein Tresor an Klimainformationen, den die Forscher nun knacken konnten. Mehr zum Thema Klimaforscher Schellnhuber: “Wir werden viel mehr Glück brauchen, als wir Verstand haben” Von Valerie Höhne
Der Bor-Gehalt in den Schalen verrät, wie hoch der pH-Wert im Wasser zu der Zeit war. Weil der Säuregrad in den Meeren auch vom CO2-Gehalt in der Atmosphäre abhängt, lässt sich dadurch die Zusammensetzung der Luft rekonstruieren. Auch heutige Messungen zeigen, dass der pH-Wert in den Weltmeeren wegen der gestiegenen Emissionen allmählich sinkt.
Laut den Analysen schwankte der CO2-Gehalt in der Atmosphäre des Pliozäns zwischen 380 und 420 Teilchen pro eine Million Teilchen Luft (ppm). Das entspricht in etwa dem heutigen Durchschnittswert. “Weil der CO2-Gehalt um etwa 2,5 ppm pro Jahr steigt, werden wir bis zum Jahr 2025 alles übertroffen haben, was wir aus den vergangenen 3,3 Millionen Jahren kennen”, sagt Studienautor Thomas Chalk. “Das heißt, wir befinden uns bereits auf einem Level, das in der Erdgeschichte mit steigenden Temperaturen und einem höheren Messerspiegel verbunden war.”
Anthropozän: Wenn der Mensch den gesamten Planeten beeinflusst
Dass die Erde nicht schon jetzt ähnlich hohe Temperaturen und Wasserpegel erlebt wie im Pliozän, liegt laut den Forschern daran, dass es eine Weile dauert, bis das Klima auf den höheren CO2-Gehalt reagiert. Wenn die Emissionen weiter steigen, wird die Atmosphäre bald den CO2-Gehalt vom Pliozän übertreffen. Dann wäre so viel CO2 in der Luft wie noch nie seit 15 Millionen Jahren. Inzwischen beeinflusst der Mensch den gesamten Planeten so sehr, dass Forscher bereits vom Anthropozän sprechen.
Jüngst warnte die Weltwetterorganisation (WMO), dass die globalen Durchschnittstemperaturen schon bald die entscheidende 1,5 Grad-Grenze knacken werden. Ab diesem Wert rechnen Forscher mit irreversiblen Kipppunkten, die eine Kettenreaktion im Klima auslösen könnten, die die globale Erderwärmung zusätzlich verstärken und sich nur noch schwer aufhalten lassen.
Klimaforscher mahnen seit Langem, dass die weltweiten Emissionen bis zum Jahr 2050 in der Summe auf null gebracht werden müssen, wenn der globale Temperaturanstieg – wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart – möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll. Bleiben die Länder dagegen bei ihren bisherigen Zusagen, ist laut Klimamodellen ein Anstieg um bis zu vier Grad Celsius in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich. Dann wäre die Welt, auch was die Temperaturen angeht, wieder im Pliozän angekommen. koe
Ziel ist ein selbstlernendes Energiemanagementsystem
Projekte finden gemeinsam mit Quartiersentwicklung statt
Bochum, 23.01.2020. Vonovia möchte in ihren Quartieren auf der Gebäude- und Wohnungsebene die Energiewende einleiten. Zusammen mit renommierten Fraunhofer-Instituten, gefördert durch einen 6,2-Mio.-Euro-Zuschuss des Landes NRW, werden in Bochum-Weitmar in einer klassischen Siedlung des Wohnungsunternehmens neue Technologien im laufenden Betrieb entwickelt und getestet. Ziel des auf drei Jahre angelegten Projektes (ODH@Bochum-Weitmar) ist eine unabhängige und möglichst CO2-neutrale Strom– und Wärmeversorgung des Quartiers. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart begründet das Engagement des Landes so: „Bochum-Weitmar ist mit vielen Gebäuden aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ein ideales Pilotquartier und ein innovatives Beispiel für die ökologisch und ökonomisch effiziente Energieversorgung in urbanen Quartieren. Hier sollen verschiedene Technologien auf neuartige, intelligente Weise kombiniert werden, um den Energieverbrauch zu senken und die Sektorenkopplung voranzubringen. Die hier ermittelten Synergien sind übertragbar und bieten damit auch wichtige Impulse für andere Quartiere in einem klimafreundlichen Ruhrgebiet.“
Warum sich Vonovia in Weitmar aktiv an der Erforschung neuer Technologien beteiligt, mit der eine CO2-Reduktion im Gebäudebestand erzielt werden soll, erläutert Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia SE, so: „Klimaschutz ist eine der wesentlichen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Vonovia fühlt sich dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet, bis zur Mitte des Jahrhunderts einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Dabei ist es wichtig, das Spannungsfeld zwischen bezahlbarem Wohnen und Klimaschutz sozial zu gestalten. Ein Teil der notwendigen CO2-Einsparung ist über die bewährte energetische Sanierung zu erzielen, ein weiterer Teil ist über technische Maßnahmen abzubilden, die jedoch heute nicht wirtschaftlich darstellbar sind. Für den noch fehlenden Teil erforschen wir, wie aktuell in Weitmar, technische Innovation.“
Insgesamt soll hier ein vernetztes, dezentrales Versorgungssystem entstehen, das eine möglichst autarke Strom- und Wärmeversorgung im Quartier ermöglicht. „Aus unserer Sicht ist die Sektorenkopplung entscheidend, dabei muss die Erzeugung von Strom und Wärme zusammengedacht werden“, so Buch weiter. Die erzeugte Energie soll mit Hilfe von künstlicher Intelligenz direkt im Quartier vom Mieter genutzt, und nicht wie oftmals üblich, ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Ein selbstlernendes Energiemanagementsystem wird dafür sorgen, dass die richtige Energie zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung steht – an E Ladesäulen, als Strom im eigenen Haushalt oder in Form von Wärme. Über eine digitale Marktplattform werden die Marktakteure für An-gebot und Nachfrage zum Handel und Austausch zusammengebracht. Die vorangelagerte Planung bestehender Quartiere hinsichtlich klimafreundlicher Versorgung und baulicher, energieeffizienzverbessernder Maßnahmen soll über ein integriertes Planungssystem optimiert werden.
Um Veränderungen dieser Art zu ermöglichen, gründete die Fraunhofer-Gesellschaft zusammen mit Vonovia und zwölf weiteren Partnern im April 2018 den Open District Hub e.V. Eines von sechs Innovations-Quartieren, das im Rahmen der Initiative entwickelt und erforscht wird, ist das Wohnviertel in Bochum-Weitmar. Hier plant Vonovia, – gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft (insb. den Instituten UMSICHT, FIT und IOSB) sowie dem Unternehmen Ampeers Energy GmbH – das Viertel in absehbarer Zukunft mithilfe von digitalen Instrumenten optimal und nachhaltig mit Energie zu versorgen.
Die Mieterinnen und Mieter kosten diese Projekte nichts. Und: Läuft es gut, wird Vonovia versuchen, die hier gewonnenen Erkenntnisse bundesweit in ihren Wohnungen einsetzen.