Soziale Kosten des Straßenverkehrs: Was Autofahren wirklich kostet

(26.01.22, zeit.de ) , Original : hier

Eine neue Studie zeigt: Viele können sich ihr Auto nur leisten, weil die Gesellschaft die Kosten für Gesundheits- und Umweltschäden trägt – mit rund 5.000 Euro pro Jahr.
Von Andrea Reidl

Was Autofahren wirklich kostet

Autofahren ist teurer, als viele Menschen denken. Neben Kosten für Sprit, Versicherung und Kfz-Steuer fallen jedes Jahr soziale Kosten an, die die Gesellschaft trägt. Etwa weil Menschen aufgrund von Lärm oder Luftverschmutzung durch den Autoverkehr erkranken, früher sterben oder an den Folgen des Klimawandels leiden. In der neuen Studie The Lifetime costs of driving a car (auf Deutsch: “Die Kosten des Autofahrens über die Lebenszeit”) wurden diese privaten und die sozialen Gesamtkosten umfassend berechnet. Demnach subventioniert die Gesellschaft jedes Auto jährlich mit im Schnitt rund 5.000 Euro. Aber auch für die Halterinnen und Halter selbst ist ein eigener Wagen deutlich teurer als bislang angenommen.

Die Mobilitätsforscher und -forscherinnen Stefan Gössling, Jessica Kees und Todd Litmann haben die tatsächlichen Kosten eines 50-jährigen Autofahrerlebens anhand von 33 Faktoren berechnet. Grundlage waren die drei gängigsten deutschen Autotypen Opel Corsa (Kleinwagen), VW Golf (Mittelklassewagen) und Mercedes GLC (SUV). Die Ergebnisse zeigen: Müssten Autofahrer und -fahrerinnen alle Kosten selbst zahlen, die ihr Wagen verursacht, könnten sich nur Gutverdienende überhaupt noch ein eigenes Auto leisten. 

Bei der typischen deutschen Fahrleistung von 15.000 Kilometer pro Jahr würde ein Opel Corsa der Studie zufolge in einem Autofahrerleben 599.082 Euro kosten, bezöge man alle gesellschaftlichen und privaten Kosten ein. Ein VW Golf landet bei 653.561 Euro und ein Mercedes GLC bei 956.798 Euro. Die Gesellschaft trage davon jährlich im Fall des Opel Corsa 41 Prozent (4.674 Euro), beim Golf 38 Prozent (4.755 Euro) und beim Mercedes GLC 29 Prozent (5.273 Euro).

Die drei teuersten Kostenpunkte für die Gesellschaft sind dabei laut der Studie die Luftverschmutzung (beim Corsa 1.495 Euro im Jahr), der Landverbrauch und die Instandhaltung der Infrastruktur (1.167 Euro) sowie das Bordsteinparken (1.005 Euro). Hinzu kommen unter anderem noch Kosten, die durch Lärm (120 Euro), den Klimawandel (435 Euro) und durch Einschränkungen für Radfahrende oder zu Fuß Gehende (225 Euro) entstehen. “Nur ein Teil der dabei entstehenden Infrastrukturkosten wird durch Benutzungsgebühren oder Steuern beglichen”, sagt Forscher Gössling.

Im Stau stehen kostet viel Zeit

Viele der Kosten haben keinen offiziellen Preis. ….

Die privaten Kosten, zu denen Anschaffung, Wartung und Betrieb sowie Wertverlust gehören, haben die Wissenschaftler umfassend einbezogen. Berücksichtigt werden Parkgebühren, Maut, Führerschein, Bewohnerparken oder auch der Zeitverlust, der durch Stau entsteht. 40 Stunden stand der typische Autopendler 2021 im Stau. “Das entspricht einer Arbeits- oder Urlaubswoche”, sagt Gössling. In München sind es mit 79 Stunden sogar fast zwei Wochen, die Autofahrende beim Warten auf der Straße verbringen. Den dabei entstandenen Zeitverlust berechnen die Forschenden über verlorene Arbeitsstunden mit 555 Euro pro Jahr pro Fahrzeug.

So summieren sich die jährlich anfallenden privaten Kosten fürs Autofahren auf rund 6.700 Euro für einen Opel Corsa, 7.657 Euro für einen VW Golf und knapp 12.900 Euro für einen Mercedes GLC. “Das ist deutlich mehr, als der ADAC anführt”, sagt Gössling.

Appell für eine schnelle Verkehrswende

Mit ihrer Studie stellen die drei Forscher und Forscherinnen die autozentrierte Verkehrspolitik infrage. Seit den Fünfzigerjahren subventioniert die Bundesregierung den privaten Autobesitz unter anderem durch umfangreichen Straßenbau, günstige Parkgebühren, Pendlerpauschalen oder Dienstwagenprivilegien. Das hat dazu geführt, dass das Auto das Verkehrsmittel der Wahl ist. “Der Autobesitz beeinflusst unser Verkehrsverhalten”, sagt Gössling. Hat ein Haushalt einen Pkw, würde er für fast alle Wege genutzt. Das sei gewollt. 

“Die vorherrschende politische Haltung ist, dass unser Verkehrssystem nur sozial gerecht ist, wenn jeder Erwachsene ein Auto besitzt“, sagt der Mobilitätsforscher. Aber ein Verkehrssystem, das den privaten Autobesitz so massiv subventioniert wie hierzulande, sei eben nicht sozial gerecht. Denn: “Ein ungelernter Arbeiter investiert bis zu einem Drittel seines Lebenseinkommens, ein Facharbeiter immer noch rund ein Fünftel seines Lebenseinkommens, um einen Kleinwagen zu bezahlen”, sagt Gössling. Und das entspreche noch nicht einmal den realen Kosten. Würde der ungelernte Arbeiter auch die gesellschaftlichen Kosten tragen, müsste er 60 Prozent seines Lebenseinkommens aufbringen, um einen Opel Corsa zu fahren.

Mehr soziale Gerechtigkeit im Verkehr hieße für Gössling, dass alle Menschen bequem und kostengünstig mobil sein können. Und zwar ohne ein Auto besitzen zu müssen. “Alternativen wie ein Jahresticket für den ÖPNV in Kombination mit Carsharing und anderen Mobilitätsangeboten sind deutlich günstiger”, sagt Gössling. Für ihn ist das Ergebnis der Studie ein Appell an die Politik, die Verkehrswende zu beschleunigen.


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(Tip von Ingo)