Studie des DIW Berlin 08. Juli 2020
von Jörg Staude , Klimareporter.de
Um 65 Prozent muss die Europäische Union ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 verringern, um Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Die bisherigen Klimaziele reichen nicht aus, schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer heute veröffentlichten Studie.
100 Prozent erneuerbar in 20 Jahren: Theoretisch zu schaffen, praktisch bisher nicht in Sicht. (Foto: Solarinitiative)
Zu dem Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, haben sich schon alle Mitgliedsstaaten außer Polen bekannt, freute sich Bundeskanzlerin Angela Merkel letzte Woche im Bundestag. Heute stellt Merkel das Programm der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel vor und der Klimaschutz soll dabei – neben der Coronakrise, der Digitalisierung und dem Brexit – zu den Schlüsselfragen gehören.
Was das Ziel “Klimaneutralität 2050” politisch wirklich bedeutet, haben heute zum Auftakt der deutschen Ratspräsidentschaft das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und die Technische Universität Berlin in einer Studie auf den Tisch gepackt.
“Bisher geht die EU-Kommission von einem CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent aus. Doch damit wird Europa nicht bis 2050 klimaneutral, wie unsere Berechnungen zeigen”, sagt Studienautorin Claudia Kemfert. “Die Ziele müssen sehr viel ambitionierter sein.”
Für die Forscher sind dabei nicht nur die als offizielles Klimaziel vereinbarten 40 Prozent Reduktion bis 2030 zu wenig, sondern auch die von der EU-Kommission vorgeschlagenen 50 bis 55 Prozent. Damit die EU bis 2050 klimaneutral wird, müssen die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent sinken, rechneten DIW und TU Berlin aus.
Die Eckpunkte des entsprechenden, mit dem Paris-Abkommen kompatiblen Klimaschutzszenarios haben es in sich: Bereits 2040 muss die Energiegewinnung in der EU vollständig auf erneuerbare Quellen umgestellt sein.
Ein Bau neuer Atomkraftwerke komme nicht mehr infrage. Auch Kraftwerke mit CCS-Technologie – CO2-Abscheidung, -Transport und -Speicherung – stellen sich für die Forscher als “unrentabel” dar. Bis 2040 müsse neben der Kohle auch das fossile Erdgas aus dem Energieträgermix verschwinden.
Halbierter Energieverbrauch – doppelter Strombedarf
Die Studie geht dabei davon aus, dass der Primärenergiebedarf in der EU bis 2050 um mehr als 50 Prozent sinkt – von heute rund 75.000 Petajoule auf dann noch knapp über 30.000 Petajoule.
DIW-Energieökonomin Kemfert hält diese Reduzierung für machbar. Das liege vor allem daran, dass die bisher dominierenden konventionellen Energien enorm schlechte Wirkungsgrade haben – aus dem Grund sei auch der Primärenergiebedarf so hoch.
Dies ändert sich Kemfert zufolge in einem erneuerbaren System deutlich – wenn zudem der Ökoenergie-Ausbau nicht nur einfach beschleunigt, sondern auf kluge Lösungen wie E-Mobilität und Wärmepumpen statt auf Wasserstoff und Power-to-Gas gesetzt werde.
Wenn die EU ihre Efficiency-First-Strategie wirklich ernst nimmt und vor allem auch auf den Direkteinsatz von Ökostrom setzt, sei eine Halbierung des Verbrauchs realistisch, so die Energieexpertin gegenüber Klimareporter°.
Der Trend zur Elektrifizierung führt laut Studie dazu, dass sich – innerhalb des sinkenden Energieverbrauchs – die jährliche Stromnachfrage in der EU bis 2050 ungefähr verdoppelt: von heute rund 4,5 Billionen auf dann neun Billionen Kilowattstunden. An die Stelle fossiler und nuklearer Stromerzeugung treten vor allem Windkraft und Photovoltaik.
Den gesamten Investitionsbedarf für erneuerbare Energien gibt die Studie mit etwa 3.000 Milliarden Euro an. Dem stünden jedoch Einsparungen von allein knapp 2.000 Milliarden Euro gegenüber, die nicht mehr für den Import fossiler Energieträger ausgegeben werden müssten. Zur Finanzierung bauen die Forscher vor allem auf die wegen der Coronakrise geschnürten Hilfspakete.
Das 65-Prozent-Ziel hatten bisher vor allem Umweltverbände und Grüne gefordert. Entsprechende Szenarien beinhalteten auch Lebensstiländerungen.
Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.
Von : klimareporter.de
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Kohle – und jetzt?
Viel Kohleausstieg bringt es nicht: Das gerade verabschiedete Kohlegesetz ist schwach. Trotzdem hatten wir nie bessere Chancen auf ein schnelles Aus für die Kohlemeiler – die müssen wir jetzt gemeinsam richtig nutzen. Campact-Vorstand Christoph Bautz schreibt, wie das gehen kann.
Auf dem Gesetz steht Kohleausstieg – aber es ist viel zu wenig drin. Was die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD letzten Freitag im Bundestag beschlossen haben, ist gleich aus mehreren Gründen völlig aus der Zeit gefallen:
Verzögert, verzockt, verzweifelt
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- Verzweifelt: Dörfer im Rheinland sollen …
Die Bedingungen, das Ende der Kohle schnell einzuläuten, sind besser denn je
Ein ziemlich wirkungsloses Kohleausstiegsgesetz – haben wir damit den Kampf um einen Ausstieg vor 2030 verloren? Mitnichten. Denn die Bedingungen, das Ende der Kohle schnell einzuläuten, sind besser denn je. Auf dem Energiemarkt ist es derzeit eng für die Kohle. Sie bekommt immer mehr Konkurrenz durch günstigen Wind- und Sonnenstrom – dank des niedrigen Gaspreises auch durch Gaskraftwerke. Gleichzeitig macht der relativ hohe CO2-Preis den Kohlestrom teurer. Im Ergebnis wurde in der ersten Jahreshälfte 36 Prozent weniger Strom aus Braun- und 46 Prozent weniger aus Steinkohle erzeugt – schlicht weil der Kohlestrom am Markt zu teuer ist.
Also regelt der Markt den Ausstieg? Nein. Darauf zu vertrauen, wäre fatal. Denn die schlechte Marktlage für Kohle ist nur eine Momentaufnahme. Gas- und CO2-Preis schwanken heftig. Läuft es schlecht, ist die Kohle demnächst wieder konkurrenzfähig.
Mit diesem Dreischlag bekommen wir die Kohle-Meiler vom Netz
Genau hier können wir ansetzen: Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass die Bedingungen für Kohle am Markt schlecht bleiben. Dann schaffen wir den Ausstieg deutlich vor 2030. Und das geht so:
- Erneuerbare Energien massiv ausbauen: Je mehr Wind- und Solarstrom …
- Einen CO2-Mindestpreis einführen: Der europäische Emissionshandel, …
- Schadstoffe-Grenzwerte für Kohlekraft verschärfen: Quecksilber, Stickoxide, Feinstaub – …
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